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Gegen Landrat Jakob Kreidl ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft.

© picture alliance / dpa

Bayerische Spezlwirtschaft: Der Monarch von Miesbach

Er war ein Star der CSU. Bürgermeister, Abgeordneter, Landrat. Jakob Kreidl im Trachtenjanker, immer korrekt. Doch dann ging es Schlag auf Schlag: Doktorarbeit gefälscht, Affären, Vorteilsnahme.

Der Martl geht nicht mehr wählen. Weder zur Bundestags- noch zur Europawahl. „Die lügen ja alle, wenn sie den Mund aufmachen.“ Zur Kommunalwahl geht Martl erst recht nicht mehr. Mit den Lokalpolitikern seiner bayerischen Heimatgemeinde im Landkreis Miesbach ist er nicht immer handelseins. Aber wer hier im Wirtshaus ist das schon? Martl hat ein ganz anderes Problem. Es heißt: Jakob Kreidl.

„Man muss sich mittlerweile schämen, aus dem Landkreis zu sein.“ Der Stammtisch in der dunklen Stube des Gasthofs brodelt schon vor der zweiten Halben Bier. Aus dem „Landkreis“ – also dem Landkreis Miesbach – zu stammen, ist derzeit alles andere als eine Freude. Sagt man, wo man herkommt, verziehen die Leute das Gesicht. Im besten Fall lachen sie. Und fragen: „Ihr seid doch die mit dem Landrat, oder?“

Dass er sich als stolzer Bayer jemals für seine Heimat schämen würde, hätte sich Martl früher nie träumen lassen. Jetzt ist es so weit. „Und wer ist schuld? Der Kreidl!“ Seine Stammtischbrüder nicken, brummen bestätigende „Jawohls“ und „So ist’s“ in ihre Krüge. Martl ist der Gesprächigste von ihnen. Er ist der Wirtshaus-Wortführer; kein Dampfplauderer, sondern ein kritischer Geist. „Einer mit Schneid“, sagt die Kellnerin über ihn – also mutig und politisch. Am Affärensumpf um Jakob Kreidl verzweifelt aber sogar der Martl.

Landrat Jakob Kreidl: Lange Zeit war er so etwas wie der CSU-Superstar im Landkreis Miesbach. Gut, es gab auch wenig ernst zu nehmende Konkurrenz. Kreidl hatte sich hochgearbeitet. Vom Ingenieur der Telekommunikationstechnik zum Bürgermeister, vom Bürgermeister zum Landtagsabgeordneten, vom Landtagsabgeordneten zum Landrat.

Kreidl: Einer, der oben mithalten kann

Im Kabinett unter Günter Beckstein war er sogar als Innenminister im Gespräch. Das imponierte den Miesbachern: einer von ihnen, der ganz oben mithalten kann. Außerdem war Kreidl immer präsent. Auf jedem Foto der Lokalpresse lachte er früher im obligatorischen Trachtenjanker – egal, ob er Landfrauen oder Hasenzüchter ehrte. Jakob Kreidl: immer korrekt. Immer im Dienst. Treu dem CSU-Motto: immer nah am Bürger.

Noch näher an seinen Freunden, wurde seit Jahren getuschelt. Geschadet hatten Kreidl diese Gerüchte nie. Erstens, weil die Christsozialen im Landkreis Miesbach seit dem Zweiten Weltkrieg eine unangefochtene Vormachtstellung hatten. „Die Miesbacher würden sogar eine Gießkanne wählen, solange sie schwarz ist“, soll einmal ein frustrierter SPD-Mann aus dem Landkreis gesagt haben.

Zweitens, weil Kreidl wusste, dass er als Landrat immer Zielscheibe für persönliche Angriffe sein würde. Wie alle CSU-Landräte vor ihm. Kritik äußert sich im Landkreis Miesbach, wenn überhaupt, in Stammtisch-Sticheleien – die selten ein Politiker ernst nimmt. Bier ist Bier. Geschäft ist Geschäft.

Nur so lässt sich erklären, dass Kreidl auch im April 2013 gelassen blieb, als aus Gerüchten erstmals Fakten wurden. Seine Doktorarbeit zum Kosovo-Konflikt: zu 90 Prozent plagiiert. Unter allen Politikern, die bisher über ihre unsauber erworbenen Titel stolperten, hält Kreidl den Plagiats-Rekord. Mehr abgeschrieben als er hat keiner. Kreidl sagte, er habe vielleicht Fehler gemacht. Auf keinen Fall bewusst gefälscht. „Bei 90 Prozent?“ Martl am Stammtisch lacht. „Ich bin jetzt wirklich kein Studierter, aber das kann ich mir nicht vorstellen.“

Wütend rauschte Ilse Aigner im Dienstwagen an den Tegernsee

Die Universität erkannte Kreidl den Doktor ab. Von seinem Briefpapier verschwand der Titel, quasi über Nacht. Die Miesbacher waren zufrieden, höchstens Martl und ein paar Studenten ärgerten sich noch. Meistens hieß es jedoch: „Jeder macht Fehler. Es tut ihm leid.“ Warum Kreidl den Doktor überhaupt gemacht hatte, verstehen die meisten bis heute nicht. Er war schließlich ein guter, kompetenter Landrat. Mit oder ohne akademischer Verzierung.

