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Belgien

© AFP

Belgien: Kampf der Stammeshäuptlinge

Belgiens Wahlsieger Yves Leterme scheitert endgültig mit der Regierungsbildung – wieder am Nationalitätenstreit.

Die Regierungsverhandlungen in Belgien sind gescheitert – und damit auch der designierte Premierminister Yves Leterme. Der flämische Christdemokrat, der bei den Parlamentswahlen in Belgien im Juni die meisten Stimmen bekommen hatte, hat die Verhandlungen mit seinen möglichen Koalitionspartnern abgebrochen und damit das Königreich in eine noch tiefere Krise gestürzt. Seit fast sechs Monaten hat Belgien keine funktionierende Regierung mehr. Die flämischen und frankophonen Parteien haben sich noch immer nicht auf ein gemeinsames Regierungsprogramm und eine Staatsreform geeinigt.

Am Samstag hatte Yves Leterme den König gebeten, ihn von seiner Aufgabe zu befreien, eine Regierung zu bilden. „Das Land braucht eine starke Regierung, aber zurzeit ist kein Kompromiss möglich. Einfach weiterzumachen, wäre unseriös“, erklärte Leterme. Einmal mehr war es der Streit zwischen Flamen und Wallonen und die Frage nach der zukünftigen Organisation des belgischen Staates, die zum Scheitern der Verhandlungen geführt haben. Diesmal waren es die frankophonen Christdemokraten, die Leterme zum Stolpern gebracht haben. Die Partei von Joelle Milquet hat die Bedingungen des Verhandlungsführers für weitere Gespräche abgelehnt. Leterme hatte unter anderem verlangt, dass die Regionen – also die Wallonie und Flandern – Unternehmen unabhängig von der föderalen Regierung steuerbegünstigen können und dass eine mögliche Staatsreform mit einer einfachen Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament beschlossen werden kann, ohne darauf zu achten, ob Frankophone und Flamen den gleichen Stimmenanteil haben. „Es war für uns unmöglich, diese Bedingungen der flämischen Nationalisten zu akzeptieren“, erklärte der Vorstand der Partei nach dem Rücktritt von Yves Leterme.

Bereits Ende August hatte Leterme seinen Auftrag zur Regierungsbildung zurückgegeben. König Albert II. hatte Leterme dennoch kurze Zeit später ein zweites Mal mit der Regierungsbildung beauftragt. Schließlich sind es Letermes Christdemokraten, die bei den Parlamentswahlen im Juni die meisten Stimmen bekommen hatten: 800 000. Nun scheint es aber praktisch unmöglich, dass Leterme ein weiteres Mal die Koalitionsverhandlungen führen könnte. Damit wäre auch seine Position als Premierminister gefährdet. Er selbst erklärte, er sei sich darüber bewusst, dass er mit der Führung der Verhandlungen auch ein „persönliches Risiko“ eingegangen war. Er hatte es zwar geschafft, mit seinen potenziellen Koalitionspartnern Kompromisse zum Beispiel für eine gemeinsame Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu finden, aber noch immer trennt die Parteien der Graben zwischen frankophonen und flämischen Politikern. Die Flamen fordern mehr Kompetenzen für ihre Region. Die Frankophonen lehnen dies ab.

Der belgische König begann bereits am Samstag mit neuen Beratungsgesprächen – als Erstes empfing er den bisherigen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt. Der führt seit den Wahlen kommissarisch die Geschäfte. Beobachter in Brüssel vermuten nun, dass der Liberale, der bei den Wahlen stark verloren hatte, doch wieder an den Regierungsverhandlungen beteiligt werden könnte.

Ruth Reichstein[Brüssel]

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