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© dpa

Politik: Bedürftige Pflege

In jedem sechstem Heim gibt es schwerwiegende Mängel, wie ein neues Bewertungssystem zeigt

Berlin - Die Heimbetreiber waren vorgewarnt. Seit Juli drohten ihren Einrichtungen nicht nur schärfere und unangemeldete Kontrollen. Anders als früher würde nun auch die Öffentlichkeit von den jeweiligen Prüfergebnissen erfahren – per Internet und Aushang im Heim. Gleichwohl sind die erstmals vergebenen Pflegenoten alles andere als glänzend ausgefallen. Jedem sechsten Pflegeheim in Deutschland wies der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) in Sachen Medizin und Pflege mit dem neuen Prüfverfahren teils schwerwiegende Mängel nach. Und was den Umgang mit Demenzkranken betrifft, die gut die Hälfte aller Heimbewohner ausmachen, fiel das Ergebnis noch miserabler aus. 21 Prozent aller kontrollierten Einrichtungen landeten hier mit den Noten „Ausreichend“ oder „Mangelhaft“ im kritischen Bereich.

Mit diesen Zahlen seien „die Behauptungen von Kritikern widerlegt, dass es keine schlechten Bewertungen von Pflegeeinrichtungen geben wird“, sagte der Geschäftsführer des MDK-Spitzenverbands, Peter Pick. Als wenig aussagekräftig habe sich allerdings die Bewohnerbefragung erwiesen. 99,8 Prozent der Heime erhielten von den darin lebenden Menschen Bestnoten, Negativbewertungen gab es gar nicht. Diese Zahl erinnere leider an DDR-Wahlergebnisse und biete Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen „kaum Entscheidungshilfe“, räumte Pick ein.

Immerhin fließen die fragwürdigen Bewohner-Bewertungen nicht in die Gesamtnoten der Heime ein. Allerdings fielen die Gesamtbeurteilungen im Schnitt deutlich besser aus als die Ergebnisse in den als besonders wichtig erachteten Einzelprüfbereichen. Kritiker hatten den Pflegekassen vorgeworfen, dass es bei dem neuen Prüfsystem keine K.-o.-Kriterien gibt und schlechte Benotungen in Kernbereichen durch weniger wichtige Ergebnisse, etwa im Sozial- und Hygienebereich, ausgeglichen werden können. Wie erwartet gab es für diesen Sektor die besten Bewertungen. In den Kategorien soziale Betreuung und Alltagsgestaltung schafften 62,7 Prozent der Heime Bestnoten. Bei Wohnsituation, Speiseplänen, Hauswirtschaft und Hygiene waren es sogar 91,8 Prozent. Die Gesamtnote ergibt sich aus 64 Einzelkriterien, davon 35 aus dem Kernbereich der pflegerischen und medizinischen Versorgung.

Den Anstoß für das neue Prüfsystem hatten Berichte über eine erschreckend hohe Zahl wundgelegener und unterernährter Heimbewohner geliefert. Daraufhin war beschlossen worden, sämtliche Heime und ambulanten Pflegedienste unangemeldet und einmal im Jahr zu prüfen und diese Ergebnisse auch zu veröffentlichen. Die jetzt vorgelegten Bewertungen stammen aus der Überprüfung von 1057 Häusern – das sind rund zehn Prozent aller Pflegeheime in Deutschland. Nachzulesen sind die Detailergebnisse samt Heimbetreibern ab November in den jeweiligen Einrichtungen und im Internet (www.pflegenoten. de). Bis Ende 2010 wollen die Prüfer einmal durch sein.

Etliche Einrichtungen wiesen deutliche Mängel auf, „die so nicht geduldet werden können“, sagte Klaus-Dieter Voß vom Vorstand des Krankenkassen-Spitzenverbands. Allerdings äußerte sich der Funktionär auch überrascht darüber, dass die Ergebnisse nicht noch schlechter ausgefallen sind. Möglicherweise, so gab er zu bedenken, müsse man bei den Kriterien und deren Gewichtung noch nachbessern.

Der Münchner Pflegekritiker Claus Fussek kritisierte das neue Benotungssystem als wenig hilfreich. In der Branche tummelten sich bereits zahlreiche Berater, die Heimbetreiber „darin unterweisen, wie sie für schlechte Häuser gute Noten bekommen“, sagte er dem Tagesspiegel. Außerdem nütze es oft wenig, die teils schweren Mängel von Pflegeheimen zu kennen. „Viele Häuser werden nicht geschlossen, weil keiner weiß, wohin mit den Bewohnern“, sagte er. „Und viele Heime sind auch deshalb so schlecht, weil gute Pflegekräfte auf dem Arbeitsmarkt kaum noch zu finden sind.“

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