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Politik: "Bei uns glaubt man, Forscher verkauften ihre Seele dem Teufel"

Margot von Renesse (61) gehört seit 1990 dem Deutschen Bundestag an. Die SPD-Politikerin ist die Vorsitzende der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin.

Margot von Renesse (61) gehört seit 1990 dem Deutschen Bundestag an. Die SPD-Politikerin ist die Vorsitzende der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin.

Für die Abstimmung am Mittwoch gibt es einen gemeinsamen Antrag von Ihnen, Andrea Fischer (Grüne) und Maria Böhmer (CDU), in dem der Import von embryonalen Stammzellen grundsätzlich verboten und nur unter strengen Bedingungen zugelassen werden soll. Ist das nicht ein Widerspruch?

Unser Antrag verbindet zwei Positionen: Die einen würden in der Embryonenforschung gerne weitergehen, sehen aber, dass das kulturell nicht integrierbar und damit auch politisch nicht durchsetzbar ist. Und die zweite Position lautet: Wir würden die Einfuhr gerne verbieten, aber wir sehen, dass die Verfassung uns das nicht zu hundert Prozent erlaubt. Zwischen beiden Positionen haben wir eine Verständigung erreicht.

Geht es bei der Import-Entscheidung nicht auch darum, die Chancen der Forschung und medizinischen Entwicklung zu nutzen?

Das ist gar nicht mein Hauptanliegen. Mein Problem ist, wie ich eine Wertordnung erhalte, die sich nicht mit anderen Wertordnungen in der Welt deckt, die mit uns verbunden sind über Internet und das Schengener Abkommen. Wie erhalte ich die für meine Kinder? Jedenfalls nicht mit strikten Verboten, wenn ich also eine Mauer baue. Denn Wissen und Können aus anderen Ländern dringt bei uns ein, ob wir wollen oder nicht. Irgendwann wird es vielleicht lebensrettende Medikamente aus der Embryonenforschung geben. Welches katholische Krankenhaus wird diese Medikamente seinen Patienten verweigern?

Sie denken also gar nicht an die kranken Menschen, die sich von dieser Forschung Heilung versprechen?

Doch. Aber der Erhalt der Wertordnung ist mein zentrales Anliegen. Die Erweiterung von Heilungschancen ist mir auch sehr wichtig. Es ist richtig, Heilung zu suchen, Heilungsmöglichkeiten zu erweitern. Es gibt ja diese neutestamentliche - in Anführungszeichen: Gentechnikstelle - als Johannes der Täufer den Rabbi von Nazareth fragen lässt, ob er der ist, den man erwartet. Und dieser antwortet: Lahme gehen, Blinde sehen, Taube hören. Ganz ohne Stammzellen natürlich, aber offensichtlich ist dort eine ethische Aura um den Heilungsvorgang gelegt.

Glauben sie wirklich, man kann den Import zwar erlauben, aber den Einstieg in die verbrauchende Embryonenforschung verhindern?

Versichern kann ich das nicht. Ich gehe aber davon aus, dass sich 99 Prozent der Forscher in Deutschland freiwillig an die Gesetze halten. Sonst hätte ja der Bonner Hirnforscher Brüstle keinen Antrag für seinen Importwunsch stellen müssen. Der Gesetzgeber entscheidet, ob er die Embryonenforschung will oder nicht. Und dazu gibt es auch noch den Tüv in Karlsruhe, das Verfassungsgericht, also die Möglichkeit wieder zurechtzurücken, was der Verfassung widersprechen sollte.

Sie haben einmal kritisiert, dass es eine große Skepsis gegenüber der Forschung in Deutschland gibt.

Leider werden die Forscher bei uns so eingeschätzt, als seien das alles Doktor Faustus-Typen, die ihre Seele dem Teufel verschrieben haben und im Grunde mit korrupten Politikern und geldgierigen Wirtschaftsbossen die Welt dem Untergang weihen. Aber die meisten sind im Prinzip rechtstreu gesonnen.

Wann haben Sie das letzte Mal mit dem Kanzler über die Stammzellfrage geredet?

Lange her, vor der Sommerpause. Ich habe mit dem Kanzler darüber wenig zu reden, er hat einen anderen Ansatz, den ich auch für akzeptabel halte, wie Wolfgang Clement, den ich auch als einen praktizierenden katholischen Christen kenne. Beide sind keine - wieder in Anführungszeichen: Schweine - und auch keine wertfreien Leute. Sie machen sich halt um die Prosperität ihrer Länder Gedanken.

Ist das der richtige Ansatz bei dieser hochmoralischen Entscheidung?

Ich halte ihn für legitim. Allerdings habe ich beiden zu verstehen gegeben, dass es keinen Standort für Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland gibt, wenn er nicht kulturell integrierbar ist. Sonst wird nachts das Labor zerdeppert. Wer also den Gesichtspunkt von Schröder und Clement teilt, der muss ausloten, was kulturell integrierbar ist und was wir tun können, um diese Integration zu schaffen.

Sie hatten immer den Wunsch, dass sich alle Beteiligten der Stammzell-Debatte am Ende noch in die Augen schauen können. Hatten Sie während der Diskussion den Eindruck, dass man fair miteinander umgeht?

Nein, einige haben gerade zu Beginn der Debatte die Gebote der Fairness etwas verlassen. Man hat mich persönlich ja auch für befangen erklärt wegen meiner Parkinson-Krankheit. Ein starkes Stück. Da wurde mir unterstellt, dass ich mich in der Politik nur dafür einsetze, was meinen eigenen Interesse entspricht. Quatsch. Das fand ich wirklich schauerlich, ja widerlich, weil es mir sozusagen ans Gedärm ging. Das hat mich tief verletzt. Überhaupt gab es zu Beginn des letzten Jahres zu viel Schwarz-oder-Weiß-Denken: Moral gegen Mammon, Werte gegen Wissenschaft und dergleichen. Das haben wir ein Stückchen hinter uns gebracht.

Wer wird am Mittwoch die Mehrheit bekommen? Sie oder die Importgegner?

Ich mache keine Prognosen in Sachen, die ich mir sehr wünsche. Das tut man besser nicht, weil man sich nicht enttäuschen lassen möchte. Der Fall ist dann zu tief.

Haben sie den Eindruck, dass die meisten Parlamentarier überhaupt wissen, worüber sie morgen genau abstimmen?

Nein. Gestern hat mich jemand gefragt: Wenn die bereits existierenden Stammzellen verbraucht sind, dann braucht man doch neue? Und da habe ich ihm erst erklären müssen, dass Stammzellen fast beliebig vermehrbar sind und wie Sauerteig verwendet werden könnten: immer die Hälfte einfrieren und dann vermehren.

Sollte der Bundestag jetzt den Import beschließen, wann könnten die ersten Stammzellen in Deutschland eintreffen?

Nicht bevor ein Gesetz in Kraft getreten ist, das die Import-Voraussetzungen regelt. Aber das kann schnell gehen. Wenn wir damit vor der Sommerpause nicht fertig werden, haben wir unseren Beruf verfehlt.

Für die Abstimmung am Mittwoch gibt es einen

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