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Politik: „Bei der Praxisgebühr kann es keinen Frieden geben“ Neuer Kassenarzt-Chef beklagt Bürokratieauswüchse

Herr Köhler, wie lange wird es die Kassenärztliche Bundesvereinigung noch geben? Mindestens 100 Jahre.

Herr Köhler, wie lange wird es die Kassenärztliche Bundesvereinigung noch geben?

Mindestens 100 Jahre. Und ich wage nicht die Prognose, ob wir dann noch in Berlin sind oder schon in Brüssel.

Die Regierung hat ja schon sehr laut überlegt, den so genannten Sicherstellungsauftrag für die ärztliche Versorgung den Krankenkassen zu übertragen.

Welchen Krankenkassen denn? Den 300? Jede Kasse hätte dann für sich einen Sicherstellungsauftrag. Haben Sie sich das als Patient mal vorgestellt? Dann müssen Sie dort erst mal anrufen und fragen: Liebe Kasse, hast du mit diesem Arzt einen Vertrag? Und wie will denn die BKK XY mit zehn Versicherten irgendwo in der Uckermark die ärzliche Versorgung sicherstellen? Es wird immer Institutionen wie die Kassenärztlichen Vereinigungen geben müssen, die den Sicherstellungsauftrag in einer Region für alle Kassenarten wahrnehmen.

Wie sichergestellt ist denn die Versorgung – im Osten, in den Kliniken? Da hört man doch immer häufiger von Ärztemangel.

Das Problem der nächsten zehn Jahre ist tatsächlich der Ärztemangel. Sicherstellung hat plötzlich eine andere Qualität, es geht nicht mehr um die Überversorgung mit Ärzten. Wir werden völlig neue Anreizstrukturen entwickeln müssen, dafür, dass man sich in einer ländlichen Region als Hausarzt niederlässt.

Wie lässt sich hier Rosinenpickerei vermeiden? In den Großstädten mangelt es ja nicht gerade an Ärzten.

Etwa mit Investitionszusagen. Es ist richtig, dass wir in Ballungsgebieten noch Überversorgung haben. Wir müssen die Ärzte motivieren, anderswohin zu gehen – aber das kann man nicht erzwingen, es gibt immer noch die Niederlassungsfreiheit. Zur Motivation gehört übrigens auch, dass wir den Arztberuf nicht schlecht reden.

Dafür haben die Ärzte auch oft selber gesorgt. Sind sie denn standhaft genug gegen die Pharmabranche?

Ich glaube, dass sich die Ärzte zunehmend weniger abhängig machen von Informationen der Pharmaindustrie. Daran wird man weiter arbeiten müssen, etwa mit Arzneimittel-Informationssystemen. Aber unsere Ärzte sind standfest. Das zeigen ihre Bemühungen um Einsparungen bei den Medikamenten.

Wie kooperativ werden Sie sich zeigen gegenüber einer Regierung, deren Reformen Sie nicht mögen?

Wir müssen das konstruktiv und kritisch voranbringen. Es bringt ja nichts, in eine Verweigerungshaltung zu verfallen. Aber man wird auch mal den Wert, den dieses System mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und den niedergelassenen Ärzten darstellt, deutlich machen müssen. Wir werden ständig kaputtgeredet und nehmen doch einen Versorgungsauftrag wahr, ohne den die Bevölkerung sicher weniger zufrieden wäre.

Ärztekammerpräsident Hoppe sagt, im Gesundheitssystem hätte es einen Wandel von Patientenorientierung zu reinem Profitdenken gegeben. Stimmen Sie zu?

Leistungsgewährung durch die Krankenkassen ist Alltag. Die Ausrichtung an ökonomischen Rahmenbedingungen ebenfalls. Und Innovation wird nur geleistet, wo sie bezahlt wird. Bei begrenzten Mitteln ist das zwar nachvollziehbar, aber darunter leidet die Qualität der Versorgung.

Haben Sie denn inzwischen wenigstens Frieden mit der Praxisgebühr geschlossen?

Den Frieden mit der Praxisgebühr kann man deshalb nicht schließen, weil der Aufwand in den Praxen enorm ist und nicht vergütet wird. Elementen der Zuzahlung kann man sich nicht verweigern, wenn man ein Kostenerstattungssystem will. Das wäre nicht ehrlich. Nur – wie das mit der Praxisgebühr läuft, diese Verwaltungsgigantomanie, und alles kostenlos, um die Finanzierung der Krankenkassen zu stärken, das ist zu hinterfragen.

Und schon kommt die nächste Herausforderung: die Gesundheitskarte. Wie werden die Ärzte die schultern?

Die Ärzteorganisationen werden das logistisch unterstützen. Entscheidend ist aber, wer für die enormen Kosten aufkommt. Es kann nicht sein, dass die Ärzte eine Neuerung finanzieren müssen, von der sie keinen Nutzen haben.

Wer soll denn die Kosten tragen?

Die Krankenkassen. Die haben den Nutzen, den man dann gegenrechnen kann.

Stichwort Finanzen. Was hilft dem System denn besser auf die Beine: Kopfpauschale, Bürgerversicherung oder eine rigide Privatisierung, wie sie die FDP haben will?

Eine Finanzreform wird sich sicherlich mit der Verbreiterung der Finanzierungsgrundlagen befassen müssen. Vor allem aber muss sie nachhaltig sein und darf nicht nachfolgende Generationen belasten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist keines der Modelle so geschaffen, dass es dieses Hauptkriterium erfüllt.

Was bedeutet Nachhaltigkeit? Mehr Kapitaldeckung und weniger Solidarprinzip?

Ja, dorthin sollte es sich entwickeln.

Das Gespräch führte Rainer Woratschka.

Andreas Köhler (44) ist vor fünf Tagen zum Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gewählt worden. Im Februar löst er seinen Amtsvorgänger Manfred Richter-Reichhelm ab.

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