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Politik: Bei Hofe

Von Gerd Appenzeller

Die Rechtschreibreform mag ja für viele Menschen eine Katastrophe sein. Aber sie hat den Sinn der deutschen Sprache nicht auf den Kopf gestellt, hat aus schuldig nicht unschuldig gemacht. Der Bundesminister des Auswärtigen scheint dennoch darauf zu vertrauen, dass er den Deutschen die Sinne vernebeln kann. Anders lässt sich die Unverfrorenheit nicht deuten, mit der er am Montag den Vorwürfen in der VisaAffäre begegnete.

Ganz Bonhomme erklärte er den vor der Parteizentrale der Grünen wartenden Journalisten: „Für mögliche Versäumnisse und Fehler meiner Mitarbeiter trage ich die politische Verantwortung.“ Das klang geradlinig und hatte die erwünschte Wirkung. Die Nachrichtenagenturen titelten von „Fischer übernimmt Verantwortung für Fehler bei Visavergabe“ (AFP) bis „Fischer übernimmt politische Verantwortung in (für) Visa-Affäre“ (Reuters, dpa). Das Gegenteil ist wahr. Tatsächlich entzog sich der Minister der persönlichen, faktischen Verantwortung für den vielfachen Missbrauch bei der Visa-Erteilung, indem er sich, vermeintlich ehrenwert, vor seine Mitarbeiter stellte. Denn, so seine Aussage, sollten die möglicherweise Fehler gemacht haben, würde er dafür die politische Verantwortung übernehmen.

Das heißt zweierlei. Erstens sei, so will Fischer uns glauben machen, überhaupt nicht erwiesen, dass irgendjemand überhaupt einen Fehler gemacht habe. Und zweitens, wenn überhaupt, bestimmt nicht er, denn von denkbaren eigenen Fehlern hat er ja nicht gesprochen. Das ist dreist den Mitarbeitern gegenüber, denn vom deutschen Botschafter in Kiew, Dietmar Stüdemann, und der Leiterin der dortigen Visa-Abteilung, Klara Hoppmann, wissen wir, dass sie nicht etwa Fehler begingen, sondern mehrfach darauf aufmerksam machten, zu welch katastrophalen Missbräuchen die erleichterte Visavergabe führte. Beide wurden vom Auswärtigen Amt gedeckelt – und blieben dennoch standhaft. Hut ab davor. Und es ist auch dreist gegenüber den leitenden Mitarbeitern im eigenen Haus. Denn wenn Fischer nichts gewusst hat, unterstellt er, dass seine Referatsleiter zu feige gewesen sind, ihm, dem Hof haltenden Minister, die Wahrheit zu sagen. Soll das der Alltag im Auswärtigen Amt sein?

Aber das ist eine müßige Diskussion, denn Otto Schily, der politische Antipode Fischers am Kabinettstisch, hat ja immer wieder vor den Folgen der leichtfertigen Visavergabe warnen lassen und gewarnt. Und Fischer, dieses political animal, will das nicht gehört, nicht gesehen, nicht gewittert haben?

Die politische Ministerverantwortung für Fehler im eigenen Zuständigkeitsbereich, auch und gerade für nicht selbst verschuldete, gehört zu den tragenden Elementen einer ordentlichen Verwaltung im Rechtsstaat. Sie reicht bis zum Rücktritt. Der damalige christdemokratische Innenminister Rudolf Seiters demissionierte am 4. Juli 1993 wegen der unklaren Umstände bei einem Polizeieinsatz gegen RAF-Terroristen auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Man kann die Fälle Seiters und Fischer nur bedingt gegenüberstellen. Aber als Beispiele für gelebte und geredete Ministerverantwortung können sie sehr wohl dienen.

Natürlich steckt hinter der seit 1998 veränderten Visapolitik nicht die Absicht von Rot-Grün, die deutsche Sicherheit zu untergraben. Im Zweifel für die Reisefreiheit – dieses Fischer-Volmer-Prinzip war Triebfeder jeder deutschen Außenpolitik, bis endlich 1989 die Mauer fiel. Zehn Jahre später wurde in der Bundesrepublik die Green Card für IT-Spezialisten diskutiert. Die deutschen Visaregelungen galten als restriktiv und für die ausländischen Besucher oft beschämend. Eine Lockerung war also durchaus an der Zeit. Aber nicht, dass wir tausende von Schwarzarbeitern in die EU einreisen ließen, während wir gleichzeitig Polen und Tschechien nicht zutrauten, die Außengrenzen dieser EU sichern zu können.

Was der Untersuchungsausschuss zur Visa-Affäre ab Donnerstag auch erbringt, Fischers Rücktritt wird es kaum sein. Diese Koalition würde einen Kanzlerwechsel überstehen. Für den Außenminister aber gibt es keinen Nachfolger. Und genau so benimmt sich Fischer.

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