Der Landkreis Miesbach wurde wieder zum Idyll. Berge. Seen. Trachtenumzüge. Mittendrin: Jakob Kreidl. Die Plagiatsaffäre schien ausgestanden. Seinem Ruf hatte sie wenig geschadet. Nur wenn er öffentlich auftrat, wurde vielleicht ein bisschen weniger applaudiert als früher.

Die Sparkasse übernahm die Sause

Dann kam die Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee ins Spiel. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete Anfang Februar, Kreidl habe sich seine Feier zum 60. Geburtstag finanzieren lassen. Von der örtlichen Sparkasse – bei der er kraft seines Amtes als Aufsichtsratsvorsitzender fungierte. Knapp 120 000 Euro kostete die zünftige Sause mit ellenlanger Gästeliste, eigens gebrautem Bier und Alphornbläsern. Die Bank hatte sich nicht lumpen lassen und 77 000 Euro dafür bezahlt. Gut 32 000 Euro übernahm der Landkreis. Kreidl: 7600.

Eine Geburtstagsfeier für 120 000 Euro – das stieß sogar den Miesbachern sauer auf. In den Geschäftsstellen der Sparkasse bekamen die Mitarbeiter die Wut der Kunden ab. „Das war richtig schlimm“, erinnert sich Fabian Meier*, der mittlerweile nicht mehr dort arbeitet. „Ständig sind Leute gekommen und wollten, dass ich ihnen das erkläre. Dass ich mich und die Bank rechtfertige.“ An die Sparer gab Meier Beschwerdeformulare aus; angefeindet wurde er trotzdem. „Wenn es gar nicht mehr anders ging, habe ich gesagt: Ich arbeite hier nicht mehr lange.“

Nach der Party-Affäre ging es Schlag auf Schlag. Kreidl tauchte ab, war für Journalisten kaum zu erreichen – was er im Übrigen bis heute so hält. Am 14. Februar erklärte er, auf das Amt des Landkreistagspräsidenten zu verzichten. Am 23. Februar meldete er sich krank, er werde auch seine anderen Ämter „ruhen lassen“. In der Münchner Staatskanzlei war er da schon in Ungnade gefallen. Falscher Doktor plus Party-Skandal: Das war sogar Horst Seehofer zu viel. Einen Tag nach der Krankmeldung forderte ihn der CSU-Chef samt Vorstand auf, bei der anstehenden Kommunalwahl im März nicht mehr als Landrat zu kandidieren.

Kreidl tat: nichts. Als Seehofers Racheengel rauschte Ilse Aigner, CSU-Vorsitzende des Bezirks Oberbayern, wutentbrannt per Dienstwagen an den Tegernsee. In einer rasch anberaumten Krisensitzung sollte sie Kreidl zum Rücktritt als CSU-Kreisvorsitzender drängen. Einen Tag später kam Kreidl dem nach. Die Miesbacher CSU atmete auf. Vorerst.

Wer glaubte, die „Ära Kreidl“ oder „das System Miesbach“ sei damit endgültig überwunden, hatte sich geirrt. Das, was die Bayern gerne lapidar „Spezlwirtschaft“ nennen, kommt erst jetzt nach und nach ans Licht. Fast wöchentlich werden in der Regionalpresse neue Details zur Finanz- und Sponsoringpraxis der Sparkasse bekannt, in die auch Kreidl als Aufsichtsratsvorsitzender verwickelt war. Dass er nicht allein die Schuld an allem trägt, sondern viele Freunde hatte, die ebenso munter am Filz strickten – geschenkt. Die nationalen Medien schenken diesen Informationen ohnehin kaum noch Aufmerksamkeit. Für sie sind Kreidl und Mitspieler mittlerweile nur noch schwarze Witzfiguren vom Alpenrand; politische Mutationen, die es so nur in Bayern geben konnte. Fall erledigt.

So präsent der Landrat früher war, so unsichtbar ist er heute

Erledigt ist davon gar nichts. Im Landkreis Miesbach spukt nach wie vor Kreidls Geist durch die Köpfe der Politiker – jüngst zu beobachten im Kreisausschuss. Eine lokale Lappalie wuchs sich zu einer Debatte über den Politikstil des neuen, grünen Miesbacher Landrats Wolfgang Rzehak aus. Einige Bürgermeister bemängelten offen dessen angebliche Führungsschwäche, das hätte es unter Kreidl so nicht gegeben. Sie wollen wieder einen starken Mann, „der mit der Hand auf den Tisch haut“ – und ihnen den Rücken frei hält. Das habe unter Kreidl immer hervorragend funktioniert. Bis, nun ja, diese unleidigen Affären zur Sprache kamen. Zu Deutsch: Heimlich wünschen sich viele Lokalpolitiker Jakob Kreidl zurück.

