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Benedikt XVI. besucht Erfurt: Papst in Luthers Land

Der Papst kommt nach Erfurt. Zum ersten Mal seit 500 Jahren wird ein Oberhaupt der Katholiken das Kloster des Papstzweiflers Luther betreten. In Erfurt trifft Benedikt XVI. auf Freunde und Fremde.

Die Fliesen auf dem Boden sind abgetreten. Viele Hundert Jahre liegen sie schon hier, viele Millionen Füße sind darüber gegangen. Auch Martin Luther stand oft auf diesem Boden im Kapitelsaal im Erfurter Augustinerkloster – als er noch katholisch war. Von 1505 bis 1511 war er hier Mönch.

500 Jahre später, am 23. September 2011, wird zum ersten Mal ein Papst nach Erfurt kommen und das Kloster des Papstzweiflers Luther besuchen. Und wieder wird der Kapitelsaal eine historische Rolle spielen. Hier wird Benedikt XVI. eine halbe Stunde mit Vertretern der evangelischen Kirche sprechen. Danach wird er zusammen mit den Evangelischen in der Klosterkirche nebenan einen Gottesdienst feiern.

Die Begegnung und der Gottesdienst sind von hoher symbolischer Kraft, und sie kommen auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes zustande. Dies alleine ist schon bemerkenswert. Denn traditionell ist die katholische Kirche auf Martin Luther nicht gut zu sprechen. Schließlich haben seine Äußerungen zur Spaltung der Kirche geführt, bis heute sind die Unterschiede zwischen den Kirchen groß, etwa in der theologischen Bewertung der Sakramente und des Papst-, Bischofs- und Priesteramtes. Auch waren die Verlautbarungen auf hoher Ebene in den vergangenen Jahren eher auf Abgrenzung als auf Annäherung angelegt. Vor ein paar Monaten erst hatte der katholische Bischof

Im Glauben ans Geschäft. Der Verkauf von Ansichtskarten und Andenken ist schon angelaufen.
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© epd

Gerhard-Ludwig Müller aus Regensburg die evangelische Kirche aufgefordert, sie möge sich entschuldigen, weil Martin Luther den Papst einen „Antichristen“ genannt habe. Aber Müller verkörpert nicht den Mainstream in der Deutschen Bischofskonferenz. Am Mittwoch reagierte allerdings auch Erzbischof Robert Zollitsch verschnupft, der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Er habe sich „gewundert“ über einen Artikel in der aktuellen Ausgabe des Monatsmagazins „Chrismon“, das von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) herausgegeben wird. Darin beschreibt der Chefredakteur mit deutlichen Worten, warum er von der katholischen zur evangelischen Kirche übergetreten sei.

Für allzu große Empfindlichkeit zwischen den Kirchen ist in Ostdeutschland kein Raum. Von den knapp 200 000 Erfurtern sind 6,6 Prozent katholisch und 13,8 Prozent evangelisch. Was die Kirchen wollen, interessiert hier kaum jemanden, geschweige denn, was sie trennt. Dass die beiden Kirchen eng zusammenarbeiten, sei „der Normalfall“, sagt der evangelische Oberkirchenrat Christhard Wagner in Erfurt. „Religiöses ist den Menschen hier so fremd, dass es schon wieder interessant ist“, sagt Joachim Wanke, der katholische Bischof von Erfurt. Das sei auch eine Chance.

Lesen Sie auf Seite zwei, was sich Bischof Wanke vom Papstbesuch wünscht.

Wanke ist seit 31 Jahren Bischof in Erfurt und ein feiner älterer Herr, dem Überheblichkeit fremd ist. Er ermutigt die Christen, das Lamentieren sein zu lassen und zu akzeptieren, dass sie in der Minderheit sind. Zu Gottes Geheimnis gebe es schließlich „viele Türen“. Seit 20 Jahren versucht Wanke, den Thüringern Angebote zu machen, die ihnen vielleicht im Leben weiterhelfen. Ihnen irgendetwas überzustülpen, liegt ihm fern. Er fragt auch nicht, wie viele am Ende in die Kirche eintreten. „Man muss wegkommen von diesem quantitativen Denken.“ Er wünscht sich, „dass der Papst bei seinem Besuch in Erfurt nicht auf Kulturpessimismus macht“, sondern die Menschen ermutigt, und zwar alle und nicht nur die kleine Schar der Getauften. Er wünscht sich auch, der Papst würde allen Ostdeutschen seine Anerkennung aussprechen für das, was sie in den vergangenen 20 Jahren geleistet haben.

Was das Verhältnis zu den Evangelischen angeht, sieht Wanke beide Seiten in der „Bringschuld“. Die katholische Kirche sollte sich fragen, was Luther umgetrieben hat, sagt er. Er hofft, dass der Papst einen Anstoß geben wird, um in den strittigen Fragen weiterzukommen. „Die Freundschaft wächst, wenn wir gemeinsam nach vorne schauen, wenn es uns gemeinsam unruhig macht, dass hier Jugendliche leben, die das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nicht kennen.“

Wanke wird bei dem Treffen des Papstes mit den Evangelischen im Kapitelsaal im Augustinerkloster dabei sein. Ebenso Thies Gundlach, der stellvertretende Leiter des EKD-Kirchenamtes in Hannover. Zusammen mit dem päpstlichen Reisemarschall hat er den Besuch des Papstes in Erfurt vorbereitet. Gundlach hat in der Vergangenheit nicht immer freundliche Worte für die katholische Kirche gefunden, nun ist er begeistert von der „besonders zugewandten ökumenischen Atmosphäre“ während der Vorbereitungen. Anders als beim Weltjugendtag 2005 in Köln dürfen diesmal die Protestanten auch selbst auswählen, wer von ihrer Seite bei dem Treffen dabei sein wird. Vor sechs Jahren bestimmte Rom die Teilnehmerliste. Gundlach wünscht sich, dass Benedikt XVI. einen Weg weist, „wie die Kirchen 500 Jahre nach der Reformation gemeinsam Luthers Handeln deuten können“. Und auch er erwartet, dass der Papst Impulse gibt, wie man in den strittigen Fragen etwa des Amtsverständnisses oder der Sakramente vorankommen könnte.

Hört man allerdings Kurienkardinal Paul Joseph Cordes zu, zerbröseln die Hoffnungen auf Reformen. „Was die Relativierung von Glaubensinhalten angeht, ist Benedikt XVI. nicht der richtige Mann“, sagt Cordes. Das gilt auch für die drängenden Fragen, die das katholischen Kirchenvolk im Rahmen eines gerade begonnenen „Gesprächsprozesses“ mit den deutschen Bischöfen diskutieren möchte. „Sich der Welt öffnen? Die Latte niedriger hängen? Davon halte ich nichts“, sagt Cordes, der früher Vizepräsident des Päpstlichen Rates für die Laien in Rom war. Warum sollte die römische Weltkirche auf Forderungen der Deutschen eingehen, fragt Cordes zurück. Die deutschen Katholiken seien eine kleine Minderheit unter den weltweit 1,8 Milliarden Katholiken – und was ihre Inbrunst im Glauben angehe, „nicht gerade ein Vorbild“. Die Deutschen sollten sich nicht so ernst nehmen. Und überhaupt: Wer im Vatikan kenne schon das Augustinerkloster in Erfurt?

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