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Politik: Außer Kontrolle

Das Gericht, dass den US-Geheimdienst überwachen soll, ist de facto machtlos.

Washington - Richter Reggie B. Walton gilt als Mann fairer, aber harter Entscheidungen. Seine wenig behütete Kindheit im Stahl-geprägten US-Bundesstaat Pennsylvania hat ihn, so wird er zitiert, den pädagogischen Nutzen von Angst erfahren lassen. Seine Urteile folgen keinen parteipolitischen Interessen, heißt es, wohl aber der Überzeugung, dass strenge Strafen abschreckend wirken. Er wurde von Ronald Reagan wie später noch einmal von George W. Bush ans Bezirksgericht in Washington D.C. berufen und spricht selbst wenig angetan vom „liberalen Establishment“. So einer wie Richter Walton ist kaum verdächtig, die Überwachungskompetenzen des US-Geheimdienstes NSA als überzogen in Frage zu stellen.

Walton ist seit Mai 2007 Mitglied des Fisa-Gerichts, das die Arbeit der NSA überwachen soll. Seit Februar dieses Jahres sitzt er dem Gericht vor. Und seit diesem Wochenende ist er zum Kronzeugen der Kritiker geworden. Die Kontrolle der NSA-Überwachungskompetenzen durch das Fisa-Gericht ist das zentrale Argument in der Rechtfertigungsstrategie des Weißen Hauses in der Affäre, die auf Grundlage der Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden seit drei Monaten die Welt beschäftigt. Nahezu jede kritische Frage in den Vereinigten Staaten zur Rechtmäßigkeit dessen, was die NSA im In- und Ausland überwacht, war in den vergangenen Wochen von der Obama-Regierung mit dem Verweis auf das Fisa-Gericht zurückgewiesen worden. Das Gericht kontrolliere, ob die NSA-Datenfilter im Sinne des Gesetzes eingesetzt würden und die Rechte der US-Bürger dabei unverletzt blieben. Die Frage, ob die Rechte der Bürger anderer Staaten durch den US-Geheimdienst beeinträchtigt werden, kann dieses Gericht nicht klären. Das ist Aufgabe eines jeden betroffenen Landes selbst.

Am Wochenende hat Reggie B. Walton in der „Washington Post“ erklärt, die Kapazitäten des Gerichts, dieser Aufgabe nachzukommen, seien begrenzt, es müsse sich darauf verlassen, dass die Regierung ihm mitteile, wenn die Überwachung amerikanischer Bürger jenseits der gesetzlichen Grenzen stattfinde. Das Gericht sei „gezwungen, sich auf die Korrektheit der dem Gericht überlassenen Information zu verlassen“, schrieb Walton in einer Erklärung. Das Fisa-Gericht ist weder mit dem technologischen Expertenwissen noch mit ausreichend Informationen oder genug Ressourcen ausgestattet, um tatsächlich zu überblicken, was die NSA macht und was davon rechtmäßig ist.

Das Bekenntnis des Richters unterminiert nicht nur die zentrale Verteidigungslinie der US-Regierung. Es wirft auch ein Schlaglicht auf eine Konstruktion westlicher Demokratien, die vielleicht in der Theorie, nicht aber in der Praxis funktioniert: die Kontrolle der Geheimdienste durch die Gewalten. In den USA wie auch in Deutschland haben die Kontrollgremien keine Chance, die ihnen übertragene Aufgabe tatsächlich zu erfüllen. Auch hier mangelt es an technischem Know-how und Personal. Seit Jahren wird in Berlin deshalb um eine Reform des Parlamentarischen Kontrollgremiums gerungen. Mit mäßigem Erfolg. Nach einer ersten unzureichenden Veränderung steht nach der Bundestagswahl nun die nächste Debatte darüber bevor. Barbara Junge

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