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Update

Außenminister-Treffen: Neues Massaker setzt Syrien-"Freundesgruppe" unter Druck

Nach einem erneuten Massaker syrischer Milizionäre im Dorf Al-Kobeir nahe der Stadt Hama sind die wichtigsten Außenminister der Syrien-„Freundesgruppe“ ratlos. Immer lauter werden die Rufe nach einer militärischen Lösung. Unterdessen geraten auch die UN-Beobachter in Gefahr.

Die kleinen leblosen Körper der Kinder sind mit Eis bedeckt. Die jüngsten Opfer des Massakers von Al-Kobeir sollen dort liegen bleiben, wo sie die letzten schrecklichen Minuten ihres kurzen Lebens verbracht haben. So wollen es die Aktivisten. Sie hoffen, dass die UN-Beobachter die neuesten Gräueltaten der Milizen dokumentieren - damit sich die Weltgemeinschaft entschließt, Präsident Baschar al-Assad mit Gewalt zu entmachten.

Aber auch die UN-Beobachter sind in Gefahr: Bei ihrer Untersuchung eines neuen Massakers in der Provinz Hama sind sie unter Beschuss geraten. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sagte am Donnerstag vor der UN-Vollversammlung in New York, die Beobachter seien auf dem Weg zu den Nachbardörfern Al-Kubeir und Maasaraf angegriffen worden, in denen syrische Regierungstruppen und Milizen nach Opppositionsangaben dutzende Menschen getötet haben sollen. Ban nannte das Massaker „schockierend und widerwärtig“ und erklärte, Syriens Staatschef Baschar al-Assad habe „jede Legitimität verloren“.

Vom Massaker veröffentlichte die Opposition in der Nacht danach die ersten Videobilder. Der Angriff auf den kleinen Weiher außerhalb des Dorfes Marsaf sei nach dem gleichen Muster abgelaufen wie das Massaker von Hula vor drei Wochen, erklären die Aktivisten. Erst bombardierte die Armee eine Stunde lang. Dann wurden aus dem benachbarten Dorf Al-Asile Milizionäre angekarrt, die jeden niedermetzelten, den sie finden konnten.

„In Al-Haffa in der Provinz Latakia lief gestern eine ganz ähnliche Operation. Doch dort gelang es Widerstandskämpfern, mehrere Milizionäre zu verwunden, weshalb die Aktion dann erst einmal abgebrochen wurde“, erklärt ein pensionierter General, der mit der Opposition sympathisiert. Während seiner aktiven Zeit beim Militär hat er mit der Schabiha-Miliz auch selbst Erfahrungen gesammelt: „Sie haben hauptsächlich vom Schmuggel gelebt. Gelegentlich überfielen sie Bauernhöfe und vergewaltigten dort die Frauen.“

Die Nachricht aus Al-Kobeir macht auch im Dolmabahce-Palast in Istanbul die Runde. Hier sitzen gerade die wichtigsten Außenminister der Syrien-„Freundesgruppe“ zusammen, um wieder einmal über einen Ausweg aus der Krise zu beraten. Hillary Clinton ist dabei, Frankreichs neuer Chef-Diplomat Laurent Fabius und Guido Westerwelle – aber kein Vertreter des Schlüsselakteurs Russland.

Deutsche sind entschiedene Gegner eines Militäreinsatzes

US-Außenministerin Clinton sagte während des Strategie-Treffens westlicher und arabischer Staaten in Istanbul, dass die anhaltende Gewalt in Syrien „widerlich“ sei. Bei einigen der in Istanbul vertretenen Staaten wurden Zweifel an der Umsetzbarkeit des von Clinton vorgestellten Plans für einen Regimewechsel in Syrien und eine Zukunft des Landes ohne Assad laut. Wenn Syriens Präsident ins Exil gehe, sei das gut, sagte ein Teilnehmer der dreistündigen Beratungen am Bosporus. Allerdings sei derzeit noch unklar, „ob die Syrer damit leben können“.

