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Politik: Belgrader Tagebuch

Alex K. lebt in Belgrad.

Alex K. lebt in Belgrad. Die junge Serbin, die von sich selbst sagt, sie sei von westlichen Idealen geprägt, beschreibt in ihrem Tagebuch, wie sie den Krieg erlebt. Der Tagesspiegel veröffentlicht das Tagebuch von Alex K. in unregelmäßigen Abständen. Um die Autorin zu schützen, können wir ihren richtigen Namen nicht nennen. Heute drucken wir ihre Eindrücke vom 24. Mai. Der Tagesspiegel meldete: "Mehr deutsche Soldaten für Friedenstruppe. Minister Scharping denkt an 2000 Mann. Debatte über Kampfeinsätze. Neue Flüchtlingswelle."

Fast drei Tage und drei Nächte hatten wir weder Strom noch Wasser. Diesmal gab es nicht die "sanften Bomben", sondern Bomben, die explodieren und zerstören. Das Stromnetz Serbiens war zum legitimen militärischen Ziel erklärt worden, auch wenn bekannt ist, daß es wichtiger für die Zivilbevölkerung als für das Militär ist. Es ist ganz gewiß eine Maßnahme, um die Bevölkerung zu entmutigen und zu demoralisieren. Wahrscheinlich würde die Methode in einer westlichen Konsumgesellschaft funktionieren, aber hier sind die Leute gewohnt zu leiden, und sie tun das mit Würde. Keinen Strom zu haben, bedeutet nicht nur Verzicht auf Licht, Fernsehen, Waschmaschine und Herd. Auch die Straßenbahnen und Oberleitungsbusse fahren nicht. All das könnte man verkraften. Aber es bedeutet auch, daß die Brutkästen in den Krankenhäusern nicht funktionieren, daß das Leben der Dialyse-Patienten in Gefahr ist, das Brot wird nicht gebacken, die ganze Nahrungsmittelindustrie ist lahmgelegt. Das Telefon funktioniert noch. Am Abend rief der Mann meiner Freundin Dragana an. Er weinte. Dragana war im neunten Monat schwanger, und die Wehen setzten ein. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Es gab Komplikationen, und die Ärzte beschlossen, einen Kaiserschnitt zu machen. Kurz darauf fiel durch das Bombardement der Strom aus. Das Krankenhaus hatte einen Notgenerator, aber der fiel nach zehn Minuten auch aus. In einem Land, das durch acht Jahre Sanktionen verarmt ist, gibt es nicht genug Geld, neue Geräte für die Krankenhäuser zu kaufen. Dennoch - das Kind wurde geboren. Die Ärzte arbeiteten bei Kerzenlicht. Dragana verlor durch die ungünstige Situation viel Blut, und während ich dies schreibe, kämpfen die Ärzte noch um ihr Leben. Manche Tage sind noch härter als andere.

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