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Politik: Auge um Auge

Auch nach den jüngsten Protesten gibt Venezuelas Präsident Chavez nicht nach – statt dessen droht er mit Kriegsrecht

Zwei Todesopfer und mindestens 78 Verletzte – das ist die Bilanz des jüngsten Protestmarsches gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez. Doch auch die erneuten Opfer in dem nun schon seit gut einem Jahr andauernden Konflikt bewegten keine der beiden Seiten in dem stark polarisierten Land zum Nachgeben. Die Situation bleibt aussichtslos, völlig verfahren und geradezu lächerlich – jedoch vor allem traurig.

Zu dem erneuten Gewaltausbruch kam es am Freitagabend, nachdem Sympathisanten von Präsident Chavez die Demonstranten der Opposition mit Steinen, Flaschen und sonstigen geeigneten Gegenständen zu bewerfen begannen. Gleichzeitig rückte der Demonstrationszug in die Nähe der Militärfestung Tiuna. Dort sitzt General Carlos Alfonzo Martinez ein. Er gehört zu den rund 100 Militärs, die sich gegen Chavez auflehnten. Die Chavez-treuen Sicherheitskräfte der Nationalen Polizei sowie der Militärpolizei versuchten, die beiden Gruppen mit Tränengas und Warnschüssen auseinander zu treiben. Fernsehbilder zeigten, wie sich inmitten des allgemeinen Chaos die Demonstranten plötzlich zu Boden warfen, als scheinbar von den umliegenden Dächern Schüsse kamen. Wieder einmal machen sich beide Seiten gegenseitig für die Toten und Verletzten verantwortlich. Wer tatsächlich dahinter steckt, darüber gibt es nur Mutmaßungen. Chavez schloss indes nicht aus, zur Eindämmung der Krise das Kriegsrecht auszurufen. Der Präsident sagte, wenn er gezwungen werde, das Kriegsrecht zu verfügen, „dann muss ich es tun“.

Bisher hat die Opposition, die sich aus dem mächtigen Unternehmerverband „Fedecameras“ sowie dem Gewerkschaftsdachverband CTV zusammensetzt, mit ihrem seit gut einem Monat andauernden Generalstreik nichts erreicht. Der Rückhalt von Chavez in der Bevölkerung hat sich weder vermehrt noch verringert. Er liegt ungebrochen bei etwa 30 bis 38 Prozent und kommt aus den armen Bevölkerungsschichten des Landes. Die Opposition hat es noch nicht geschafft, eine Figur aufzustellen, die bei etwaigen Neuwahlen nur annähernd einen solchen Stimmenanteil erzielen würde. Das lässt den Ruf der Chavez-Gegner nach sofortigen Neuwahlen besonders absurd erscheinen.

Die einzige Chance der Opposition wäre ein Referendum, in dem die Bevölkerung sich für oder gegen ihren Präsidenten aussprechen muss. Im Falle einer Mehrheit gegen Chavez könnte dieser an nachfolgenden Neuwahlen gar nicht erst teilnehmen.

Chavez beruft sich in seinem Handeln stets auf die Verfassung und hat diese tatsächlich weitgehend auf seiner Seite. Ein Referendum, das über das Verbleiben des Staatsoberhauptes entscheidet, darf demnach erst nach Ablauf der halben Amtszeit abgehalten werden – das wäre im August dieses Jahres.

Doch die Opposition, die vermutlich ihre eigene Macht unterschätzte und glaubte, Chavez würde spätestens mit Beginn des Streiks in der nationalen Ölgesellschaft Pdvsa einknicken, beharrt noch immer auf einem Referendum schon im Februar. Das könnte sich als Eigentor erweisen, denn ein solches Referendum ist ein großer logistischer Aufwand, erst recht inmitten der aufgeladenen Situation des Landes.

Das Militär bleibt auf Seiten des Präsidenten, das ist derzeit Chavez’ größter Trumpf. Gestärkt ging der populistische Caudillo auch aus seiner Reise nach Brasilien zum Amtsantritt des neuen sozialistischen Präsidenten Lula da Silva hervor. Die südamerikanischen Staaten haben wie auch schon beim letzten Putschversuch gegen Chavez eine eindeutige Haltung: Sie unterstützten den gewählten Präsidenten und suchen eine verfassungsgemäße Lösung. Eine solche hat die Opposition jedoch bisher nicht zu bieten.

Anne Grüttner[Buenos Aires]

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