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Politik: Benzinpreis: Auf den Kanzler kommt es an (Leitartikel)

Frau Schmidt braucht ihr Auto, denn sie wohnt auf dem Land. Die Schule ist weit entfernt, die Busverbindung oft ungünstig.

Frau Schmidt braucht ihr Auto, denn sie wohnt auf dem Land. Die Schule ist weit entfernt, die Busverbindung oft ungünstig. Mal muss sie die Kinder von Freunden abholen, mal zum Schwimmbad bringen. Das kostet: rund 500 Mark im Monat für Steuern, Versicherung, Reparaturen, Benzin. Und jetzt noch mehr: Frau Schmidt gibt im Monat 50 Mark mehr für Benzin aus als vor zwei Jahren. Das liegt, wie man weiß, am schwachen Euro, an gedrosselten Öl-Fördermengen, an der Preispolitik der Konzerne. Und an der Ökosteuer. Knapp ein Drittel von den 50 Mark Mehrkosten bezahlt Frau Schmidt für die Ökosteuer. Euro-Kurs, Multis, Opec - all das ist weit weg. Aber warum kann man nicht wenigstens die Ökosteuer streichen?

Rot-Grün antwortet Frau Schmidt ungefähr so: Wir brauchen die Ökosteuer, um die Lohnnebenkosten zu senken und Arbeit billiger zu machen. Denn Arbeit ist in Deutschland teuer, Benzin, verglichen mit anderen EU-Ländern, noch immer eher billig. Außerdem sind spritsparende Autos nur attraktiv, wenn das Benzin viel kostet. Zudem haben wir das Kindergeld erhöht und die Steuern für Normalverdiener gesenkt. Der Staat bevorzugt, via Kilometergeld-Pauschale, noch immer das Auto. Deshalb ist der Vorwurf Edmund Stoibers, Rot-Grün mache Autofahren für Ärmere zum Luxus, nur Polemik. Und schließlich: Wenn wir die Ökosteuer - eines unserer wesentlichen Ziele - aufgäben, dann würde das Benzin nicht automatisch billiger. Denn die Öl-Konzerne würden in der derzeitigen Marktlage kaum die Preise senken. Dann hätten wir uns selbst verraten - für eine sinnlose Geste.

Das ist alles sehr vernünftig. Doch die Benzinpreis-Debatte wird überlagert von Kurzschlüssen und populistischen Hauruck-Forderungen. Die Union ist froh, endlich einen Angriffspunkt gefunden zu haben und polemisiert gegen die "Benzin-Abzockerei". Dass früher auch Wolfgang Schäuble die Ökosteuer wollte, ist vergessen. Mindestens 10 000 Speditionsfirmen werden bankrott gehen, meinen gewohnt alarmistisch die Lkw-Lobbyisten. Manche Leitartikler sind ehrlich entrüstet, weil sie urplötzlich entdecken, dass der Staat tatsächlich die Frechheit besitzt, Benzin "brutal" zu besteuern.

In dieser überhitzten Lage zeigt sich zugleich das alte Debakel ökologischer Politik. Man will das Richtige, das, angesichts des Klimas und der begrenzten Ölvorräte, früher oder später sowieso Notwendige - aber das Publikum will es nicht hören. Dann folgt die Pädagogik-Spirale. Je lauter, eindringlicher, appellhafter die "Wissenden" reden, desto entschlossener hält sich der empörungsbereite Teil des fahrenden Volkes die Ohren zu und schimpft auf die da oben.

Was tun? Als die "Bild"-Zeitung im Juni eine "Benzin-Wut" Kampagne initiierte, tat Kanzler Schröder das Richtige: gar nichts. Der Volkszorn verebbte wieder. Diesmal scheint die Lage ernster zu sein. Lobbyisten drohen mit Lkw-Blockaden, ein Hauch von rechtem Anarchismus liegt über dem Land. Der Benzinpreis könnte zum Ventil für alle verborgenen Unzufriedenheiten werden, jene unterirdischen Frustrationen, die kein Umfrageergebnis spiegelt. Diesmal wird wegducken nicht reichen, diesmal muss auch Gerhard Schröder in die Offensive. Er hat gute Argumente, auch ökonomische. Er ist pädagogischer Anwandlungen unverdächtig. Aber unser Konsens-Kanzler würde sein Image als Automann aufs Spiel setzen. Ein Risiko. Doch könnte er hier tun, was er noch nie wagte: Einsatz zu zeigen für etwas, bei dem man viel verlieren kann. Und an Statur gewinnen. Helmut Kohl hat das auch mal getan: beim Euro.

Stefan Reinecke

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