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Politik: Aus vollem Betrieb

Von Stephan-Andreas Casdorff

Schluss mit der Unkerei. Politik ist auch zu 50 Prozent Stimmung, und wer die hat, der hat die Mehrheit. So gesehen ist doch alles gut in Deutschland. Die große Koalition ist ganz groß in guter Laune. Und die Kanzlerin – ja, die kann es doch. Oder?

Noch ist nicht aller Tage Abend, ruft die Unke. Aber so Grass ist es nicht, wie manche schreiben. Dass es viel Lärm um wenig gäbe, stimmt zum Beispiel nicht.Führung à la Merkel sieht immerhin solche Sachen vor wie die höhere Mehrwertsteuer oder die Rente ab 67. Da zeigt sich der Unterschied! Ein einziger derartiger Eingriff hätte früher, vor Lichtjahren, vor 100 Tagen, die Republik erbeben lassen, von wegen Rentenkürzung und sozialer Kälte. Heute aber sagt die Koalition an, was sein muss, und prompt kommt es so. Gesprochen, gehalten, gewissermaßen.

Das kann man gut finden. Man kann gut finden, dass Merkel als Kanzlerin nicht wiederzuerkennen ist. Der Leipziger Parteitag von 2003, als sie die CDU zu neoliberalisieren versuchte, das Wort sozial sich bloß noch mit Romantikern und anderen Gestrigen verband – ach, was schert uns das Geschwätz von gestern, wusste der alte Adenauer. Und heute regiert seine Urenkelin. Die kann es nicht? Unsinn, die kann nicht nur Erhard, die kann auch Adenauer.

Ja, so ist das heute, und das beruhigt: An Merkel kann man sehen – nein, nicht dass jeder regieren kann, wie weiland Strauß über Kohl sagte –, sondern dass das Amt, dass die Wahlen, dass die Mehrheiten den Gang der Politik bestimmen. Der Betrieb geht weiter, geräuschloser als vorher, effizient verwaltet. Und Merkel muss halt das tun, was sie vorher abgelehnt hat. Nur erstaunlich ist das alles schon: Wenn da einer so über Guantanamo geredet hätte wie Merkel; wenn einer so über Kombi- und Mindestlohn gesprochen hätte; wenn einer im Angesicht des Steuerzahlers eine solche Gesundheitspolitik erwogen hätte; wenn ein Konjunkturprogramm aufgelegt worden wäre; wenn es so viele neue Schulden gegeben hätte; wenn einer so lange mit klaren Worten zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren gewartet hätte … – ja, dann wäre die Union, Merkel an der Spitze, im Bundestag und anderswo aber laut geworden. Da hätte sich der, der Kanzler war, Schröder hieß er, viel anhören müssen. Heute: nichts. Heute wird einer wie Müntefering wahrscheinlich kühl sagen: In der Opposition gibt es das Recht auf Irrtum, sonst kann man keine Politik machen. Und Merkel schweigt sich durch.

Die Mehrheit in der CDU freut’s, die Mittelstandsvereinigung und den Wirtschaftsrat einmal ausgenommen. Die werden ihren Ohren nicht trauen – aber sie trauen sich noch nicht zu widersprechen. Lieber regieren als opponieren. Aber der ungute Grundton des absoluten Vorrangs der Wirtschaft, der bisweilen auch so seltsam undemokratisch klang, ist verhallt. Jetzt sagt Merkel selbstbewusst, dass die Globalisierung einen Ordnungsrahmen braucht, und ein alter Wahlkämpfer wie Geißler kann sich freuen. Damit nämlich kann man Wahlen gewinnen, das hat er ihr gesagt, schon vor der Wahl, bei der die CDU mit Merkel das Ergebnis erreichte, mit dem Kohl 1998 abgewählt wurde. Das würde heute so nicht mehr passieren; die Kanzlerin redet anders, handelt anders, und die CDU ist eine Kanzlerinpartei. Marktradikalismen sind so schnell nicht mehr zu erwarten. Sie rentieren sich nicht. Die Ideen des Merz sind auch schon vorüber. Selbst die Gewerkschaften sind zufrieden, und das will was heißen. Es hätte schlimmer kommen können, nicht?

Es bleibt: ein Paradox. Fast alles, was vorher als falsch beschrieben wurde, wird heute gemacht. Fast alles, was früher Aufregung hervorrief, wie fünf Millionen Arbeitslose, wird heute, nach 100 Tagen, ziemlich gelassen registriert. Und wenn die Kanzlerin mit ihrer Koalition Glück hat, haben sie damit Erfolg. Abgesehen davon, dass Merkel sich vor der Wahl geirrt hätte – sei’s drum, frei nach Barzel, auch einem alten CDU-Granden: In aller Bescheidenheit, es geht um Deutschland. Und wenn sie keinen Erfolg haben, die Koalitionäre, dann hätte Merkel ihre vorher zum einzig möglichen Prinzip erhobene Politik geopfert. Ob es Leute in der Koalition gibt, die darin eine Chance sehen?

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