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Politik: Aus dem Kokon

Von Stephan-Andreas Casdorff

Zurück in dieser Welt, heraus aus dem Kreis derer, denen sie vertraut, den wenigen, die es sind. Vielleicht werden es sogar immer weniger? Ja, Angela Merkel, die jetzt Kanzlerin ist, wird sich nicht mehr ändern. So war sie, ihr Leben lang, sie ist gut damit über die Runden gekommen, hat eine Diktatur überlebt und dann noch Helmut Kohl überstanden, den Mann, der wie kein anderer Frauen das Gefühl geben konnte, Gedöns zu sein, „Mädchen“. Gut, wer sich fügte, schlecht, wer sich auflehnte. Darum hatte es Rita Süssmuth später nicht so gut, aber Merkel deutlich besser. Sie durfte sogar Umweltministerin werden; weil Kohl von ihr noch weniger befürchtete als von Klaus Töpfer.

Dieses Suchende, Tastende, Wägende, Beobachtende, Zurückschreckende ist ihr geblieben. Anfangs, vor Monaten, ja, vor Wochen noch wurde es als neuer Politikstil belobigt. Und anfangs als glückliche Abwechslung empfunden. Heute aber, da macht sich überall Unsicherheit breit, je länger sie im Unklaren lässt. Und was sie alles im Unklaren lässt. Seien wir ehrlich, nichts von dem, was sie nach ihrer desaströsen Wahl wollte, war vorher bekannt, nichts von dem, was sie jetzt tut. Deshalb rumort es, in der Partei wie in der Bevölkerung.

Mögen auch nicht alle alles verstehen, das Gefühl zählt, dass da eine ist, die entweder nicht alles sagt, was sie tun will, oder es noch nicht weiß, also ohne Kompass ist für den Kurs in Staat und Partei. Härter als ihre Parteifreunde kann es niemand sagen. Doch sie bleibt scheinbar ungerührt. Verbirgt ihre Gedanken weiter hinter einer Miene, die alles und nichts vermuten lässt.

Und, hat sie ein Geheimnis? Die ihr näher stehen als andere, relativ gesehen, die sagen, dass sie sich ärgert darüber, nicht gedankentief genug betrachtet zu werden; dass gleichsam alles einem Plan folge, der im Großen, im Besseren ende. Mag sein, mag sein, nur dass Politik von den alten Griechen an genau das ist: sich zu erklären, allen zu erklären, wohin man will und warum, und dann in der Öffentlichkeit dafür zu werben, Mehrheiten zu suchen. Wenn sie sucht, dann im Verborgenen, in ihrem Kokon.

Da ist sie nun wieder, und alles ist wie vorher, manches schlimmer, die Umfrageergebnisse zum Beispiel. Es ist, als erinnerten sich die Deutschen allmählich daran, warum sie Merkel so abgelehnt haben bei der vergangenen Bundestagswahl, auch sie persönlich. Die Ablehnung wird hart. Bald fehlt bloß noch, dass sich die SPD, so wie jüngst der Fraktionschef Peter Struck, zu Gerhard Schröder bekennt, dem Schröder, der nicht nur bestimmt ist von Aufsichtsratsmandaten, sondern sie geführt hat durch sieben Jahre Kanzlerschaft.

Führung wird denn auch das Wort der Stunde, der Woche, gestern war es eines, unausgesprochen. Natürlich müssen die Leipziger Beschlüsse der CDU aus den radikalen Jahren einer Revision unterzogen werden, nichts davon ist noch Programm. Natürlich muss die CDU sich ihrer Lebenslüge stellen, dass die Parteitagsbeschlüsse nur um ihrer selbst willen gefasst wurden, wie im Rausch. Natürlich muss Merkel sagen, was die CDU den Menschen morgen noch sagen soll. Am 1. Oktober 2003, da wusste sie es, eine Rede lang. Kennt die noch einer?

Den Kompass justieren, ach was, finden, das ist die Voraussetzung. Sinnfällig für alles, was da im Argen liegt: ihre Haltung zum deutschen Einsatz in Nahost. Dieses Hin und Her ihrer Regierung, das sich ausdrückt in einander widersprechenden Auskünften, dieses Nachbessern und Hinzufügen, wo doch eines geholfen hätte: Klarheit. Wofür sie ist. Was sie will. In einer Ansprache, rechtzeitig, am Anfang, nicht erst, wenn sie sicher sein kann, nicht die Erste zu sein, die sich angreifbar macht. Sicher sein kann, alle möglichen und unmöglichen Attacken (notfalls mit aller Härte, wie Mann weiß) zu parieren und, vor allem, zu überleben. Sich die Macht zu erhalten, daran ist nichts Schlimmes – um zu gestalten.

Sie ist nicht so. Alle können es jetzt sehen. Wird sie noch so? Diejenigen, die ihr vertrauen, werden weniger. Jetzt aber heraus aus dem Kokon.

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