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Beitrittsskeptiker vorn: Türkischer Ärger über Europawahl

Nach den Wahlen zum Europaparlament könnte sich die ohnehin schwierige Stimmungslage zwischen der Türkei und der EU noch einmal verschärfen.

Mit einem Nein zur Türkei könne man in Europa trefflich Wahlkampf machen, kommentierte die türkische Presse am Montag die Stimmengewinne der konservativen Parteien bei der EU-Wahl. Für zusätzlichen Ärger sorgen neue deutsche Regeln zur Einreise für Türken – der Regierung in Berlin wird vorgeworfen, sie wolle die vom Europäischen Gerichtshof angeordnete Visumsfreiheit für bestimmte türkische Berufsgruppen umgehen.

Angela Merkel in Deutschland, Nicolas Sarkozy in Frankreich – die Parteien prominenter Türkei-Skeptiker konnten sich bei der Europawahl am Sonntag in ihren jeweiligen Ländern als stärkste Kräfte behaupten. Dagegen seien die Linksparteien, die dem türkischen Beitrittswunsch traditionell aufgeschlossener gegenüber stehen, von den Wählern abgestraft worden, hieß es in der regierungsnahen Zeitung „Zaman“. Eine andere Zeitung, „Vatan“, ging in ihrer Analyse noch weiter: Wer in Europa mit Parolen gegen die Türkei in den Wahlkampf ziehe, habe gute Aussichten auf Stimmenzugewinne.

Regierungsamtliche Reaktionen zum Wahlausgang lagen am Montag noch nicht vor. Schon seit längerem ist die türkische Regierung allerdings genervt über den Hang europäischer Konservativer wie Merkel und Sarkozy, die „Türkei-Karte“ zu spielen, wenn sie ihre Anhänger motivieren wollen. Erst in der vergangenen Woche stellte das türkische Außenamt in einer schriftlichen Erklärung fest, solche Äußerungen könnten unmöglich „gut gemeint“ sein. Die Türkei werde sich davon aber nicht abbringen lassen und die Ende 2005 begonnenen Verhandlungen weiter vorantreiben.

Noch vor Ende der tschechischen EU-Präsidentschaft Ende des Monats wird die Eröffnung eines weiteren Verhandlungskapitels erwartet; auch die darauf folgende schwedische Präsidentschaft wird nach Meinung von Beobachtern die Eröffnung von ein oder zwei neue Kapiteln der Türkei-Verhandlungen unter Dach und Fach bringen. Bisher hat die Türkei zehn von 35 Kapitel eröffnen können.

Viele weitere Kapitel sind also noch zu bewältigen, bis sich die Frage nach einer Aufnahme der Türkei stellt. Allerdings könnten die Verhandlungen schon bald stocken – denn es gibt immer weniger Bereiche, über die Türken und Europäer noch reden können.

Sollte die Türkei bis Ende des Jahres noch drei Kapitel angehen können, wäre sie bei insgesamt 13. Acht weitere Kapitel sind wegen des Streits um Zypern von der EU auf Eis gelegt worden und damit bis auf weiteres von den Verhandlungen ausgeschlossen. Frankreich blockiert darüber hinaus alle Kapitel, bei denen es direkt um eine türkische Mitgliedschaft geht, wie etwa das Kapitel Währungsunion. Andere Felder der Verhandlungen sind außen vor, weil die Türkei ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat, wie zum Beispiel im Sozialsektor, bei dem die EU seit drei Jahren auf eine Reform der Gewerkschafts-Gesetzgebung wartet.

„Die Beziehungen mit der EU laufen nicht gut“, schrieb der angesehene Kolumnist Murat Yetkin am Montag in der Zeitung „Radikal“. In der EU gebe es keine große Rückendeckung für die Türkei, und in Ankara selbst sei trotz aller Ankündigungen in den vergangenen Monaten keine Entschlossenheit in Sachen EU-Reformen zu spüren. Tatsächlich versprechen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Gefolgsleute regelmäßig eine Rückkehr zu jenem Reformkurs, mit dem sich die Türkei in den Jahren von 2002 bis 2005 den Beginn der Beitrittsverhandlungen erkämpfte. Doch von einigen Einzelaktionen wie der Gründung eines kurdischen Fernsehsenders abgesehen, blieb Erdogan bisher konkrete Taten schuldig.

Zur schlechten türkisch-europäischen Atmosphäre passt, dass auch die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland neue Spannungen erleben. Das kürzliche Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Visumsfreiheit türkischer Dienstleister, Wissenschaftler, Künstler und Sportler hatte am Bosporus die Hoffnung auf völlige Reisefreiheit in Europa geweckt – ein lang gehegter türkischer Traum.

Spätestens seit der vergangenen Woche ist klar, dass daraus nichts wird. Die deutsche Botschaft in Ankara wies darauf hin, dass Türken auch ohne Visum bei der Einreise „aussagekräftige Unterlagen“ bei sich haben müssten. Zudem liege die endgültige Entscheidung über die Einreise bei den Grenzbeamten. In der türkischen Presse wurde das als neue Drangsalierung gewertet. Die Türkei müsse gegen diesen „Betrug“ schärfstens protestieren, forderte die Zeitung „Hürriyet“. Das Klima zwischen Türken und Europäern könnte in nächster Zeit noch etwas rauher werden.

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