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Ein nordkoreanischer Soldat filmt Militäroffiziere während einer Showveranstaltung in Pjöngjang anlässlich des Endes des ersten Parteitages der Arbeiterpartei seit 36 Jahren.

© Reuters

Berichterstattung in Nordkorea: ZDF-Korrespondent Reichart: "Wir waren ganz klar nicht frei"

ZDF-Korrespondent Thomas Reichart über Schwierigkeiten für ausländische Journalisten in Nordkorea, die Sehnsüchte der Menschen – und was ihn in Pjöngjang an die Kulturrevolution in China erinnert.

Herr Reichart, Sie haben unlängst für das ZDF vom Parteikongress der Arbeiterpartei in Pjöngjang berichtet. Inwiefern erinnert Sie Nordkorea im Jahr 2016 an die Kulturrevolution vor 50 Jahren in China?

Es gibt schon Parallelen. Eine ist natürlich der Kult um den großen Anführer: Mao für einen Halbgott zu halten und zu singen: Vater und Mutter mögen dir nahe sein, aber noch näher ist dir der große Vorsitzende Mao. Das ist etwas, was der Ideologie der Diktatorenfamilie der Kims in Nordkorea sehr ähnlich ist.

Sehen Sie weitere Parallelen?

Die Ästhetik. Zum Beispiel auf den Propagandaplakaten, die man bei der Fahrt durch die Hauptstadt Pjöngjang sehen kann: das Marschieren nach vorne, die roten Fahnen. Im Yanggakdo-Hotel konnte man Postkarten kaufen, auf denen der imperialistische Feind USA zerschmettert wird. Auch das ist eine Ästhetik, die sehr nahe an der Kulturrevolution ist.

Wie kam es dazu, dass Sie als Journalist nach Nordkorea reisen durften?

Das ist schon ungewöhnlich, weil man als Journalist sonst eigentlich nicht nach Nordkorea reinkommt. Nur bei besonderen Gelegenheiten. Im Herbst waren wir da, weil die Arbeiterpartei 70. Geburtstag feierte und das Regime Interesse an einer Berichterstattung hatte. So war es auch diesmal vor dem ersten Kongress der Arbeiterpartei seit 36 Jahren.

Welche Informationen haben Sie von Ihren Gastgebern darüber erhalten?

Als wir in Peking mit Air Koryo losgeflogen sind, wussten wir weder, in welchem Hotel wir unterkommen, noch was auf der Tagesordnung steht. Es war ein totaler Blindflug, aber so war es auch beim letzten Mal. Die Aufpasser, die man an die Seite gestellt kriegt – es sind immer zwei, die sich gegenseitig kontrollieren –, wissen auch nichts oder tun zumindest immer so. Wir sind dort ständig in Hab-Acht-Stellung, die Nordkoreaner haben immer ein dichtes Programm für einen. Das ist auch Taktik. Es ist der Versuch, einen unter Aufsicht andauernd zu beschäftigen, damit man ja nicht ausscheren kann.

Wie frei waren Sie dann überhaupt in Ihrer Berichterstattung?

Ganz klar nicht frei. Das muss jedem klar sein, der dorthin fährt. Wir konnten uns nicht frei bewegen, wir konnten keine eigenen koreanischen Übersetzer mitbringen. Man ist darauf angewiesen, was die Aufpasser übersetzen. Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob die Passanten, die wir getroffen haben, wirklich zufällig dort waren oder ob sie gerade dort sein sollten. Trotzdem lohnt es sich nach Nordkorea zu fahren und sich selber ein Bild zu machen.

Thomas Reichart, 45, leitet seit 2014 das ZDF-Studio Ostasien in Peking.
Thomas Reichart, 45, leitet seit 2014 das ZDF-Studio Ostasien in Peking.

© promo

Ein BBC-Team ist fast zur gleichen Zeit kurzzeitig verhaftet worden. War es für Sie auch gefährlich?

Schwierig zu sagen. Der BBC-Kollege hatte eine Delegation von westlichen Nobelpreisträgern begleitet. Ausschlaggebend für die Verhaftung war wohl ein Krankenhausbesuch, in dem besonders viel Inszenierung geboten wurde. Es schien den Nobelpreisträgern so, dass die Ärzte keine wirklichen Ärzte waren. Und die Kinder, die angeblich Patienten waren, sahen zu gesund dafür aus. Die Nobelpreisträger haben diesen Verdacht selber geäußert und der BBC-Reporter hat das kommentiert. Das hat die Nordkoreaner wahnsinnig geärgert, weil sie bei ihrer Inszenierung ertappt wurden.

Haben Sie selber auch Inszenierungen zu sehen bekommen?

Es wird viel inszeniert, aber dabei gibt es immer wieder Brüche, und das macht es so lohnend, dorthin zu fahren. Wir fuhren in eine Drahtfabrik, in der es ein Wellnesscenter für Arbeiter gibt. Das ist natürlich auch eine Inszenierung. Aber das sich anzugucken und zu sehen, wie stolz die Nordkoreaner sind auf eine einfache Drahtfabrik, in der man nur Lowtech sieht – das lässt viele Rückschlüsse zu, mit welchen Herausforderungen Nordkorea zu kämpfen hat. Ich wäre auch gerne aufs Land gefahren, um zu sehen, wie es jenseits von Pjöngjang aussieht. Jenseits von dieser Insel, in die ein Großteil der Ressourcen reinfließt. Das war nicht möglich.

Gab es auch etwas, was Sie positiv überrascht hat?

Das waren die Leute, mit denen wir zu tun hatten. Passanten auf der Straße oder unsere Aufpasser, die zum Teil hervorragend Deutsch sprachen. Oder Englisch mit amerikanischem Akzent, obwohl sie noch nie in Amerika waren. Das waren gescheite Leute, mit Witz und Humor. Diese Menschen widersprechen dem Vorurteil einer rein anonymen, stalinistisch organisierten Masse. Nordkoreaner sind nicht allein nur jene, die ekstatisch jubelnd vor Kim Jong Un vorbeimarschieren oder soldatisch vor sich hinbrüllen, um irgendwelche Gegner im Ausland zu erschrecken. Es sind auch ganz normale Menschen, die schlau sind und die ein Interesse an der Außenwelt haben. Ich erinnere mich an einen der jungen Aufpasser, der wahnsinnig fasziniert war von meiner Kreditkarte. Er hat sie in seiner Hand gehalten und bestaunt, als wäre sie die Eintrittskarte in die weite Welt.

Er wusste, was das für eine Karte war?

Ja, und er hielt sie wie einen Goldschatz in den Händen. Wie etwas, was für ihn unerreichbar ist, aber was er sich sehr, sehr wünscht. Wenn dieser Mann nicht in Nordkorea leben würde, hätte er sicher eine erfolgreiche Karriere vor sich und könnte reisen und alles machen, was man mit einer Kreditkarte so macht. Es war fast berührend zu sehen, dass es die Sehnsüchte, die es bei uns gibt, auch genauso bei den jungen Leuten in Nordkorea gibt. Sie wollen Karriere machen und wollen etwas sehen von der Welt. Und sind aber eingesperrt in einem totalitären und menschenverachtenden Regime.

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