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Gespräche am Nil. Außenminister Guido Westerwelle und der ägyptische Verteidigungsminister Mohammed Tantawi. Westerwelle traf in Kairo auch mehrere Oppositionelle. Foto: Michael Kappeler/dpa

© dpa

Außenpolitik: Minister für Herausforderung

Die Krisen im arabischen Raum bieten Guido Westerwelle die Chance, seine Kompetenz als Außenminister zu beweisen. Bei seinem Besuch in Kairo bemüht er sich bereits um gute Beziehungen.

Von Hans Monath

Dirk Niebel hat in der Menschenmenge schon den Überblick verloren. „Where do I find my foreign minister“ („Wo finde ich meinen Außenminister“), fragt der Entwicklungsminister die Ägypter, die am Rand des Tahrir-Platzes in Kairo am Donnerstagmittag dicht gedrängt um ihn stehen. Wenig später steigt dann tatsächlich Guido Westerwelle an dem Platz aus seinem Wagen, auf dem die Ägypter ihre Freiheit erkämpft haben. Doch plötzlich wird die Menge aufmerksam. Hunderte von jungen Männern wollen dem Gast eine Botschaft übergeben oder ihn wenigstens begrüßen. „Hier wurde ein Stück Weltgeschichte geschrieben“, sagt Westerwelle. Er sei bewegt, nun selbst hier zu sein. Obwohl wohl die wenigsten ihn verstehen, wird geklatscht, dann heben Sprechchöre an: „Kopf hoch, sei stolz, dass du Ägypter bist“, skandiert die Menge.

Westerwelle kann sich kaum mehr bewegen vor lauter Kameras und Dränglern, seine Leibwächter schwitzen. Aber er lässt sich nichts anmerken. Schon beim Anflug auf Kairo am Tag zuvor hatte er von diesem Ort geschwärmt, den er auch zuvor schon oft besucht hatte. Nach den Protesten für Freiheit werde man den Ort wohl „mit ganz anderen Vibrations im Herzen“ erleben, hatte er vorausgesagt. Jetzt ist er da, gemeinsam mit dem Entwicklungsminister und Ernst Burgbacher, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Sie wollen Hilfe anbieten beim Aufbau der Demokratie.

So schnell sind die Dinge in Bewegung geraten, dass die Diplomatie mit ihren Reisen kaum nachkommt. In Tunis, wo der Funke der Freiheit zuerst zündete, war Westerwelle vor rund zehn Tagen. Nun geht es um Ägypten, das kulturelle und strategische Zentrum der arabischen Welt, dessen Entwicklung für die ganze Region beispielgebend sein könnte. Längst wankt auch das Regime Muammar al Gaddafis im Nachbarland Libyen.

Was genau dort los ist, weiß offenbar nicht einmal der deutsche Außenminister. Doch die vielen Hinweise auf das Ausmaß der Gewalt, die aus Benghasi oder Tripolis kommen, reichen für sein Urteil. Kein Mensch kann ausschließen, dass das Land im Chaos versinkt. Das Land, das Westerwelle gerade besucht, wäre als Nachbar schwer betroffen.

Wie ernst die Lage ist, wurde schon am Abend zuvor deutlich beim Anflug des deutschen Regierungsflugzeuges auf Ägypten hoch über dem nächtlichen Mittelmeer. Drei Stunden nach dem Start in Berlin bitten die Piloten gegen 19 Uhr 30 den Minister nach vorne ins abgedunkelte Cockpit. Seit einer Viertelstunde sehen sie durch das rechte Fenster eine stakkatohafte Abfolge von hellen Blitzen. Rund 600 Meilen oder 850 Kilometer sind sie in diesem Moment von der libyschen Küste entfernt. Der Abgleich mit dem Radar ergibt, dass das ungewöhnliche Ereignis sich östlich der libyschen Stadt Benghasi nahe der ägyptischen Grenze, womöglich in der Hafenstadt Tobruk, ereignen muss. Ein Wetterphänomen schließen die Piloten aus.

Westerwelle zwängt sich hinter den Pilotensitz und starrt an den Instrumententafeln vorbei in die Dunkelheit. Ein Passagier mit militärischer Erfahrung tippt auf Artilleriefeuer oder Bombenabwürfe. Nachrichten über angebliche Angriffe Gaddafis auf Ölanlagen verbreiten auch arabische Medien, wie das Lagezentrum des Auswärtigen Amtes bestätigt. Weitere hektische Telefonate aus dem Regierungsflugzeug bringen aber keine Klärung. Allein die Vorstellung, dass er in diesem Moment über dem nächtlichen Mittelmeer womöglich Zeuge wird, wie ein Diktator sein Volk abschlachtet, geht dem Außenminister sichtlich nahe. Als er nachher im Gang mit Mitarbeitern und Journalisten zusammensteht, schüttelt er immer wieder den Kopf und presst die Lippen hart zusammen. Er wirkt in diesem Moment nicht wie der Guido Westerwelle, über den die überwiegende Mehrheit der Deutschen ihr Urteil längst gefällt hat. Denn es gibt Anzeichen dafür, dass sich Westerwelles Rolle als Außenminister in der großen Krise verändern könnte. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass er selbst diese Chance erkannt hat.

