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SPD-Chef Sigmar Gabriel verlässt die CDU-Parteizentrale nach dem Auftakt der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD.

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Update

Auftakt der Koalitionsverhandlung: Sie haben sich erstmal alle umarmt

Nur rund 90 Minuten dauerte das erste Treffen von Union und SPD zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen. Der Marathon mit zwölf Arbeitsgruppen, vier Unterarbeitsgruppen, großer und kleiner Runde beginnt erst jetzt. Klar ist nur so viel: Es werden viele mitreden.

Es muss gemütlich zugegangen sein beim Auftakt der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. "Wir haben uns als erstes alle mal umarmt, und es war sehr hilfreich", sagt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt nach der ersten Runde. Man habe eine Fundament für die künftigen Verhandlungen gelegt. Alle drei Parteigeneräle sprachen von einem guten Start. Ziel von Union und SPD ist es, bis Weihnachten mit allem fertig zu sein.

Aber auch bis dahin macht die große Koalition ihrem Namen schon alle Ehre. Denn die Verhandlungen werden wirklich von einem sehr großen Kreis an Leuten geführt. Allein die so genannte große Runde, die formal alle Entscheidungen trifft und am Ende auch über den Koalitionsvertrag abstimmt, umfasst 75 Mitglieder. Davon sind 30 Sozialdemokraten und 45 Unionisten. Das sind mehr als doppelt so viele wie bei den Verhandlungen zur großen Koalition 2005. Damals trafen sich in dem Gremium 32 Personen. Das sind allerdings längst nicht alle Verhandler.

Neben dieser großen Hauptrunde, die an diesem Mittag nur rund 90 Minuten in der CDU-Zentrale zum ersten Mal zusammengekommen war und vor allem organisatorische Fragen geklärt hat, gibt es zwölf Arbeitsgruppen mit je 17 Vertretern. Hinzu kommen vier Unterarbeitsgruppen. Eine Steuerungsgruppe aus den drei Generalsekretären sowie Kanzleramtschef Ronald Pofalla und SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann soll die Koordination übernehmen.

An der Spitze stehen die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD). Dieses Dreier-Team kann je nach Bedarf und Thema auf einen "Kleinen Kreis" mit Fraktionschefs und wichtigen Landespolitikern erweitert werden. Vermutlich wird in diesem Kreis auch die Entscheidung über die Streitthemen wie Mindestlohn und Steuern fallen. Die große Runde wird eher eine Art Bühne sein, auf der vor allem die Atmosphäre eine wichtige Rolle spielen wird.

Über 300 Parteipolitiker verhandeln über große Koalition

Nimmt man alle Verhandler zusammen, kommt man auf rund 300 Parteipolitiker aus Bund und Ländern, die an der Aushandlung eines Koalitionsvertrages unmittelbar beteiligt sind. Dass es diesmal deutlich mehr sind als 2005, könnte an dem Ziel liegen, schon jetzt möglichst viele konkrete Entscheidungen in den Vertrag aufzunehmen, um so Streitigkeiten während der Legislaturperiode zu umgehen. Das soll die Chance erhöhen, beschlossene Projekte auch wirklich umzusetzen. So begründet es auch der neue Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU). Er sagte, die Idee sei, möglichst viele Politiker aus unterschiedlichen Sachbereichen jetzt schon zusammenzubringen, um alle strittigen Fragen klären zu können. Die Arbeitsgruppen leiten jeweils ein Unionspolitiker und ein Sozialdemokrat:

- AG Außen-, Verteidigung- und Entwicklungspolitik: Thomas de Maizière (CDU) und Frank-Walter Steinmeier (SPD)

- AG Finanzen, Haushalt und Bund-Länder-Beziehungen: Wolfgang Schäuble (CDU) und Olaf Scholz (SPD). Außerdem gibt es in dieser AG die Unterarbeitsgruppe Bankenregulierung, Europa und Euro, die von Herbert Reul (CDU) und Martin Schulz (SPD) geleitet wird.

- AG Wirtschaft: Ilse Aigner (CSU) und Hubertus Heil (SPD)

- AG Energie: Peter Altmaier (CDU) und Hannelore Kraft (SPD)

- AG Arbeit und Soziales: Ursula von der Leyen (CDU) und Andrea Nahles (SPD)

- AG Familie, Frauen und Gleichstellung: Annette Widmann-Mauz (CDU) und Manuela Schwesig (SPD)

- AG Gesundheit und Pflege: Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD)

- AG Verkehr, Bau und Infrastruktur: Peter Ramsauer (CSU) und Florian Pronold (SPD)

- AG Wissenschaft, Bildung und Forschung: Johanna Wanka (CDU) und Doris Ahnen (SPD)

- AG Innen und Justiz: Hans-Peter Friedrich (CSU) und Thomas Oppermann (SPD). Hier gibt es die zweite Unterarbeitsgruppe "Integration und Migration", die von Maria Böhmer (CDU) und Aydan Özoguz (SPD) geleitet wird.

- AG Umwelt, Landwirtschaft und Verbrauscherschutz: Katherina Reiche (CDU) und Ute Vogt (SPD). Hier gibt es eine dritte Untergruppe "Verbraucherschutz", die von Mechthild Heil (CDU) und Ulrich Kelber (SPD) geleitet wird.

- AG Kultur: Michael Kretschmer (CDU) und Klaus Wowereit (SPD). Die vierte Unterarbeitsgruppe gibt es hier mit Digitale Agenda. Sie wird geleitet von Dorothee Bär (CSU) und Brigitte Zypries (SPD).

