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Politik: Aus dem Hinterhalt

Der afghanische Kriegsherr Hekmatyar droht den ausländischen Truppen per Video mit neuen Anschlägen

Knapp einen Monat nach dem Überfall auf einen Bus mit deutschen Soldaten der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ist die Isaf am Wochenende erneut angegriffen worden. Diesmal wurden drei Niederländer verletzt. Und es könnte noch schlimmer kommen: Das Attentat dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Konto des früheren afghanischen Premierministers Gulbuddin Hekmatyar gehen, der als einer der schärfsten Gegner des Engagements der Weltgemeinschaft am Hindukusch gilt. In einem Videoband, das nach Meldungen der in Pakistan erscheinenden Zeitung „Pak Tribune“ in Afghanistan selbst zirkuliert und auch CCN zugespielt wurde, drohte Hekmatyar mit einer neuen Welle von Anschlägen gegen die Kräfte der Anti-Terror-Koalition, um die Besatzer zum Verlassen des Landes zu zwingen.

Die Afghanen würden die Allianz von Präsident Hamid Karsai und dessen Regierung – Männer, die „ihr Land und ihren Glauben für eine Hand voll Silberlinge verkauft haben“, so Hekmatyar – mit Washington ebenso wenig unterstützen, wie seinerzeit das Bündnis pro-kommunistischer Kräfte mit den Sowjets. Kabul, sagte Hekmatyar dann wörtlich in Anspielung auf die nahezu kampflose Räumung durch die Taliban im November 2001, sei zwar leichter zu nehmen als andere Städte des Landes, sie auch zu halten und das Land von dort aus auf Dauer zu regieren, sei jedoch ungleich schwerer. Das hätten schon die Russen erleben müssen.

Tatsächlich glaubte auch Moskau 1979 den Krieg bereits gewonnen, als sowjetische Truppen ohne nennenswerten Widerstand in Kabul einrückten und dort eine Marionettenregierung installierten. Diese Fehleinschätzung rächte sich später bitter: 1986 sah sich Präsident Gorbatschow angesichts des andauernden Guerillakrieges gezwungen, den Rückzugs anzuordnen.

Die von Washington geführte Anti-Terrorkoalition steht vor ähnlichen Problemen, ist aber in einer ungleich schlechteren Ausgangslage: Während Moskau nach der Invasion noch funktionierende Machtstrukturen vorfand und der Widerstand gegen die Okkupanten sich gerade erst formierte, müssen die ausländischen Truppen nach mehr als 20 Jahren Krieg auf einem von Waffen strotzenden Kriegsschauplatz agieren, wo die Fronten überall und nirgends verlaufen und die Machtfrage real bisher nicht einmal in Ansätzen geklärt ist.

Besserung ist bis zu den für nächstes Jahr geplanten Wahlen nicht zu erwarten. Die Verhandlungen über die Entwaffnung der zahlreichen Milizen des Landes – von der Bonner Afghanistan-Konferenz zu Recht als Priorität erklärt – scheitern bisher am Widerstand der Warlords. Doch die Integration der etwa 100 000 Kämpfer in die regulären Streitkräfte ist eine Grundvoraussetzung für die Aufstellung einer nationalen Armee. Und nur sie kann dafür sorgen, dass sich die Zentralregierung außerhalb Kabuls Gehör verschafft.

Kriegsherr Hekmatyar halten Afghanistan-Experten für gefährlicher als Taliban- und Al-Qaida-Kräfte: Seine Partei Hizb-e-Islami ist die bisher einzige Bewegung, die sich als Interessenvertretung aller Afghanen, unabhängig von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit versteht. Konsequentes Engagement gegen jede ausländische Einmischung in Afghanistan, die der Westen meist als islamischen Fundamentalismus vereinfacht, machte ihn zu einem der bekanntesten Oppositionsführer während der Sowjetzeit.

Die Zeit der Talibanherrschaft verbrachte er im Exil in Iran. Im Februar 2002 kehrte er in die schwer zugängliche afghanische Provinz Kunar zurück, wo er ein politisches und militärisches Comeback versucht. Die USA setze ihn auf die Liste der 20 gefährlichsten Terroristen weltweit und versuchten bisher mindestens zweimal, ihn mit unbemannten Drohnen zur Strecke zu bringen.

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