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Mit einem Aktenordner verdeckt Ayoub B. (27) beim Prozessauftakt in Celle sein Gesicht.

© Holger Hollemann/AFP

Aus Wolfsburg nach Syrien: "Ich will mit dem IS nichts zu tun haben"

Er wollte nach Drogenproblemen und Spielsucht in einer Islam-Schule angeblich zu sich selbst finden - und geriet an den IS. Nun steht der gebürtige Wolfsburger Ayoub B. gemeinsam mit Ebrahim H. in Celle vor Gericht.

Vom Schulabbrecher, Dauerkiffer und Zocker zum Terrorkämpfer beim „Islamischen Staat“ (IS)? Fast zwei Stunden schildert der gebürtige Wolfsburger Ayoub B. über eine von seinem Verteidiger Dirk Schoenian verlesene Erklärung am Montag zum Auftakt des Terrorprozesses vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle, wie er über die Türkei nach Syrien gereist sei, um dort nach Drogenentzug, Job-Problemen und Spielhallenbesuchen in einer Islam-Schule zu sich selbst zu finden. Wie er stattdessen – nur widerwillig und zum Schein - dort im Sommer 2014 zwei Ausbildungslager absolviert habe. Wie er von den IS-Leuten permanent kontrolliert und drangsaliert worden sei. Wie er sich beim Transport von verkohlten Leichen und schreienden Verletzten mehrfach habe übergeben müssen. Wie er nach zweieinhalb Monaten voller Todesängste seine misstrauisch gewordenen IS-Bewacher überlistet habe und abgehauen sei. Wie er „in Aladin-Hose und Gummilatschen“ und notdürftig rasiert durch den Irak über die Türkei zurück nach Deutschland geflohen sei. Wie er sich hier der Polizei anvertraut habe und dennoch völlig überraschend in Untersuchungshaft genommen worden sei.

„Ich will mit dem IS nichts zu tun haben, ich bin weder Dschihadist noch Salafist. Am liebsten hätte ich einfach die Zeit vergessen gemacht“, lauten die Schlusssätze der 53-seitigen Erklärung des 27-Jährigen. „Aber mittlerweile habe ich begriffen, dass ich nicht in mein altes Leben zurückkehren kann, auch wenn dies mein sehnlichster Wunsch ist.“

Sitzt da hinter Panzerglas im Hochsicherheitsaal des OLG also der reuige Sünder, vielleicht auch der naive Versager, der irgendwie in die Fänge der islamistischen Terrororganisation geraten ist? Der Deutsch-Tunesier bewegt sich unruhig hin und her, bestätigt dem Gericht mit einem knappen „ja, natürlich“, dass all das Vorgelesene auch wirklich seinen Angaben entspräche.

„Ayoub sieht sich nicht als Aussteiger, weil er gar nicht eingestiegen ist“, erklärt danach sein Anwalt; an Kampfhandlungen in Syrien habe er schließlich nie unmittelbar teilgenommen.

Sein 26-jähriger Mitangeklagter Ebrahim H. hatte sich bereits im Vorfeld des Prozesses in einem Fernsehinterview des Norddeutschen Rundfunks vom IS distanziert. Der Staatsschutzsenat lässt die ungeschnittene Version des Auftritts über zwei Leinwände im Gerichtssaal laufen. Dort nennt Ebrahim H. Ärger mit seinen Schwiegereltern in spe als Motiv für seine Ausreise, schildert die hohen, später aber schwer enttäuschten Erwartungen an den IS.

„Ob die Angeklagten die Wahrheit sagen und sie sich tatsächlich vom IS losgesagt haben hat, muss die Beweisaufnahme zeigen“, meint dagegen die Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Claudia Gorf, scheinbar unbeeindruckt. Die Ermittlungsbehörde wirft den beiden Wolfsburgern Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach den Paragrafen 129a und 129b des Strafgesetzbuches, Ayoub B. zusätzlich Vorbereiten einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach Paragraf 89a vor. Die Bundesanwälte zweifeln aufgrund etlicher Anhaltspunkte die Aussteiger-Geschichten an.

Zunächst 32 Verhandlungstage bis Weihnachten hat der Vorsitzende Richter Henning Meier anberaumt; dabei sollen etliche Zeugen, auch aus dem Wolfsburger Umfeld, vernommen werden. Rund 20 junge Menschen sind von dort in die Kampfgebiete gereist. Angeworben von einem „falschen Prediger“, der teure Autos und jeweils vier Frauen versprochen habe, wie Ebrahim H. in seinem TV-Interview berichtet. Mit Religion habe er vorher nichts am Hut gehabt.

Das erklärt auch Ayoub B., mittlerer von fünf Söhnen eines Tunesiers, der Mitglied einer gemäßigten Moschee-Gemeinde ist und dort vehement gegen den Irrsinn des IS zu Felde zieht. „Zuhause war ich das Sorgenkind“, erzählt der Angeklagte mit Blick auf seine Schwierigkeiten in Schule, Ausbildung und Beruf. Seine Brüder hätten studiert oder gute Jobs gehabt, er war Tellerwäscher in einer Pizzeria. Die Wolfsburger Gruppe habe ihm dann Struktur gegeben. „Plötzlich war ich nicht mehr der Underdog.“

Den Kontakt zur Familie brach Ayub B. allerdings nie ab. Von Syrien aus chattete er mit seinen Brüdern, skypte aus Internet-Cafés mit seiner Mutter. Der Vater holte ihn schließlich am 19. August 2014 aus der Türkei ab.

Das ihm von der Polizei angebotene Zeugenschutzprogramm in Anonymität gegen vollständiges Auspacken sei ihm „nicht so verlockend“ vorgekommen, lässt der Angeklagte das Gericht wissen. „Ich kann mir ein Leben ohne Familie nicht vorstellen.“

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