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Autobrandserie: Wahlkampf mit dem Feuer

In Berlin brennen immer wieder Autos, die Politik schlägt Alarm. Wie geht die Stadt mit den Anschlägen um?

In jeder der vergangenen vier Nächte haben in Berlin Autos gebrannt. Darüber, wer die Täter sein könnten und was sie antreibt, wird heftig spekuliert – Genaues weiß man nicht. Ob politische Motive dahinter stecken oder nicht – die Brandserie verunsichert die ganze Stadt. Die Ermittler scheinen zwischen Alarmismus und Hilflosigkeit zu schwanken, die Politik hat die Autobrände für den Wahlkampf entdeckt.

Werden die Brandanschläge zum dominierenden Wahlkampfthema?

Danach sieht es derzeit aus. Die brennenden Autos werden zum Transportmittel einer Sicherheitsdiskussion, und jeder redet mit. Sogar der Regierende Bürgermeister erklärte sich vor Tagen: „Der verwirrte Vandalismus, der sich in den vergangenen Nächten austobte, ist völlig unakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen“, so Klaus Wowereit. Darüber hinaus forderte er die Bürger zur „Wachsamkeit“ auf und sprach der Polizei sein Vertrauen aus. Soll heißen: „Wir machen das schon.“ Dass die Opposition um so radikaler aufrüstete, versteht sich. CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel erinnerte daran, dass die CDU vor Jahren schon eine Art bürgerliche Mobilisierung gegen Linksextremisten gefordert und außerdem stets den Personalabbau bei der Polizei kritisiert hatte. FDP-Vormann Christoph Meyer verlangte den Einsatz der Bundespolizei. Auch sollten Kräfte aus anderen Bundesländern angefordert werden. CDU und FDP stellten neue Wahlkampfplakate mit brennenden Autos vor. „Unanständig“ fand das Renate Künast, Spitzenkandidatin der Grünen. Sie sagte: „Wir ächten und verurteilen solche Straftaten. Das ist es dann aber auch.“

Die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers hält von den grassierenden Politikervorschlägen übrigens nichts, wie sie dieser Zeitung im Interview sagte: Mehr Personal sei kaum sinnvoll einzusetzen, bei den Ermittlungen sei nicht Quantität gefragt, sondern Qualität. Auch geht die Polizei davon aus, dass die wenigsten Autobrände politisch motiviert sind. Möglicherweise trägt auch die große öffentliche Resonanz auf die Brandanschläge dazu bei, dass das Zündeln gerade attraktiv für Nachahmungstäter wird. In Hamburg hatte die Polizei bei einer ähnlichen Brandserie vor einigen Monaten sämtliche Medien gebeten, möglichst zurückhaltend über diese Taten zu berichten, was in der Folge auch geschah. Im Pressedienst der Polizei wurde nicht mehr jeder Anschlag veröffentlicht. Dies habe zu einem „spürbaren Rückgang“ solcher Taten geführt, heißt es.

Lesen Sie auf Seite 2, wie das Thema Sicherheit frühere Wahlkämpfe beeinflusst hat.

Hat das Thema öffentliche Sicherheit frühere Wahlkämpfe entschieden?

Zweimal hat Sicherheit – im weiteren Sinn – Wahlkämpfe beeinflusst. Die Zeit vor der Wahl 1981 war geprägt von gewalttätigen Demonstrationen und vom Häuserkampf. Nur Wochen vor der Wahl wurde der Ku’damm teilweise in Trümmer gelegt. Die SPD verlor die Wahl, Richard von Weizsäcker wurde Bürgermeister. 1989 gab es vor der Wahl Debatten um die Frage, ob die AL das Gewaltmonopol des Staates akzeptiere. Lange lehnte der SPD-Spitzenkandidat Walter Momper die AL als potentiellen Partner ab.

2001 dürften die Zustände in Hamburg, angebliche rechtsfreie Räume und die Kampagne des „Richters Gnadenlos“ Ronald Schill den Wahlausgang stark beeinflusst haben. Zum laufenden Berliner Wahlkampf sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer, der Streit um die brennenden Autos könne durchaus der CDU und der FDP nützen. Sie dürften indes nicht überziehen und so polemisch mit dem Thema umgehen wie rechtsextreme Parteien. Wichtig für die Wahl werde der „Priming effect“ sein – das Thema, das in den letzten Tagen vor dem 18. September dominiert. Wer weiß, ob dann noch Autos brennen.

