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Profilsuche: Bedrängt, bedrückt - wo steht die SPD?

Die SPD sucht seit langem nach ihrem Profil – und die Konkurrenz von Linkspartei und Grünen wird härter. Wo steht die Partei heute?

Glaubt man Sigmar Gabriel, dann hat die SPD mit ihrer Jahresauftaktklausur im Potsdam-Hermannswerder einen entscheidenden Schritt nach vorne gemacht. Nach einem Jahr „inhaltlicher Klärung“ der schweren Wahlniederlage im Bund 2009 beschäftige sich die SPD nicht länger mit der Vergangenheit, sondern mit „Gegenwart und Zukunft“, erklärte er zum Abschluss der Treffens der Parteispitze am Dienstag. Gabriel verwies auf neue programmatische Ansätze sowie den einstimmigen Beschluss zur Einführung einer Bürgerversicherung für die Pflege. Selten habe er die SPD so geschlossen erlebt, beteuerte der SPD-Vorsitzende zu Beginn eines Jahres, in dem es für die Sozialdemokratie auch um ihren Status als Volkspartei geht. Bei insgesamt sieben Landtagswahlen will die SPD stärkste Kraft werden. Sie muss sich gegen die Linkspartei im Osten und gegen die Grünen im Westen behaupten – ein Härtetest für die Partei und ihre Führung.

Welches Bild geben die Sozialdemokraten zu Beginn des Superwahljahres 2011 ab?

Ein unscharfes. In Potsdam hat die SPD versucht, sich als Partei eines neuen Fortschritts zu präsentieren. Auf ihrer Klausur verabschiedete sie einen Programmentwurf, den Gabriel in Abstimmung mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Generalsekretärin Andrea Nahles vorgelegt hatte. Das 43-seitige Fortschrittspapier soll als Diskussionsgrundlage bis zum Parteitag Anfang Dezember dienen. Es gehe darum, den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt wieder mit dem gesellschaftlichen und sozialen Fortschritt zu verbinden, sagte Gabriel in Potsdam. Die SPD werde sich in allen Politikfeldern vom Ziel einer „besseren Lebensqualität für alle“ leiten lassen.

Neben Überlegungen zum Fortschrittsbegriff beinhaltet der Entwurf unter anderem eine Reihe konkreter Forderungen zur „Umverteilung in den staatlichen Belastungen“. So sollen Arbeitnehmer mit einem monatlichen Bruttoeinkommen zwischen 800 und 3000 Euro spürbar weniger Steuern und Abgaben zahlen. Zur Finanzierung will die SPD-Spitze unter anderem den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent anheben sowie das Ehegattensplitting zugunsten von Familien mit Kindern streichen. Außerdem fordert sie die Einrichtung eines Sondervermögens zur Finanzierung von Bildungsaufgaben. Beim linken SPD-Flügel stießen die Pläne zunächst auf Widerspruch. Er forderte in einem Positionspapier, die Einnahmen primär in Bildung zu investieren.

Wann schafft die SPD Klarheit über ihre Steuerpläne?

Bis Mai will die Partei ihr Steuerkonzept nun präzisieren. Bis dahin soll geklärt werden, wie hoch die Entlastungen ausfallen und wie sie finanziert werden sollen. Dann will die SPD den Wählern auch mitteilen, wie sie das Geld für die angestrebten Bildungsinvestitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro jährlich aufbringen will. Spötter in der SPD kommentierten den Zeitplan mit der Bemerkung, der Fortschritt sei eine Schnecke. Tatsächlich befindet sich die SPD anderthalb Jahre nach ihrer schweren Wahlniederlage noch immer in einem Selbstfindungsprozess. Auf die quälende Frage, wer sie ist und wofür sie steht, hat die Parteiführung in Potsdam Diskussionsansätze, aber keine Antwort geliefert. Wenn 2011 zum Jahr der Profilierung für die SPD werden soll, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel formuliert, dann wird sie den Wählern in den kommenden zwölf Monaten sehr deutlich machen müssen, wie sie sich den sozialen, ökonomischen und ökologischen Fortschritt vorstellt. Am besten noch vor den Landtagswahlen.

Wie stehen die Chancen der SPD im Superwahljahr?

Die SPD muss sich auf eine Achterbahnfahrt gefasst machen. Bei der ersten der sieben Wahlen scheint ihr der Sieg sicher zu sein: In Hamburg wird SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz von manchen inzwischen sogar zugetraut, das Rathaus mit absoluter Mehrheit zurückzuerobern. Danach dürfte es steil bergab gehen. In Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg läuft die SPD Gefahr, auf Platz drei zu landen; hinter Linkspartei und CDU im Osten, hinter CDU und Grünen im Südwesten. In Rheinland-Pfalz hingegen hat SPD-Ministerpräsident Kurt Beck große Chancen, sein Amt zu verteidigen, auch wenn er in Zukunft wohl nicht mehr ohne Koalitionspartner auskommen wird. Als Pflichtsieg gilt in der SPD auch die Wiederwahl von Jens Böhrnsen in Bremen, wo die CDU seit Jahren ein desolates Bild abgibt. Für die letzten beiden Wahlen, die Abstimmungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, fällt der Optimismus der Genossen nicht ganz so ausgeprägt aus. In der Hauptstadt wird Klaus Wowereit inzwischen wieder zugetraut, Grünen-Herausforderin Renate Künast in die Schranken zu weisen. In Mecklenburg-Vorpommern muss sich Deutschlands unbekanntester Ministerpräsident Erwin Sellering den Wählern stellen. Für ihn reiche Platz zwei notfalls aus, heißt es in der SPD. Sollte die Linkspartei im Nordosten stärkste Kraft werden, könne sich Sellering in die Neuauflage der großen Koalition retten.

Was steht für SPD-Chef Gabriel bei den Wahlen auf dem Spiel?

Viel, denn er startet mit einer durchwachsenen Bilanz in dieses Superwahljahr. Konnte Gabriel in der ersten Hälfte 2010 noch eine Reihe von Erfolgen für sich verbuchen, darunter das Comeback der SPD in Nordrhein-Westfalen und die Nominierung von Joachim Gauck als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, lief es in den zweiten sechs Monaten weniger gut. Das Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin stieß auch unter SPD-Anhängern auf Ablehnung. Auch im Umgang mit den erstarkten Grünen fand Gabriel nicht den richtigen Ton. Mal gab er sich demonstrativ gelassen, mal griff er die Konkurrenz scharf an. Auf einem Arbeitsparteitag im September verspottete er die Grünen-Wählerschaft in einer ohnehin zu langen Rede als verwöhnte Bionade- und Latte-Macchiato-Trinker. Das fanden auch in der eigenen Partei nicht alle witzig. Gegen Jahresende wurde in der SPD schließlich Kritik laut, der Kurs der Führung sei unklar und unstet. Der rechte SPD-Flügel diagnostizierte, die SPD befinde sich in einer „Identitätskrise“. Führende Vertreter des linken Flügels schlossen sich dem Urteil mehr oder weniger an. Zugleich wurden in Partei- und Fraktionskreisen Klagen über einen erratischen Führungsstil Gabriels sowie Zweifel an seiner Befähigung geäußert, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen. Zu unbeherrscht, lautete der Tenor. Diese Kritik dürfte sich verschärfen, wenn sich der von Gabriel in Potsdam eingeschlagene Kurs bei den Landtagswahlen nicht auszahlt. Sollten sich die Zweifel an Gabriel 2011 ebenso verfestigen wie seine eher geringen Popularitätswerte in den Umfragen, könnte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier eine zweite Chance als Spitzenkandidat erhalten.

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