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Babymord-Theorien: Böhmer fühlt sich falsch verstanden

Jetzt prangert Böhmer den "Focus" an: Das Magazin habe ihn unvollständig zitiert. Mit seinen Äußerungen zu Kindstötungen im Osten hatte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident zuvor einen heftigen Proteststurm ausgelöst. Ein SPD-Politiker nimmt Böhmer derweil in Schutz.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) hat dem Magazin "Focus" vorgeworfen, seine Äußerungen zu den Kindstötungen im Osten falsch wiedergegeben zu haben. Böhmer sagte dem Radio-Sender MDR 1 am Montag, er habe sich viel Mühe gegeben, zu der differenzierten und komplizierten Materie auch differenziert Auskunft zu geben.

Der "Focus" habe jedoch nicht das ganze Interview, sondern nur Teile seiner Antworten in einem Fließtext veröffentlicht. Dadurch sei ein Eindruck entstanden, den er nicht beabsichtigt habe. Böhmer sagte, er habe die Frauen im Osten keineswegs pauschal verurteilen wollen.

Tötung von Neugeborenen ein Mittel der Familienplanung

Böhmer hatte laut Focus die Häufung von Babymorden in Ostdeutschland mit einer "leichtfertigen Einstellung zu werdendem Leben in den neuen Ländern" erklärt - als Folge der DDR-Abtreibungspolitik. Frauen konnten dort seit 1972 bis zur zwölften Woche ohne Begründung die Schwangerschaft abbrechen. "Das wirkt bis heute nach" so Böhmer, der lange Zeit als Chefarzt die Entbindungsstation eines Krankenhauses geleitet hat. Die Tötung von Neugeborenen sei offenbar für manche Frauen "ein Mittel der Familienplanung".

Kritik aus allen Richtungen

Diese Äußerungen hatten eine Welle heftiger Empörung ausgelöst: Aus allen Parteien hagelte es Kritik. Der für Ostdeutschland zuständige Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) forderte Böhmer auf, seine Äußerungen unverzüglich zurückzunehmen und sich bei den jungen Eltern zu entschuldigen. Tiefensee bezeichnete es am Sonntagabend als "pseudowissenschaftliche Schwadroniererei und eine üble Diffamierung der Frauen in Ostdeutschland". Es sei "zynisch und verantwortungslos, verantwortungsbewusste Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern, mit Kindsmördern gleichzusetzen".

Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke nannte Böhmers Äußerungen "aberwitzig". Er stelle juristisch und moralisch legale Abtreibung mit strafrechtlich zu verfolgender Kindstötung auf eine Stufe. Böhmer sei nach diesen Äußerungen als Regierungschef untragbar und müsse sofort zurücktreten.  Auch für FDP-Chefin Cornelia Pieper sind Böhmers Aussagen "Humbug". Es gebe keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass es wegen der DDR-Vergangenheit im Osten Deutschlands mehr Fälle von Kindstötungen gibt, sagte sie der "Mitteldeutschen Zeitung". Auch in der eigenen Partei war Böhmer auf Kritik gestoßen. "Solch einer pauschalen Aussage muss widersprochen werden", sagte der Sozialexperte der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Markus Kurze, der "Mitteldeutschen Zeitung". Kinderärzten zufolge seien Kindstötungen auf die Gesetzeslage zurückzuführen, die ein rechtzeitiges Einschreiten bei Misshandlungen erschwere.

SPD-Politiker nimmt Böhmer in Schutz

Der Theologe und SPD-Politiker Richard Schröder hat Wolfgang Böhmer unterdessen in Schutz genommen: "Statt seinen Rücktritt zu fordern, sollten wir ihm  zugestehen, dass er auf ein Problem hinweisen möchte, das ihn schon lange und tief bewegt", schreibt Schröder in einem Gastbeitrag für den Berliner "Tagesspiegel".  Unterstellungen, er habe bloß beleidigen wollen, seien "absurd".

Zwar sei der Zusammenhang, die sehr viel höhere Zahl von Kindstötungen im Osten habe mit einem geringeren Respekt vor den Ungeborenen zu tun, durch fundierte Studien noch nicht nachgewiesen. "Aber die Tatsache besagt eben, dass die im ganzen sehr seltene Tötung Neugeborener im Osten deutlich häufiger vorkommt als im Westen", schreibt Schröder weiter. Zudem habe der Respekt vor den Ungeborenen "jedenfalls bei den Funktionären der DDR tatsächlich keine große Rolle" gespielt.

Schröder nahm Böhmer zudem vor Kritikern in Schutz, die argumentierten, die betreffenden Mütter in Ostdeutschland seien zu jung, um durch die DDR geprägt worden zu sein: "Soll das heißen, dass im Jahre 1990 die gesamte DDR-Bevölkerung die DDR-Prägungen abgelegt hat? Diejenigen, die seit 1990 heranwachsen, übernehmen natürlich die Wertungen ihrer Eltern und ihrer Umgebung - welche denn sonst?

Böhmer: "Keinem geht es so schlecht dass er sein Kind töten muss"

Bereits am Sonntagabend hatte Wolfgang Böhmer versucht, seine Äußerungen über die Kindstötungen im Osten Deutschlands zu relativieren: Er habe nur davon gesprochen, dass sich die Wertschätzung werdenden menschlichen Lebens verändert habe, sagte er am Sonntag dem MDR-Landesmagazin "Sachsen-Anhalt heute". Darauf könnten die Begleitumstände in der ehemaligen DDR möglicherweise Einfluss gehabt haben. "Ich bin weit davon entfernt, für alle Fälle eine Erklärung zu suchen. Es ist völlig falsch, alles in einem bestimmten Zusammenhang erklären zu wollen", sagte Böhmer.

Er bekräftigte seine Ansicht, dass sich in der DDR nach der Legalisierung der Schwangerschaftsabbrüche innerhalb weniger Jahre ein recht unbekümmerter Umgang mit werdendem menschlichem Leben eingebürgert habe. "Da kamen junge Frauen ins Krankenhaus, weil sie einen Urlaubsplatz am Schwarzen Meer in Bulgarien bekommen hatten und sagten, "Da möchte ich nicht schwanger sein, ich möchte die Schwangerschaft abbrechen lassen", sagte der gelernte Gynäkologe. "Das meine ich mit leichtfertigem Umgang."

Die Ansicht, dass die sozialen Verhältnisse in Ostdeutschland und die hohe Arbeitslosigkeit für die häufigen Fälle von Kindstötungen mitverantwortlich sein könnten, wies er zurück. Er glaube nicht, dass die höhere Arbeitslosigkeit damit etwas zu tun habe. "Niemandem geht es so schlecht, dass er sein eigenes Kind umbringen muss. (jam/ddp/dpa)

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