Was bedeuten die Anschläge für das Lebensgefühl in der Stadt?

Die Berliner Kabarettistin Gabi Decker läuft nachts nicht mehr so unbeschwert durch ihren Westend-Kiez. Seit in der Nacht zum vergangenen Dienstag auch bei ihr um die Ecke erstmals Autos in Serie brannten, fühlt sie sich vor der eigenen Haustüre unsicher. „Ich weiß ja nicht, ob plötzlich vor mir ein Auto hochgeht.“ Einem jungen Paar, das in der Nachbarstraße vor seinem verkohlten Wagen stand, hat Decker ihr Mitgefühl ausgedrückt. „Darüber kann ich keine Witze machen“, sagt sie.

Selbst in liberalen Kreisen ist plötzlich von Bürgerwehren die Rede. Lesen Sie weiter auf Seite 3.

Im Bötzowviertel in Prenzlauer Berg ging vor etwa acht Wochen erstmals ein Auto nachts in Flammen auf. „Das hat die gemütliche Kiezwelt vieler Familien, die hier neu zugezogen sind, doch irgendwie eingetrübt,“ sagen Anwohner. Zumal in den vorangegangenen Monaten ständig Kinderwagen in Hausfluren angezündet wurden. Selbst liberale Geister observieren plötzlich ihr Umfeld, entdecken an sich „eine Art Blockwart-Mentalität“, reden über Bürgerwehren. Manche schämen sich auch ein wenig für den eigenen Kiez, heißt es. Wer dennoch cool bleibt, nimmt sich zumindest für die Parkplatzsuche mehr Zeit – um möglichst ein Plätzchen zwischen Rostlauben zu finden.

Die Zündler haben es bisher aber nicht geschafft, den Berlinern den Spaß am Ausgehen zu verderben. Max Setrak, Inhaber des österreichischen Restaurants „Jolesch“ an der Muskauer Straße in Kreuzberg, sagt, seine Gäste seien nicht weniger geworden. Es nutzten aber mehr die BVG, und wer weiter mit dem Auto kommt, fragt an der Bar, ob die „Muskauer“ zum Parken sicher sei. Ähnlich sieht das auch Micaela Reske, Chefin der „Art&Champagne“-Bar am oberen Kurfürstendamm. Am Ku’damm brannte zwar noch kein Auto, aber ganz in der Nähe waren die Täter schon in der West-City unterwegs. An Micaelas Tresen beschäftigt das die Leute. „Viele fühlen sich hilflos ausgeliefert, sind verunsichert, weil die Polizei machtlos erscheint.“ Das gelte inzwischen auch für die Besitzer von Mittelklassewagen.

Garagenplätze sind derweil begehrter denn je. Von 2009 bis heute hat sich die Nachfrage nahezu verdoppelt. Das geht aus einer am Freitag veröffentlichten Statistik des Berliner Immobilienvermittlers „ImmobilienScout“ hervor. Derzeit erreichen die Firma jeden Monat rund 4700 Gesuche.

Welche Auswirkungen haben die Anschläge auf das Ansehen der Metropole Berlin?

„Imagefördernd sind die brennenden Autos nicht gerade“, sagt die Sprecherin des Hotel de Rome in Mitte. „Wir würden unseren Gäste diese Bilder gerne ersparen.“ Diese seien zwar nicht generell beunruhigt, aber „die Doormen haben in diesen Tagen die Autos vor der Tür ganz besonders im Blick.“ Den Berliner Gaststätten- und Hotelverband haben noch keine besorgten Anrufe von Touristen erreicht. Es habe auch noch keine Stornierungen wegen der brennenden Autos gegeben, sagt Thomas Lengfelder, der Geschäftsführer des Verbandes.

Die Wirtschaft haben Brandanschläge auf Autos schon vor der aktuellen Serie beunruhigt. Daimler habe sein Carsharing-Projekt car2go auch aus diesem Grund bisher nicht in Berlin gestartet, hieß es schon im vergangenen Jahr aus dem Konzern. Zwar kommen dabei nur Kleinwagen vom Typ Smart zum Einsatz, aber durch die Telematiksysteme an Bord und die steigende Verwendung von Elektromodellen haben sie einen Wert, der weit über dem der normalen Serienfahrzeuge liegt. Mercedes hatte zuletzt durchblicken lassen, dass die Einführung in Berlin für 2012 angestrebt werde.

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