Welche Schlüsse lassen sich aus der Struktur und der Zusammensetzung nun ziehen? Natürlich sind die AG-Vorsitzenden in einer exponierten Lage, was aber noch nicht heißt, dass dort schon die entsprechenden Minister zu finden sind. So dürften weder Olaf Scholz noch Hannelore Kraft ihre Posten als Erster Bürgermeister von Hamburg beziehungsweise Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen aufgeben. Dass Frank-Walter Steinmeier (SPD) wieder Außenminister wird wie in der vergangenen großen Koalition gilt derzeit als unwahrscheinlich. Er hat bereits signalisiert, lieber Fraktionschef bleiben zu wollen.

Erste inhaltliche Schlüsse lassen sich ziehen

Gleichwohl sind an den Spitzen der jeweiligen Arbeitsgruppen auch potenzielle Ministerkandidaten, die aber am Ende ein anderes Ressort übernehmen. Zum Beispiel Thomas Oppermann. Er gilt bei der SPD mehr oder weniger als gesetzt für ein Ministeramt. Jetzt ist er Ko-Vorsitzender der AG Innen und Justiz. Die CSU wird das Innenministerium aber nicht ohne Weiteres räumen. Ähnlich ist es bei der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen. Auch sie wird wohl Ministerin in der großen Koalition, allerdings will die SPD das Arbeits- und Sozialministerium. Von der Leyen könnte am Ende bei der Gesundheit oder im Außenamt landen.

Auf jeden Fall aber kann man inhaltliche Schlüsse ziehen. So wird die Energiepolitik eine wichtige Rolle spielen, da sie als einzelne AG auftaucht und nicht etwa als Unterarbeitsgruppe im Bereich Umwelt oder Wirtschaft. Das ist allerdings auch ein Problem: Noch ist nicht klar, welches Ministerium bei der Energiepolitik federführend sein wird. Ein eigener Energieminister ist nach heutigem Kenntnisstand jedenfalls nicht angedacht. Interessant ist auf diesem Feld aber auch die Besetzung mit Peter Altmaier und Hannelore Kraft. Hier könnte der Christdemokrat Altmaier sozusagen den Grünen geben, der für regenerative Energiequellen kämpft und die Sozialdemokratin Kraft aus NRW, die sich vor allem um die Braunkohle zuhause Sorgen macht.

Ende November soll, so ist es derzeit geplant die große Runde ein letztes Mal beraten. Deren Tagungsorte werden im Übrigen auch paritätisch gewählt. Das Auftakttreffen fand an diesem Mittwochmittag im Konrad-Adenauer-Haus statt. Die nächste Runde kommt dann eine Woche später im Willy-Brandt-Haus zusammen, der SPD-Parteizentrale. Europa soll dann das Hauptthema der Runde sein. Und auch in der Bayerischen Landesvertretung wird zugunsten der CSU getagt (was durchaus dem Selbstverständnis der CSU als Staatspartei entspricht). Die Arbeitsgruppen und Unterarbeitsgruppen sowie die Steuerungsgruppe kommen nach ihrem eigenen Terminkalender zusammen.

Sollte Ende November tatsächlich die letzte entscheidende große Runde stattfinden und einen Vertrag beschließen, wäre die große Koalition damit aber noch keine beschlossene Sache. Denn alle Parteien müssen das Verhandlungsergebnis noch absegnen. Und vor allem bei der SPD wird das eine Hürde. Die Sozialdemokraten wollen alle ihre 470.000 Mitglieder per Briefwahl entscheiden lassen.

Auch Gesundheit ist Streitthema

Schon vor dem ersten Treffen der großen Runde wird bei den Kernthemen das Feld abgesteckt. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles betont noch einmal die Finanzierungsfrage. Die SPD hatte sich im Wahlkampf für Steuererhöhungen ausgesprochen, was die Union ablehnt. In ihrem Zehn-Punkte-Anforderungskatalog an eine große Koalition tauchen diese Pläne zwar nicht auf, aber gerade beim linken SPD-Flügel spielt das Thema nach wie vor eine große Rolle. "Natürlich gibt es auch beim Thema Finanzen weiterhin keine Klärung, weil ich immer noch nicht weiß, wie man ohne Steuererhöhungen all das finanzieren soll", sagte Nahles im ARD-„Morgenmagazin“.

Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, lehnte das Ansinnen, Steuern zu erhöhen dagegen ab. Auch eine höhere Neuverschuldung käme nicht infrage. Investitionsforderungen gibt es im Vorfeld viele - vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Bildung und Soziales. Die Finanzierungsfragen dürfte somit eine wichtige Rolle spielen - und nicht auf die Arbeitsgruppen beschränkt bleiben.

Der SPD-Experte Karl Lauterbach kündigte an,  in der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege weiter für das Konzept einer  Bürgerversicherung  kämpfen zu wollen. „Für uns als SPD spielt dieses Thema  eine Riesenrolle, wir werden es auf keinen Fall  aufgeben“, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel. Aus dem Umstand, dass in dem  Papier des SPD-Konvents mit zehn Kernzielen für eine Koalition die Forderung nach einer Bürgerversicherung nicht  auftaucht, sei keinesfalls zu schließen, dass man sich davon verabschiedet habe. „Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns jetzt nur noch in das Spätreparatursystem Pflege hineinzudenken“, mahnte Lauterbach.  Die angekündigte Pflegereform sei zwar ebenfalls wichtig, vom Volumen her umfasse der Pflegesektor aber nicht einmal ein Zehntel des Gesundheitssystems. Außerdem entscheide die Qualität der gesundheitlichen Versorgung letztlich oft darüber, ob jemand pflegebedürftig werde oder nicht. (mit raw)

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