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Politik: Babysitten statt Stütze

Von Rainer Woratschka Hans-Werner Sinn bringt die Sache schnell auf den Punkt. „Wer seine Sozialhilfe weiter in bisheriger Höhe bekommen will“, sagt der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, „der muss dafür arbeiten.

Von Rainer Woratschka

Hans-Werner Sinn bringt die Sache schnell auf den Punkt. „Wer seine Sozialhilfe weiter in bisheriger Höhe bekommen will“, sagt der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, „der muss dafür arbeiten.“ Arbeitsunwilligen bliebe zwar immer noch ein wenig Stütze, aber die wäre so zusammengekürzt, dass sie kaum noch zum Leben reicht. „Dieses neue Mindestniveau ist so niedrig, dass der Verbleib in dieser Stufe bestenfalls für schwarz arbeitende oder anderweitig gesicherte Personengruppen attraktiv ist“, heißt es in seinem Gutachten.

Die Reform von Sozial- und Arbeitshilfe, die das Münchner Institut am Dienstag in Berlin vorgeschlagen hat, kommt radikal daher. Aber mit rauem Kapitalismus haben die Verfasser des 50-seitigen Gutachtens, wie sie versichern, nichts im Sinn. Die Reformschritte dürften bloß nicht isoliert verwirklicht werden. Neben dem drastischen Beschnitt des Lohnersatzes nämlich enthält ihr Konzept auch eine Jobgarantie. Die Kommunen müssten verpflichtet werden, „jedermann die Möglichkeit anzubieten, zu einem Lohn in Höhe der jetzigen Sozialhilfe zu arbeiten“. Falls der Erwerbsfähige keinen anderen Job in der Privatwirtschaft findet.

Dank staatlicher Intervention soll dies aber weit seltener werden. Mit dem Geld aus den Lohnersatz-Kürzungen nämlich müssten nach Vorstellung der Wirtschaftsexperten Niedriglöhne bezuschusst werden – generell und in einer Höhe, die selbst gering qualifizierte Teilzeitarbeiter finanziell so gut stellt wie bisherige Sozialhilfe-Empfänger. „Bei einer Vollzeit-Beschäftigung“, sagt Sinn, müssten sie sogar deutlich mehr verdienen.“

Genau darum geht es den Ifo-Leuten: Der Arbeitsmarkt im Niedriglohnbereich müsse „wieder funktionsfähig“, die Lohnuntergrenze, die eine Beschäftigung gering Qualifizierter verhindere, „eliminiert“ werden. „Durch unser bisheriges System“, so der Instituts-Präsident, „verbieten wir faktisch einer großen Zahl von Menschen die Arbeit“. Kaum jemand sei doch bereit, zu einem Lohn unterhalb der Sozialhilfe zu arbeiten. Und kein Unternehmer stelle jemanden ein, „dessen Lohn höher ist als die Wertschöpfung, die er zu leisten vermag“.

Durch die vorgeschlagene Reform hingegen kämen die Niedriglöhne „ins Rutschen“. Für die Beschäftigten nicht weiter schlimm wegen der Zuschüsse. Für Firmen und Privathaushalte aber würde es attraktiv, neue Jobs zu schaffen. Denkbare Bereiche: Handel, Gastronomie, Wäschereien, Wachdienste, Kinderbetreuung, Reparaturservice. Bis zu 2,3 Millionen gering Qualifizierte könnten so in Lohn und Brot kommen, meinen die Experten. Pro Jahr würde der Staat um bis zu 6,2 Milliarden Euro entlastet. Das Sozialprodukt stiege dauerhaft um 1,9 Prozent.

Es gäbe „kaum Verlierer, aber viele Gewinner“, versichert Ifo-Chef Sinn. Und der Gedanke an eine dauerhafte Job-Subventionierung bereitet ihm als Wirtschaftswissenschaftler keine Probleme. „Im Moment subventionieren wir doch auch“, sagt er. „Wir subventionieren breitflächig das Nichtstun.“

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