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Politik: Befriedigend minus

Nach zwei Jahren gibt es ein erstes Zwischenergebnis zum Erfolg der Sprachkurse bei der Integration

Berlin - Keine hier hat in der Türkei eine Schule von innen gesehen. Lesen? Schreiben? Braucht man in Kreuzberg Deutsch? Aber jetzt pauken Sie fünfmal die Woche von neun Uhr bis halb eins. Elf Frauen zwischen 26 und 64 Jahren in der Kreuzberger Oranienstraße. Bei St. Jacobi, einer Backsteinkirche in Berlins Problembezirk, ist die Sprachschule „Deutsch Praxis“ Untermieter. Wenn Ferien sind, müssen die Kinder eben mit zu Katja Kull.

„Guten Morgen, wie heißen Sie?“, fragt Katja Kull Ayse Cem – die wie alle Frauen eigentlich einen anderen Namen hat. „Isch heiße Ayse Cem“, erwidert die 38-Jährige mit dem zarten weißen Kopftuch stockend – und wendet sich ihrer Nachbarin zur Linken zu. Die 54-jährige Zahide Boyraz schaut sie unsicher an. „Wie heißen ...“. „Hayir“ – „Nein“ – schallt es ihr aus der Runde der zehn Frauen entgegen, die sich in dem kleinen Schulungsraum versammelt haben. „Isch eiße Zahide Boyraz“, knetet Zahide den Satz unter Mühe in seine korrekte Form. Acht Monate Alphabetisierung haben die Frauen hier hinter sich. Erst Buchstaben, dann Silben, dann ganze Wörter. Jetzt sprechen sie schon ganze Sätze.

Jahrelang hatte sich in Deutschland kaum jemand dafür interessiert, ob Ausländer Deutsch sprechen. Weder Politiker noch Migranten. Dann kapitulierten an der Berliner Rütli-Schule die Lehrer, das Gespenst der Parallelgesellschaft ging um, und ein nationaler Integrationsgipfel musste her. Die Integrationskurse genannten Sprachkurse wurden als Heilmittel für die moderne Zuwanderungsgesellschaft ausgerufen. „Wir sind der festen Überzeugung, wir können nur gut zusammen leben, wenn wir uns verstehen“, fasste Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sommer die Erkenntnis des Gipfels zusammen. „Ohne Sprachkenntnisse kann Integration nicht gelingen“, sekundierte der Staatssekretär im Innenministerium, Peter Altmaier. 600 Stunden Sprachkurs und 30 Stunden Orientierungskurs finanziert das Bundesamt für Migration seit 2005 für Neuzuwanderer in Deutschland und auch für viele schon seit Jahren in Deutschland lebende Migranten. 140 Millionen Euro gibt der Bund in diesem Jahr für die Kurse aus. Viele werden zum Kurs verpflichtet. Ziel ist das Sprachzertifikat Deutsch Niveau B1.

Jetzt gibt es nach knapp zwei Jahren zum ersten Mal ein Zwischenergebnis über den Beitrag der Kurse zur Integration. Die Bundesregierung hat das Unternehmen Ramboll mit der Evaluation beauftragt, das bisherige Urteil fällt gemischt aus, bis zum Jahresende soll ein Schlussbericht vorliegen. „Das Ziel eines bundesweiten Netzes an Integrationskursen wurde grundsätzlich erreicht“, heißt es. Es gibt also genug Kurse, auch wenn man auf dem Land mitunter lange warten muss. Und an der Kinderbetreuung hapert es – laut Ramboll geben 40 Prozent der Träger deren Fehlen als Abbruchgrund an. Nur in 50 Prozent der untersuchten Regionen werde Kinderbetreuung „in ausreichendem Maße angeboten“. Nach Einschätzung der Kursträger bestehen nur 46 Prozent der Teilnehmer die Sprachzertifikatsprüfung auf dem Niveau B1 oder höher. Nach der europäischen Definition B1 ist damit eine Unterhaltung in „einfacher Sprache“ möglich. Komplexe Themen, komplizierte Texte oder höher qualifizierte Arbeitszusammenhänge sind noch weit entfernt. Zufrieden ist mit dem Ergebnis niemand. Auch nicht der Bundesinnenminister.

