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Politik: Ausgebremst

Die Opposition will Neuwahlen. Aber wie sie aus der SPD-Krise eine Regierungskrise machen soll, weiß sie nicht

Von Robert Birnbaum

NACH SCHRÖDERS RÜCKZUG

Nach außen hin ist die Linie klar: Für die Opposition ist der Rückzug Gerhard Schröders vom SPD-Vorsitz das Eingeständnis des Scheiterns und der Kanzler nunmehr nur noch Kanzler von Gnaden seines künftigen Parteichefs Franz Müntefering. CDU-Chefin Angela Merkel, die in einer ersten Reaktion eher sibyllinisch den „Anfang vom Ende“ der Regierung Schröder prophezeit hatte, übernahm in einem „Welt am Sonntag“-Interview die harte Linie, mit der CSU, FDP, aber auch Parteifreunde wie der Hesse Roland Koch sofort auf die Machtverschiebung im Regierungslager reagiert hatten: „Neuwahlen so schnell wie möglich“ verlangt nun auch Merkel, denn: „Wer schon die eigenen Anhänger nicht von seiner Politik überzeugen kann, der kann erst recht nicht die Menschen in Deutschland auf dem notwendigen Reformweg mitnehmen.“ Von Müntefering sei auch eher eine Reformbremsung zu erwarten als mutiges Voranschreiten: Der stehe für Forderungen nach Ausbildungsplatzabgabe oder Erbschaft- und Vermögensteuer, und er solle offenkundig die SPD auf niedrigem Niveau wetterfest machen.

Ins gleiche Horn stößt der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt: Müntefering sei ein honoriger Mann, von ihm seien aber notwendige Modernisierungen nicht zu erwarten. Und Schröder werde bei der SPD immer weniger imstande sein, wichtige Veränderungen durchzusetzen. Partei und Regierung würden sich machtpolitisch und programmatisch auseinander entwickeln: „Das geht auf eine Rutschbahn“, sagt Gerhardt voraus.

Hinter vorgehaltener Hand sieht man in der Opposition die denkbaren Folgen der Personalrochade auf der Gegenseite durchaus differenzierter. „Das hat Potenzial in beide Richtungen“, vermutet ein Freidemokrat. Möglich, dass sich Müntefering für Schröder irgendwann als „Bombe“ erweise, möglich aber auch, dass es mit diesem „Verzweiflungsschritt“ gelinge, SPD und Regierung wieder stärker aufeinander auszurichten. Was aber voraussetze, dass Müntefering totale Loyalität übe – was wiederum schwierig werden könne, wenn die Wünsche aus der Partei konträr zu den Plänen der Regierung gerieten. Dieses Szenario hat auch Merkel im Blick, wenn sie unkt: „Die SPD-Basis weiß jetzt, sie braucht nur aufzumucken, und schon werden ihre Wünsche erfüllt.“

Auch in CDU und CSU mischen sich in die unverhohlene Freude darüber, dass Schröder sich selbst habe demontieren müssen, gewisse Zweifel, ob die „Notoperation“ nicht der Opposition das Geschäft schwieriger machen könnte. Dass die Regierung in Kürze scheitert, glaubt im Ernst in der Union niemand. Aber es sei sicherlich „etwas eher möglich“ geworden als vorher, dass die Koalition nicht mehr bis 2006 durchhalte, vermuten CDU-Führungsleute. Dadurch droht die alte, seit der Einigung im Vermittlungsausschuss vorerst erledigt geglaubte Strategiedebatte in der CDU wieder aufzuflammen: Blockade und hartes Kontra oder „konstruktive Opposition“. Auch die Kanzlerkandidaten-Frage könnte nach Einschätzung aus der Union wieder vermehrt in den Blick geraten – ganz egal, ob sie aktuell sei oder nicht.

Dies umso mehr, als nach Einschätzung etlicher Oppositionspolitiker nach dem Coup vom Freitag auch auf der Regierungsseite die Karten neu gemischt sind. „Dass Schröder 2006 wieder als Spitzenkandidat antreten wird, ist jetzt jedenfalls nicht mehr völlig sicher“, sagt ein führender Unionsmann. In die gleiche Richtung weist die Vermutung eines anderen, dass die Stimmung bleiben werde, „dass die Leute Schröder nichts mehr abnehmen“. Diese Stimmung zu erhalten und zu verstärken, nennt ein FDP-Mann die Hauptaufgabe der Opposition. Man werde natürlich nicht Müntefering, sondern weiter den Kanzler als Hauptgegner angreifen: „Unser Ziel muss es sein, aus der Parteienkrise eine Regierungskrise zu machen.“

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