Also den Politiker, der eine Reise für alle Landkreis-Bürgermeister in die Schweiz organisierte, um sich dort das „Interlaken-Modell“ für touristische Zusammenarbeit erklären zu lassen. Und sich Inspiration für den umstrittenen Ausbau des Skigebiets Sudelfeld zu holen. Kostenpunkt: mehr als 660 000 Euro. Die Tourismus-Fusion im Landkreis Miesbach ist mittlerweile gescheitert; von der Informationsfahrt schwärmen die Bürgermeister aber noch heute. Gegen den Ausbau des Sudelfelds geht der Deutsche Alpenverein vor, so wie es momentan aussieht wohl vergeblich.

Kreidl: der große Zampano

Kreidl, der Politiker, der freundlich nickend neben CSU-Kollegen am Tisch saß, wenn sie Lokaljournalisten mit einem jovialen „Wenn Sie das schreiben, was uns passt, gibt’s keine Problem“ begrüßten. Kreidl, der Politiker, der Lokaljournalisten schon einmal zum Krisengespräch ins Landratsamt bestellte, wenn es doch nicht ganz gepasst hatte. Kreidl, der Politiker, der in seinem Wohnort einen Schwarzbau errichtete. Und sich trotzdem von „Kreidl raus“-Graffiti in seinem Heimatort so verunglimpft fühlte, dass es zu polizeilichen Ermittlungen kam. Kreidl, der Politiker, der sich zur Not auch über Proteste des Kämmerers hinwegsetzte. Kreidl: die Miesbacher One-Man-Show. Der große Zampano. Der letzte Monarch.

Vor kurzem war die „Causa Kreidl“ Thema im Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags. Wieder kamen pikante Details ans Licht insbesondere zum Sponsoringverhalten der Kreissparkasse. Denn neben Kreidls Party wurde auch die Geburtstagsfeier des ehemaligen Vize-Landrats Arnfried Färber von der Bank bezuschusst. Sie fiel nur wenig bescheidener aus. Im Wirtshaussaal wurde für diesen Anlass ein Teppich verlegt, der nach einem einzigen Abend wieder herausgerissen wurde. Arnfried Färber behauptet bis heute, er habe geglaubt, der Teppich gehöre zu den anstehenden „Sanierungsarbeiten“ – und sei gar nicht extra für ihn verlegt worden. Im Gegensatz zur Kreidl hält sich die Empörung bei ihm in Grenzen, Färber überstand den Sponsoring-Skandal mit leichten Kratzern.

Auch die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen

Doch auch abseits der Partymeile verstand es die Sparkasse, ihr Geld anzulegen. In Immobilien, die sich als nutzlose Fehlkäufe erwiesen und die sie jetzt unter großen Anstrengungen wieder abstoßen will. Auch ein Schießstand im benachbarten Tirol findet sich auf der Sponsoringliste – kaum ein Mensch im Landkreis Miesbach versteht, was die Sparkasse dort verloren hat. Dass die Bank in den vergangenen Jahren auch das winterliche Eisstockschießen der CSU-Landtagsfraktion am Tegernsee teilfinanziert hat: Peanuts. War doch nur eine kleine Brotzeit. Und Kreidl hatte eingeladen.

Schadenbegrenzung, wohin man blickt

Das „System Kreidl“, von dem oft die Rede war, weitet sich momentan zu einem „System Sparkasse“ aus. Außer Kreidl hat das alles der ehemalige Sparkassen-Vorsitzende Georg Bromme mitgetragen. Beide wurden im Landtag zu den Vorwürfen nicht persönlich befragt. Noch nicht. Dazu soll es angeblich bald kommen. Auch die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme; etliche Bürger hatten Kreidl angezeigt. Schadensbegrenzung, wohin man blickt: Bromme kommuniziert nur noch per Anwalt. Die Sparkasse, die sich eigentlich für eine „lückenlose Aufklärung“ starkgemacht hatte, veröffentlicht ihre Pannen häppchenweise. Kreidl scheint sich nur noch mit Tarnkappe durch den Landkreis zu bewegen. So präsent er früher war, so unsichtbar ist er heute.

Martl geht nicht mehr wählen. Nicht zur Kommunalwahl, nicht zur Bundestagswahl, nicht zur Europawahl. „Wenn das bei uns schon so ist, was glaubst’, wie’s dann ganz oben ausschaut?“

*Name geändert

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