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Der 94-jährige Oskar Gröning ließ seine Aussage vorlesen, weil er sich durch den Prozess zu sehr geschwächt fühlte.

© Philipp Schulze/Reuters

Auschwitz-Prozess: "Um Vergebung kann ich nur meinen Herrgott bitten"

Der Prozess gegen den "Buchhalter von Auschwitz" neigt sich dem Ende zu. In seiner erneuten Aussage bekennt sich Oskar Gröning noch einmal zur Mitschuld am Holocaust.

Der Angeklagte betritt den Gerichtssaal mit einem Rollator. Zwei Sanitäter stützen ihn, damit er ein paar Stufen hinuntergehen und zu seinem Platz gelangen kann. Durch die goldumrandete Brille lässt Oskar Gröning kurz den Blick durch die Reihen der Zuhörer wandern. Im Saal ist es voller als an den vergangenen Prozesstagen, weil Gröning an diesem Tag zum zweiten Mal aussagen soll. Vor den mehr als 100 Zuhörern und Journalisten sitzt ein Greis, der aber der Verhandlung an diesem Tag aufmerksam folgen wird. Vor dem Landgericht Lüneburg muss sich Gröning, der vor drei Wochen 94 Jahre alt wurde, wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Menschen im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verantworten. Auch mehrere Nebenkläger sind noch einmal gekommen, um die Aussage des „Buchhalters von Auschwitz“ zu hören.

Aussagen der Überlebenden sind ihm nahegegangen

Doch anders als zum Auftakt des Prozesses spricht Gröning nicht selbst, er lässt seine Anwältin Susanne Frangenberg eine Erklärung verlesen.  Das Verfahren habe Gröning „außerordentlich stark beansprucht“, sagt sein Verteidiger Hans Holtermann zur Begründung. Die Aussagen der Nebenkläger sind dem Angeklagten nahe gegangen. So sehr, dass er nun nicht mehr selbst das Wort ergreifen will.  „Die Schilderungen der Überlebenden und der Angehörigen der Opfer haben mich stark beeindruckt“, lässt Gröning erklären.  Der Prozess hat ihn sieben Jahrzehnte nach Kriegsende offenbar auf neue Weise mit dem Massenmord in Auschwitz und dem dadurch verursachten unermesslichen Leid konfrontiert. „Mir ist das Geschehen damals in Auschwitz noch einmal unmittelbar vor Augen getreten. Das Leiden der Deportierten in den Zügen, die Selektion und anschließende Vernichtung der meisten Menschen ist mir hierdurch noch einmal in aller Deutlichkeit bewusst geworden.“  Das massenhafte Morden sei ihm durch seine Tätigkeit in Auschwitz und aus seiner späteren Beschäftigung mit dem Holocaust bekannt gewesen. „In den hier geschilderten Einzelheiten waren mir viele Vorgänge jedoch nicht bewusst“, heißt es in Grönings Erklärung.

Vor Gericht bekannte sich der ehemalige SS-Unterscharführer zu einer Mitschuld: „Auch wenn ich unmittelbar mit diesen Morden nichts zu tun hatte, habe ich durch meine Tätigkeit dazu beigetragen, dass das Lager Auschwitz funktionierte. Das ist mir heute bewusst.“ Dadurch habe er sich „am Holocaust mitschuldig gemacht“.

In seiner Erklärung beschreibt Gröning noch einmal seine Tätigkeit in Auschwitz. „Meine Hauptaufgabe lag darin, Gelder der Häftlinge zu verwalten. Da ich mich mit fremden Währungen auskannte, war ich für die Devisen zuständig.“ Dass dieses Geld aus dem Gepäck der Ermordeten stammte, wusste der SS-Mann Gröning. „Neben dem alltäglichen Dienst in der Bürostube wurden wir immer mal wieder zum Dienst auf der Rampe eingesetzt.“ Dort bewachten die SS-Leute das Gepäck.

Dienst an der Rampe

Gröning betont allerdings erneut, er sei nur zwei- bis dreimal an der Rampe gewesen, als im Sommer 1944 die Züge mit aus Ungarn deportierten Juden eintrafen. Nach seinen Angaben wurde er dafür nie offiziell eingeteilt, er sei nur für andere SS-Männer eingesprungen. Nach Angaben eines Sachverständigen mussten jedoch bei Ankunft der Züge aus Ungarn nahezu alle SS-Männer an die Rampe.

„Letztlich war ich froh, so wenig wie möglich an der Rampe Dienst tun zu müssen.“ Bis heute ließen ihn die Erlebnisse dort nicht los. Am ersten Prozesstag hatte Gröning geschildert, wie ein SS-Mann ein Baby vor seinen Augen ermordet hatte.

Er habe während seiner Zeit in Auschwitz versucht, „sich rauszuhalten“ und sich auf die Verwaltung des Geldes beschränkt. „Es fand bei mir eine Verdrängung statt, die mir bis heute unerklärlich ist.“ Vielleicht sei Ursache dafür seine Gewohnheit gewesen, Tatsachen hinzunehmen und später zu verarbeiten. „Vielleicht war es aber auch die Bequemlichkeit des Gehorsams, zu dem wir erzogen waren und der Widersprüche nicht zuließ.“ Dieser anerzogene Gehorsam habe verhindert, dass er und die anderen SS-Männer gegen die „tagtäglichen Ungeheuerlichkeiten“ rebellierten. „Es ist nach heutigen Maßstäben nicht zu fassen.“

Gröning entschuldigt sich bei Nebenklägern für seine Wortwahl

In seiner Aussage weist Gröning ausführlich darauf hin, dass er in Auschwitz dreimal um Versetzung an die Front ersucht habe. Auch als er bereits Heiratspläne hatte, habe er sich weiter darum bemüht, sagt er. In den überlieferten Akten der SS finden sich allerdings keine Versetzungsgesuche.

Am Ende entschuldigt sich Gröning bei den Angehörigen der Opfer für die Wortwahl in seiner ersten Aussage. Er habe Formulierungen verwendet, wie sie unter den SS-Angehörigen in Auschwitz üblich waren, aber nicht bedacht, wie furchtbar diese Worte besonders auf die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer wirken müssten. Diese Äußerungen entsprächen nicht seiner heutigen Auffassung.

Wie in seiner ersten Aussage betont Gröning noch einmal seine Demut und Reue gegenüber den Überlebenden und Angehörigen der Ermordeten. Um Vergebung hat er jedoch nach eigenen Angaben bewusst nicht gebeten. „Angesichts der Dimension der in Auschwitz und anderswo verübten Verbrechen steht mir meiner Auffassung nach eine solche Bitte nicht zu. Um Vergebung kann ich nur meinen Herrgott bitten.“

Die Auschwitz-Überlebende Irene Weiss, die am Mittwoch als Nebenklägerin aussagte und über die Ermordung ihrer Eltern und ihrer vier Geschwister berichtete, zeigte sich wenig beeindruckt von Grönings Erklärung. „Er war sich dessen, was in Auschwitz passierte, voll bewusst“, sagte die 84-Jährige dem Tagesspiegel. Seine Erklärung über seine eigene Beteiligung hätte deutlicher ausfallen müssen, findet sie.  Der Überlebende Andrew Sternberg sagte, für Oskar Gröning sei Auschwitz der sicherste Ort gewesen. An der Front hätte er dagegen sterben können. „Er war ein Opportunist, der den Krieg überleben wollte.“

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