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Politik: Beim Besuch des "Seeheimer-Kreises" gilt Entschlossenheit

Krank ist er. Eine Grippe plagt ihn.

Krank ist er. Eine Grippe plagt ihn. Zeit hat er auch kaum, kommt zu spät, muss früher weg. Die Chemielobby wartet. Aber die 50 Minuten, die Gerhard Schröder bleiben, um der im traditionsreichen "Seeheimer-Kreis" zusammengeschlossenen Fraktionsrechten seine Referenz zu erweisen, nutzt der Kanzler mit voller Konzentration. Keine Mätzchen, nur Entschlossenheit und Argumentation.

Eine soziale Schieflage soll der Sparkurs haben, den Finanzminister Hans Eichel und er fahren? Nichts da. Die Handlungsfähigkeit des Staates wieder zu erlangen sei Voraussetzung für "progressive Gesellschaftspolitik". So hat er neulich bei "Christiansen" im Fernsehen argumentiert, so hat er auf dem Kongress der IG-Metall geworben. 82 Milliarden Mark Zinsen pro Jahr - wenn man den Betrag nur auf die Hälfte reduziere, brauche man sich keine Gedanken zu machen, wie die Rente ab 60 zu finanzieren sei, von der die Gewerkschafter träumen.

Die "Seeheimer" (nach ihrem Gründungsort) oder auch "Kanalarbeiter" (wegen ihres Wirkens im Untergrund der Fraktion) sind alles andere als Träumer. In ihren Glanzzeiten waren sie "die" Stütze der Führung, des bis heute hochverehrten Bundeskanzlers Helmut Schmidt zumal. Wie ein, allerdings quicklebendiges, Denkmal dieser Ära wirkt die 80-jährige Annemarie Renger. Gerne hätte die Grande Dame der Parteirechten dem Schmidt-Nachfolger ein paar Worte auf den Weg gegeben, aber die Zeit . . . So bleibt sie disziplinierte Zuhörerin.

Die Glanzzeiten der "Kanaler" sind vorbei. Die Jungen müssten kommen, hatte Renger zum Auftakt der Tagung in der Villa Borsig ausgerufen, aber die sind Mangelware, versammeln sich lieber im parallel tagenden "Netzwerk", das die alte Gesäßgeografie von rechts und links überwinden möchte. Heute titulieren sich die Seeheimer als "Linke Mitte".

Auch der Kanzler, angetreten, "die neue Mitte" zu finden, gibt sich traditionsbewusst. Er zählt auf, wie Versicherungs- und Energiewirtschaft zur Kasse gebeten wurden für die Menschen, "die in den Fabriken und Verwaltungen Erwerbsarbeit nachgehen." Dass sie "mehr Netto von Brutto haben", soll künftig im Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik stehen. Dann, verspricht er, könne man es schaffen.

War noch was? Richtig, Oskar Lafontaine zum Beispiel. Der habe sich auch bei denen, die ihn einmal liebten, mit seinem Buch unmöglich gemacht, sagt Anke Fuchs, eine andere Parteiveteranin. Schröder kommt der Name nicht über die Lippen. Auch Rudolf Scharping, der in diesen Tagen als Kanzler der Reserve von sich reden macht, wird nicht erwähnt. Von einer "Personaldebatte" raunt Schröder und dass da "schon telefoniert werde". Ein "verminter Sektor" sei das, was auch mit "Historie" zu tun habe, sagt er in Anspielung darauf, dass er und Lafontaine einst den Vorsitzenden Scharping zu Fall brachten. Nein, jetzt bloß keinen Streit mit dem übrig gebliebenen, alle Kräfte zusammen genommen, kämpfen. So soll es sein, so hören es die ergrauten Kanaler gerne. Schließlich möchten sie die Pensionsgrenze mit dem Gefühl erreichen, dass nicht nur Anke Fuchs 16 Jahre lang vermisst hat: "Wieder zur Mehrheit zu gehören."

Thomas Kröter

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