Einen „Änderungsbedarf“ bei den Integrationskursen hat Wolfgang Schäuble bereits in der Evaluation des Zuwanderungsgesetzes vermerkt. Die „Optimierung der Integrationskurse“, formuliert sein Ministerium, steht jetzt oben auf der To-Do-Liste des Integrationsgipfels. Bis zum Sommer sollen Arbeitsgruppen einen so genannten nationalen Integrationsplan aufstellen. Zentrales Element: die Integrationskurse. Am Dienstag kommender Woche treffen sich die Experten der AG zur Beratung.

Reinhard Grindel, Unions-Integrationsexperte, fordert nach den Zwischenergebnissen eine Ausweitung des Angebots auf 900 Stunden, speziell für Frauen- und Jugendkurse, sowie die Entbürokratisierung, eine bessere Vernetzung von Kursträgern im ländlichen Raum und einen Mindestlohn für die Lehrkräfte. Grindel dekliniert die Frage des Kurserfolges aber auch von der anderen Seite: „Es gibt vielfach keine Sanktionsmöglichkeiten, um die Leute bei der Stange zu halten“. Deshalb fordert er, dass auch die Sozialbehörden ihre Klienten zum Kurs verpflichten können. Sein Lieblingsbeispiel ist die abgeschottete Frau in der Parallelgesellschaft. „Der einzige Weg, die da rauszuholen, ist die Anordnung zum Integrationskurs“, sagt er. „Wenn man androht, auch das ALG II für sie zu kürzen, dann wird ihr Mann vermutlich sagen: ,In Gottes Namen, dann geh hin.‘ “

Manche, die schon gebildet ins Land kommen, macht der Kurs fit für das deutsche Wirtschaftsleben. Einige aber kommen nicht mal so weit wie Katja Kulls fleißige Truppe in der „Deutsch Praxis“. Maher Four zum Beispiel. Der 28-Jährige in Jeans und Turnschuhen hat seine Frau zum Gespräch mit dem Kurs-Berater in die Volkshochschule Mitte im Wedding mitgebracht. „Mein Mann ist im Deutschkurs“, berichtet die Libanesin in fließendem Deutsch dem Kurs-Berater. „Es ist ihm zu schwer.“ Four selbst spricht nicht viel. „Aber das ist doch ein Anfängerkurs“, stellt der Berater nach einem Blick in den Computer fest. „Ist ihm das zu schwer?“ Ja, so sei es, bestätigt die Frau. Und möchte wissen, ob es vielleicht einen Kurs an einem anderen Tag gebe. Den gibt es, aber der Vormittagskurs passt Nour auch nicht. „Er möchte nicht jeden Tag“, übersetzt seine Frau diplomatisch. Man einigt sich auf einen Kurs, der zwei- bis dreimal die Woche stattfindet. Four ist nicht der Einzige, bei dem sich die Frage aufdrängt, ob er genügend Disziplin für das Sprachzertifikat aufbringt.

Sanktionen müssen sein, fordert deshalb auch Gabriele Köhler, die Leiterin der „Deutsch Praxis“ in Berlin. Und auch sie hält mindestens 900 Stunden Sprachkurs für das notwendige Minimum. Ayse Cem und ihre fröhliche Frauenrunde haben jetzt nach 600 Stunden das Kursziel erreicht. „Sie haben gut gearbeitet. Aber auch bei ihnen reicht das noch nicht für einen Anfängerkurs Deutsch“, bedauert Schulleiterin Gabriele Köhler. Dass sie noch nicht am Ende des Lernens sind, wissen die Frauen auch ohne Prüfung. „Sprechen, auf Straße? Nein“. Ayse Cem kann ihre Fähigkeiten einschätzen. Aber jetzt versteht sie wenigstens ihren jüngsten Sohn besser, der „schlecht Türkisch“ spricht, aber „gut Deutsch“.

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