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Klappe auf. Die Babyabgabestellen – hier in einer Klinik in Thüringen – sollten den Müttern Anonymität garantieren und Kindstötungen verhindern. Foto: Jens-Ulrich Koch/ddp

© dapd

Babyklappe: Die verlorenen Kinder

Rund 1000 Säuglinge kamen seit 1999 anonym zur Welt. Von vielen wissen Kliniken und Babyklappen nicht, was aus ihnen wurde.

Rund tausend Kinder wurden seit 1999 in einer Babyklappe oder einem Krankenhaus anonym abgegeben, bei einem Fünftel können die Träger nicht angeben, was aus ihnen geworden ist. Das geht aus einer Studie hervor, die das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in München jetzt vorgelegt hat. Für die Untersuchung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums wurden 344 Träger der Hilfsangebote und 591 Jugendämter befragt. Die Ergebnisse sind alarmierend: Es gibt keine gesetzliche Aufsicht, keine Pflicht zur Dokumentation und keine einheitlichen Verfahren. Es gibt keine Kontrollen. Nach der derzeitigen Praxis kann jedermann an seinem Privathaus eine Babyklappe anbringen. Er braucht dafür weder eine Betriebserlaubnis, noch muss er ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen.

Dass es vor allem private Vereine sind, die anbieten, Säuglinge anonym entgegenzunehmen, rief schon früh die Kritiker auf den Plan. Kinderschützer warnten vor Kinderhandel, Adoptionsexperten fürchteten einen „grauen Adoptionsmarkt“. Immer wieder wiesen Juristen darauf hin, dass sowohl Babyklappen als auch anonyme Geburten gegen geltendes Recht verstoßen. Trotz all dieser Bedenken wurden die anonymen Angebote bisher geduldet. Aufgekommen ist die Idee, als ein Hamburger Verein ein Mutter-Kind-Heim plante und sich überlegte, was man Frauen anbieten könnte, die dieses Angebot nicht erreicht. Für diese Frauen wollte der Verein ein Wärmebettchen einrichten. Es sollte in Notlagen ermöglichen, sich jederzeit sicher und anonym seines neugeborenen Kindes zu entledigen.

Die Idee wurde im August 1999 den Hamburger Behörden vorgestellt. Als vier Monate später ein Baby tot aufgefunden wurde, stellte der Verein sein Konzept kurzerhand der Öffentlichkeit vor. Unter dem Beifall der Medien und mit Unterstützung von zahlreichen Prominenten eröffnete im April 2000 die erste Babyklappe. Mittlerweile gibt es fast hundert, dazu kommen Kliniken in ganz Deutschland, die anonyme Geburten anbieten. Über die Praxis der Anbieter ist wenig bekannt, die DJI-Studie wollte Licht ins Dunkel bringen. Aber es ließ sich nicht einmal die exakte Zahl der anonym abgegebenen Kinder – insgesamt sollen es 973 sein – ermitteln. Das hat verschiedene Gründe.

Jeder fünfte Träger beteiligte sich nicht. Es konnten auch nicht alle Auskunft über die Anzahl der Fälle geben. Bei vielen Anbietern sei die Dokumentation mangelhaft, bei einigen finde sie überhaupt nicht statt, heißt es dazu in der Studie. In rund 200 Fällen konnten die Träger keine Angaben darüber machen, was aus den Kindern, die bei ihnen abgegeben wurden, geworden ist: „Für ein gutes Fünftel der anonym abgegebenen Kinder fehlen Informationen über den Verbleib.“ Die Anbieter wissen nicht, ob das Kind dauerhaft anonym blieb, ob es wieder zur Mutter kam oder ob es zur Adoption vermittelt wurde. „Es kann nicht sein, dass in Deutschland Kinder undokumentiert verschwinden“, schrieb deshalb die Bundestagsabgeordnete Beatrix Philipp (CDU) an ihren Fraktionsvorstand. Sie will, dass nach den Kindern gesucht wird. Von einer „boshaften Verfälschung“ der Studie spricht dagegen der Verein Sternipark.

Anders als sein Projekt „Findelbaby“, das einen ganzheitlichen Ansatz verfolge, beschränke sich eine Reihe von Trägern darauf, die Kinder in die Obhut des Jugendamtes zu übergeben. „Dass diesen Trägern dann weitere zuverlässige Informationen fehlen, wie die Jugendämter mit diesen Kindern weiter verfahren sind, ist naheliegend.“ Auch das Bundesministerium für Familie erklärt die Zahlen so: In der Regel meldeten die Kliniken eine Kindesabgabe an das Jugendamt.

Also alles halb so schlimm, weil die Jugendämter Bescheid wissen? Davon kann keine Rede sein. Die Jugendämter – auch bei ihnen wurden Fallzahlen abgefragt – wissen gerade einmal von 376 Fällen anonymer Kinder. Das wären mehr als 600 Fälle, die den Jugendämtern nicht gemeldet wurden – „eine sehr große Differenz bei den gemeldeten Fallzahlen“, heißt es dazu in der Studie. „Offenbar wurden Hunderte von Kindern ohne Beteiligung der Jugendämter zur Adoption vermittelt oder an die Mutter zurückgegeben“, vermutet die Klappenkritikerin Professor Christine Swientek. Der Staat nehme damit in Kauf, dass Kinder unter der Hand weitergegeben werden könnten. Sie verweist auf Fälle, in denen Mütter ihre Kinder zurückholen: Selten würde mit einer DNA-Analyse geprüft, ob es sich tatsächlich um die Mutter handele. Angaben über Aussehen des Kindes und den Zeitpunkt der Abgabe reichten. So könnten erfolglose Adoptionsbewerberinnen leicht ein Kind erhalten, es sogar als leibliches ausgeben.

Dass das anonyme System Schlupflöcher bietet, erzählt auch die ehemalige Mitarbeiterin eines Klappenbetreibers. Sie kennt einen Fall, in dem ein Neugeborenes direkt im Kreißsaal abgeholt und in eine andere Stadt gebracht wurde. „Wir haben das Kind mit dem Auto geholt und einfach behauptet, es habe in der Babyklappe gelegen.“ Babyklappen, sagt sie, seien nicht zu kontrollieren.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hat nun einen Gesetzesentwurf angekündigt. Anonyme Geburten sollen nicht mehr geduldet werden. Dafür soll es eine „vertrauliche Geburt“ geben, bei der die Mutter nicht anonym bleiben darf, ihre Daten aber besonders geschützt werden. Schröder hofft, Babyklappen damit überflüssig zu machen. Schließen will sie sie nicht. Und sie gesetzlich zu regeln, würde schwierig werden: Das Recht, seine Herkunft zu kennen, ist nämlich ein Grundrecht. Um es einzuschränken, müsste der Nachweis erbracht werden, dass Babyklappen das Leben von Neugeborenen tatsächlich retten. Dafür gibt es nicht einmal Hinweise. Die Zahl der Kindestötungen ist in den letzten Jahren nicht gesunken. Für die Rechtsanwältin Ulrike Riedel, Mitglied im Deutschen Ethikrat, gibt es daher nur eine Konsequenz: „Babyklappen müssen bundesweit sofort geschlossen werden.“ Der Ethikrat habe das schon vor zweieinhalb Jahren empfohlen.

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