Die Istanbuler Runde sprach nach türkischen Angaben unter anderem über die „Koordination eines effizienten und glaubwürdigen Übergangsprozesses für ein demokratisches Post-Assad-Syrien“. Die Gruppe der „Freunde Syriens“ will ihre Kontakte zu den zerstrittenen syrischen Regimegegnern verstärken und versuchen, die Opposition zu einen. Anfang Juli soll es in Paris weitere Beratungen geben.

Clinton sagte, eine Zusammenarbeit mit Russland sei möglich, solange der Rücktritt Assads als Ausgangspunkt akzeptiert werde. In Istanbul wurden deshalb Äußerungen aus der russischen Regierung zu einem möglichen Machtverzicht von Assad aufmerksam registriert. Vize-Außenminister Gennadi Gatilow hatte gesagt, dass Russland nie auf einem Verbleib des syrischen Präsidenten im Amt bestanden habe. Das Einzige, vor dem Assad wirklich Angst habe, sei, dass er die Unterstützung Russlands verliere, sagte ein Spitzendiplomat nach den Beratungen in Istanbul.

Auch Westerwelle betonte die Schlüsselrolle Russlands in dem Konflikt, der seit dem Frühjahr 2011 mehr als 10 000 Menschen das Leben gekostet hat. Die Assad-Gegner in der internationalen Gemeinschaft müssen laut Westerwelle „weiter das Gespräch mit Russland suchen“. Der Minister bekräftigte seine Warnung vor einem Übergreifen des Syrien-Konflikts auf den Libanon. „Die Gefahr, dass auch die Nachbarstaaten angesteckt werden, ist groß“, sagte Westerwelle vor seiner Weiterreise aus Istanbul nach Beirut. „Es muss alles getan werden, damit der Konflikt nicht weiter exportiert wird.“ Das Bundeskabinett hatte erst am Mittwoch beschlossen, den Marine-Einsatz der Bundeswehr vor der libanesischen Küste um ein weiteres Jahr zu verlängern.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu betonte, die Türkei sei entschlossen, in Syrien „bis zum Ende“ auf die Diplomatie zu setzen. Allerdings gebe es für Ankara noch wichtigere Dinge als die Diplomatie: die Sicherheit der syrischen Bevölkerung und die nationale Sicherheit der Türkei. Deshalb müssten „alle Alternativen“ erwogen werden. Die Türkei behält sich die Einrichtung einer militärisch gesicherten Pufferzone auf syrischem Gebiet vor, falls sich eine massive Flüchtlingswelle aus dem Nachbarland abzeichnen sollte.

Bilder vom blutigen Aufstand gegen Assad

Die Deutschen gehören dagegen weiterhin zu den entschiedensten Gegnern einer militärischen Lösung. Immer noch hofft man darauf, Russland könne dem Assad-Regime seine Unterstützung entziehen. Dann könnte der Weg frei sein für eine „Jemen-Lösung“: Das heißt, Assad geht ins Ausland und überlässt seinem bisherigen Vize das Feld. Inzwischen kursiert auch ein Szenario, wie das ablaufen könnte.

Demnach gäbe es auf Einladung des UN-Sondergesandten Kofi Annan bald ein Treffen der fünf Veto-Mächte mit einigen anderen wichtigen Staaten. Dort könnte dann eine Resolution des Sicherheitsrates auf Grundlage von Kapitel VII Artikel 41 der UN-Charta vorbereitet werden - nicht nur regionale, sondern weltweite Sanktionen gegen das Regime, aber „unter Ausschluss von Waffengewalt“.

Zwei Voraussetzungen müssten dafür allerdings erfüllt sein: Die Veto-Mächte China und Russland machen mit und Assad müsste zum Gang ins Exil bereit ist, nach Russland vielleicht oder auch in den Iran. Die syrische Opposition hält dies für wenig realistisch.

Ein Dissident, der in die türkische Grenzprovinz Hatay geflohen ist, sagte: „Ein Präsident, der sogar den Tod enger Verwandter geheim hält, nur um sein Image als starker Mann nicht zu gefährden, ist zu einem solchen Schritt nicht bereit.“

(mit dpa)

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