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Politik: Barmer streitet über Umgang mit Sozialhilfeempfängern

Berliner Landesgeschäftsführung bietet Beratung nur noch in Zwickau an / Kassenchef Fiedler nennt das Vorgehen peinlich

Berlin. In der Barmer Ersatzkasse wird offenbar weiterhin versucht, Sozialhilfeempfänger vom Beitritt abzuhalten. Dem Tagesspiegel liegt ein Schreiben einer Berliner Geschäftsstelle der Krankenkasse vor, in dem ein Sozialhilfeempfänger aus Berlin darauf hingewiesen wird, dass eine persönliche Betreuung für ihn nur in Zwickau möglich sei. „Ausdrücklich weisen wir Sie darauf hin, dass im konkreten Einzelfall keine Beratung oder Betreuung in Berlin erfolgt“, schrieb der Barmer-Sachbearbeiter. „Diese wird ausschließlich durch unsere Geschäftsstelle in Zwickau durchgeführt. Eine persönliche Beratung erfordert demnach eine Anreise dorthin.“ Sollte ihm „dieses Serviceangebot nicht zusagen“, so könne der Adressat seine Kassenwahl bis zum 16. Januar zu überdenken. Dem Brief ist ein frankierter Rückumschlag mit einem Antragsformular für eine neue Kasse und eine Adressenliste anderer Krankenversicherungen beigelegt.

Barmer-Chef Eckart Fiedler nannte dieses Schreiben im Gespräch mit dem Tagesspiegel „peinlich“ und „unsinnig“. Er versicherte: „Uns ist jedes neue Mitglied willkommen. Auch die Sozialhilfeempfänger werden in den Geschäftsstellen vor Ort persönlich betreut wie alle anderen Versicherten auch.“ In Zwickau werde nur die zuständige Abrechnungsabteilung konzentriert. Er werde die Berliner Regionalleitung anweisen, dies entsprechend zu korrigieren.

Die Landesgeschäftsführerin für Berlin und Brandenburg, Heike Murner, sagte, sie kenne zwar den Brief nicht, teile aber den Inhalt: „Die Betreuung der Sozialhilfeempfänger findet nur in Zwickau statt.“ Die sächsische Stadt liegt rund 300 Kilometer von Berlin entfernt und ist in etwa vier Stunden mit dem Zug zu erreichen. Weil die Telefonverbindung dort ständig überlastet sei, empfehle man den Hilfeempfängern die persönliche Anreise. Murner wies auf die hohen Kosten hin, die den Kassen durch Sozialhilfeempfänger entstünden: „Wir verhandeln mit den Sozialämtern noch immer über eine angemessene Entschädigung für den Verwaltungsaufwand.“ Die vom Gesetzgeber vorgesehenen Zahlungen würden nicht einmal die Verwaltungskosten eines normalen Versicherten abdecken, geschweige denn den wesentlich höheren Aufwand für einen Sozialhilfeempfänger. „Wir reißen uns nicht um Mitglieder, die so hohe zusätzliche Kosten verursachen“, sagte Murner.

Bisher nicht krankenversicherte Sozialhilfeempfänger müssen sich zum 1. Januar 2004 eine gesetzliche Kasse suchen, die sie im Auftrag der Sozialämter betreut. Allein in Berlin sind davon 52 000 Personen betroffen. Manche Krankenkassen fürchten nun, dass diese Klientel ihren Haushalt zusätzlich belastet. Auch die Marketingabteilung der Barmer-Zentrale in Wuppertal hatte diese Befürchtung. Sie wies im Oktober alle Regionalgeschäftsführer an, „den Bestand der Sozialhilfeempfänger/Asylbewerber so gering wie möglich zu halten“. Diese Interessenten sollten im Beratungsgespräch „unauffällig überzeugt“ werden, „die Barmer nicht als neue Kasse zu wählen“.

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