Als Mubarak sich noch an sein Amt krallte, da vermissten viele eine knallharte Abrechnung Deutschlands und der EU mit dem Machthaber. Westerwelle musste sich von einem FDP-Vorstandsmitglied den Vorwurf gefallen lassen, gerade die dem Wert der Freiheit besonders verpflichteten Liberalen liefen Gefahr, „unser Rendezvous mit der Geschichte zu versemmeln“. Doch das ist drei Wochen her, und inzwischen ist viel passiert. Mit seiner Reise zur Befreiung der gefangenen Journalisten aus dem Iran am vergangenen Wochenende ging der Chefdiplomat ein hohes Risiko ein. Doch es hat sich gelohnt, und in der schwierigen Situation verhielt er sich hoch professionell, wie erfahrene Diplomaten loben. Kaum war der Außenminister in Berlin zurück, durfte er am Sonntagabend den Einzug der FDP in die Hamburger Bürgerschaft feiern. Schon diese Erfolge waren für Westerwelle wichtig, denn mit den bisherigen Schwerpunkten seiner Arbeit im Auswärtigen Amt hatte er wenig öffentliche Wirkung erzielt. Seinen Kampf um ein konkretes Abzugsdatum für Afghanistan, seine besondere Aufmerksamkeit für kleine EU-Länder oder sein Engagement für Abrüstung blieben Themen für Spezialisten.

Nun aber könnte Nordafrika zu dem Arbeitsfeld heranwachsen, in dem er glaubhaft für Werte-Politik und die Durchsetzung deutscher Interessen streitet. Die Lage ist offen, die Herausforderung verlangt nicht nur diplomatisches Geschick, sondern Instinkt, Mut und, auch, Leidenschaft. Wer Westerwelle dieser Tage im kleinen Kreis über die Unterdrückung des libyschen Volkes durch seinen „Revolutionsführer“ reden hört, spürt plötzlich Leidenschaft. Er habe Westerwelle in der Außenpolitik „selten so emotional“ erlebt wie in diesen Tagen, sagt einer aus der Ministeriumsspitze.

Es gab Kritik daran, dass die EU zum Umbruch in Nordafrika lange keine gemeinsame Strategie fand. Auch im Auswärtigen Amt haben sich viele über die EU-Außenbeauftragte Lady Ashton geärgert. Im Umgang mit Libyen, wo Gaddafi Demonstranten massakrieren und bombardieren lässt, schien Anfang der Woche eine neue Blockade zu drohen. Die Italiener bildeten mit Malta und Zypern einen Block, der indirekte Unterstützungserklärungen für den irren Diktator verlangte.

Doch diesmal wollte Westerwelle sich nicht blockieren lassen. In Abstimmung mit anderen EU-Partnern folgte eine harte Reaktion. Deutschland drohte am Dienstag unmissverständlich Sanktionen für den Fall an, dass die Gewalt nicht gestoppt würde. Die Drohung soll vor allem die moderaten Kräfte in Libyen ermutigen, sich vom Revolutionsführer abzusetzen. Weder auf freien Zugriff auf ihre Auslandskonten in der Schweiz noch auf einen beschaulichen Lebensabend im Familienanwesen an der Cote d’Azur oder im Tessin sollen die libyschen Eliten hoffen dürfen, falls die Gewalt weiter geht.

Daneben sind die deutschen Diplomaten stolz darauf, dass sie das Modell der „Transformationspartnerschaft“ erfolgreich in die EU implantiert haben. Hinter dem sperrigen Begriff geht es um das Angebot, durch politische Stiftungen, wissenschaftlichen Austausch zum Aufbau der Demokratie beizutragen. Dieses Konzept pries Westerwelle gemeinsam mit Niebel auch in Kairo an. Schnell soll die Hilfe anlaufen, neue demokratische Parteien und Menschenrechtsaktivisten sollen gefördert und Investoren vermittelt werden, damit der Umbruch für die Menschen auch Rendite abwirft. 30 Millionen Euro hat das Entwicklungsministerium für erste Hilfsmaßnahmen für Nordafrika im Plan.

Der Wandel in Ägypten ist angeblich schon irreversibel. Das zumindest versicherten Westerwelles Gesprächspartner wie der Vorsitzende des Obersten Militärrates, Mohammed Tantawi, Ministerpräsident Ahmad Muhammad Schafik oder Außenminister Ahmed Aboul Gheit. Auch sollen die politischen Gefangenen freigelassen und der Ausnahmezustand aufgehoben werden. Ein aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat ist der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa. Der Politiker, so war aus der Delegation zu hören, sprach schon in der Rolle des Wahlkämpfers. Später dann traf Westerwelle noch mehrere Oppositionelle und Blogger, die den Wandel mit herbeigeführt haben.

Seinen Partnern versprach Westerwelle auch wirtschaftliche Hilfe: „Wir werden in Europa darüber reden, dass unsere Märkte geöffnet werden und leichter zugänglich sind für ägyptische Produkte.“ Dieses Versprechen durchzusetzen, dürfte innerhalb Europas noch ein harter Kampf werden. Sofort wirksam dagegen wird die Aufhebung der Reisewarnung für Ägypten durch das Auswärtige Amt, die Westerwelle in Kairo verkündete und die für die ägyptische Wirtschaft von großer Bedeutung ist. Die deutschen Ägypten-Urlauber, zu denen regelmäßig auch Westerwelle zählt, buchen die meisten Übernachtungen in dem Land.

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