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Vor der türkischen Botschaft in Berlin fordert ein Demonstrant die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel.

© Paul Zinken/dpa

Aus politischen Gründen inhaftiert: Neun Deutsche in der Türkei hinter Gittern

Ein Journalist, ein Menschenrechtler, ein Unternehmer, eine Übersetzerin, ein Rentner: Wer sind die Deutschen, die in der Türkei nach dem Putschversuch festgenommen wurden und noch in Haft sind?

Der Fall, der nun zu einer schweren Belastung für das deutsch-türkische Verhältnis wird, begann vor zwei Wochen auf einer Insel vor der Küste Istanbuls: Amnesty International hatte zu einem Seminar geladen, einer der Referenten war der deutsche Menschenrechtsexperte Peter Steudtner. Doch plötzlich stürmten türkische Sicherheitskräfte die Veranstaltung und nahmen alle Anwesenden fest, auch Steudtner. Am Dienstag verhängte ein türkisches Gericht Untersuchungshaft gegen den Berliner Familienvater, und der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel brach seinen Urlaub ab.

Steudtner ist einer von neun Deutschen, die in der Türkei „aus politischen Motiven oder mit der Unterstellung politischer Motive festgenommen“ wurden, wie es im Auswärtigen Amt heißt, und noch immer in Untersuchungshaft sitzen. Sein Fall zeigt nach Ansicht Gabriels, dass Deutsche vor „willkürlicher Verfolgung“ in der Türkei nicht mehr sicher seien: „Peter Steudtner ist kein Türkei-Experte, er ist wohl überhaupt nur zum ersten Mal in die Türkei gereist, hat weder über die Türkei geschrieben noch enge Kontakte in die türkische Politik, Opposition oder Zivilgesellschaft, geschweige denn wäre er jemals als Kritiker der Verhältnisse in der Türkei aufgefallen“, sagte Gabriel am Mittwoch.

Seit dem Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr wurden 22 Deutsche aus politischen Gründen festgenommen, 13 von ihnen sind wieder frei. Der bekannteste der neun Inhaftierten ist der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, der seit dem 14. Februar hinter Gittern ist. Wegen seiner Berichterstattung wirft die türkische Justiz dem „Welt“-Korrespondenten Terrorpropaganda vor. Erst im April durfte ein deutscher Diplomat Yücel erstmals im Gefängnis besuchen.

Drei Deutsche ohne konsularische Betreuung

Vier der neun inhaftierten Deutschen haben auch einen türkischen Pass, drei von ihnen sind bisher ohne jede konsularische Betreuung. Doch selbst bei denen, die nur die deutsche Staatsangehörigkeit haben, musste die Bundesregierung für den konsularischen Zugang kämpfen. Es dauerte Wochen, wenn nicht Monate, bis sie in der Haft Besuch von einem deutschen Diplomaten bekommen durften.

Die deutsche Staatsbürgerin Mesale Tolu musste über einen Monat auf konsularischen Beistand warten. Sie war Ende April in einer dramatischen Aktion festgenommen worden: Mitten in der Nacht brachen Polizisten ihre Wohnungstür auf und richteten Maschinenpistolen auf die schlafende Frau. Den zweijährigen Sohn musste sie zunächst bei Nachbarn zurücklassen, ihr Mann ist ebenfalls in Haft. Mesale Tolu ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und arbeitete in der Türkei als Journalistin und Übersetzerin für eine linke Nachrichtenagentur und einen Radiosender. Ihr werden „Terror-Propaganda“ und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zur Last gelegt.

Weniger bekannt ist das Schicksal des Unternehmers Özel Sögüt aus Siegen, der nur den deutschen Pass hat. Er verkaufte in der Türkei unter anderem Solaranlagen und pendelte zwischen beiden Ländern. Im Dezember 2016 wurde Sögüt festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, der Bewegung des Predigers Fetullah Gülen anzugehören, seine in Deutschland lebende Frau bestreitet das. Er hatte Medienberichten zufolge eine Anlage an jemanden verkauft, der der Gülen-Bewegung angehörte. Nach der Enteignung der betreffenden Firma soll er sich bei der Staatsanwaltschaft Antalya nach den Gründen erkundigt haben und selbst festgenommen worden sein. Erst im März, drei Monate nach seiner Festnahme, konnte Sögüt Besuch von einem Mitarbeiter des deutschen Konsulats erhalten.

Rentner aus Düren ein Jahr in Haft

Noch länger hinter Gittern ist der Doppelstaatsangehörige Ali Ince, der im nordrhein-westfälischen Düren lebt. Mehr als vier Jahrzehnte hat er in Deutschland verbracht, mittlerweile ist er Rentner. Während eines Heimatbesuches im vergangenen Sommer wurde er offenbar in einem Dorf in der Nähe von Ankara festgenommen, genau eine Woche nach dem Putschversuch. Einem „Spiegel“-Bericht zufolge wird auch ihm die Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen, gemeint ist offenbar die Gülen-Bewegung, die von der türkischen Regierung für den gescheiterten Putsch verantwortlich gemacht wird. Ince gehört zu denjenigen, denen wegen ihrer doppelten Staatsangehörigkeit in der Türkei kein konsularischer Beistand aus Deutschland gewährt wird.

Über die anderen vier Gefangenen aus Deutschland, denen politische Delikte zur Last gelegt werden, ist bisher nichts bekannt. Die Bundesregierung gibt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine Auskunft.

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