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Politik: Aus der Schleifspur

Von Hermann Rudolph

Natürlich kann man zwei Brüdern nicht vorwerfen, dass beide politischen Ehrgeiz haben und damit auch noch erfolgreich sind. Aber Polens neue Spielart der Gewaltenteilung, nach der der eine als Präsident den anderen zum Regierungschef ernennt, womit dann die beiden entscheidenden Ämter des Staates zwillingshaft Hand in Hand geführt werden, ist mehr als ein Kuriosum. Sie ist der bisher letzte Zug in einer politischen Entwicklung, die Polens Nachbarn ratlos macht. Seitdem die Brüder Kaczynski im Herbst an die Macht gelangt sind und sie konservativ-national befestigt haben, versteht man das europäische Partnerland im Osten immer weniger. Und was man versteht, stimmt nicht hoffnungsvoll.

Was man sieht, ist der Machtanspruch eines unverblümt vorgetragenen Patriotismus, in dem sich moralischer Rigorismus, nationale Sentiments, die ins Ressentiment hineinwechseln, und ein europaskeptischer Populismus aggressiv mischen. Dazu gesellt sich eine merkwürdige Entschlossenheit, in die Fettnäpfe der laufenden binationalen und europäischen Geschäfte zu treten. Wann hätte es das schon gegeben, dass sich der Staatspräsident von allen acht Außenministern, die das freie Polen gehabt hat, Missachtung der Partnerstaaten vorhalten lassen muss, weil er den Weimarer Gipfel geschmissen hat, eines der legendären Erbstücke der Nachwende-Ära? Auf dem gleichen Blatt steht die rüde Verdrängung des bisherigen, europafreundlichen Ministerpräsidenten.

Das summiert sich zum Bild eines Landes, das auf seine Probleme mit politischen Trotz- und Abwehrgesten reagiert. Sie sind die Folge davon, dass die Begründung von Demokratie und Marktwirtschaft in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten auch Enttäuschungen, soziale Spannungen, Korruption und Privilegienwirtschaft hervorgebracht hat. Den Regionen des Landes und den sozialen Schichten, die im Europa von heute Fuß gefasst haben, entsprechen andere, die damit nicht fertig geworden sind und in denen der Gesellschaft der soziale Grund wegrutscht. Nicht zufällig hat zum Erfolg der Brüder und ihrer Partei vor allem ihre Saubermannsattitüde beigetragen, und auch ihr Rückgriff auf die alten Werte, auf Familie und Religion, passt fatal in dieses Muster der kopflosen Suche nach Halt in einem noch nicht bewältigten Wandel.

So gesehen ist die polnische Entwicklung nur ein extremes Zeichen für die Schwierigkeiten, die die ost-mitteleuropäischen Gesellschaften haben, mit der Welt, in die sie eingetreten sind, zurechtzukommen. Überall zeigen sich ja politische Krisensymptome, polarisierende Wahlkämpfe, brüchige Mehrheiten, Erfolge von extremistischen Partei – die Wahlen, die in den letzten Monaten in Ungarn, der Slowakei und Tschechien stattgefunden haben, haben es nachdrücklich illustriert. Hier werden die politischen Schleifspuren des großen Umbaus sichtbar, den diese Länder vor fünfzehn Jahren begonnen haben.

Ein Eintritt in eine alle zufrieden stellende Normalität ist nicht abzusehen, auch nicht in Polen. Das von heute auf morgen, in einer Art „Königsdrama“ (FAZ) durchgesetzte Zwillingsregiment zeigt vielmehr die Unsicherheit der Protagonisten der nationalkonservativen Wende bei den Nachbarn. Niemand bräuchte sich zu wundern, wenn sich das seltsame Bündnis, das sich da zusammengefunden hat, bald wieder auseinander fiele – ohnedies ist das Streitpotenzial des Landes und seiner politischen Klasse groß. Aber auch Neuwahlen würden nur zeigen, wie prekär die Lage des Landes ist. Denn es stände ja keine neue Mannschaft bereit. Die großen Figuren aus der Solidarnosc-Zeit, die Geremek und Bartoszewski und alle die anderen, mit denen Polen nach dem Sturz des Kommunismus sein neues Gesicht für Europa gewann, sind abgetreten. Die erfolgreich konvertierten Ex-Kommunisten, die danach kamen, haben abgewirtschaftet. Was im Fall von Neuwahlen käme, weiß niemand.

Gewiss ist Polen nicht verloren. Aber gewonnen für das Europa von heute ist es auch noch nicht.

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