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Politik: Berlin regt auf? Das reicht nicht

DAS BILD DER HAUPTSTADT

Von Hermann Rudolph

Das „neue Berlin" hieß die fanfarenhafte Losung, mit der sich die Stadt vor ein paar Jahren auf ihre Zukunft einstimmte. Aus der Statistik kommt das Echo: Rund eine Million Menschen sind seit der Wende nach Berlin gezogen. Gibt es also schon das neue Berlin? Machen wir uns keine Illusionen: Neben den West und Ost-Berlinern gibt es nun – vor allem nach dem Regierungsumzug – auch noch die Neu-Berliner. Und deshalb ist es eine Schlüsselfrage für die Stadt: Mischen sich die Alteinwohner und die Zugezogenen? Oder leben sie nebeneinanderher? Oder gibt es, wie manche wissen wollen, einen Kampf um Berlin – einen Kulturkampf, in dem die alten und die neuen Bewohner um das künftige Bild der Stadt konkurrieren?

Erstaunlicherweise sind ja die Vorbehalte, die vor allem in Bonn gegen Berlin gepflegt wurden, dahingeschwunden wie Schnee an der Sonne. Nirgendwo singt einer sehnsuchtsvoll davon, dass er – frei nach Hildegard Knef – noch einen Koffer in Bonn habe. Irgendwie finden alle Berlin gut. Nur die politischen Verhältnisse nicht. Und nicht die horrende Verschuldung der Stadt. Und den Schatten von Subventionen und Verfilzung. Ganz zu schweigen von dem rüden Umgangston. Liegt man so falsch, wenn man den Verdacht heraushört, Berlin sei ein Augiasstall, der endlich gereinigt gehörte? Die neuen Berliner sind in Berlin angekommen. Aber sind sie wirklich schon da? Sind sie, umgekehrt, von den Ur-Einwohnern akzeptiert?

Nehmen wir den viel beredeten Gesprächskreis Hauptstadtunion, dieses Zwischenlager, in dem sich die CDU-Zuzügler überlegen, ob sie sich hier auch politisch niederlassen wollen. Er illustriert das Problem, dass ein paar tausend qualifizierte Köpfe, versehen mit den Weihen der hohen Politik, sich seit bald drei Jahren in Berlin befinden. Doch eine Wirkung auf das politische Leben – das eine Erneuerung dringend nötig hätte – ist nicht wahrnehmbar. Auch in der SPD spürt man nichts von einer Blutzufuhr. Bis auf Finanzsenator Sarrazin: mit ihm sitzen immerhin sechzehn Jahre Bonner Finanzministerium am Senatstisch und formen, vermutlich, an einem Berlin nach dessen Bilde.

Das neue Berlin, das Projekt der Wiederbegründung, der Neu-Erfindung Berlins kommt nur langsam voran. Dabei hat Berlin ja nicht nur einen zugegeben etwas angeschlagenen Ruf, sondern auch eine Anziehungskraft, von der man vor ein paar Jahren nicht zu träumen gewagt hätte. Kein Großunternehmen, kein Verband, der hier nicht längst sein Büro hat. Kein Event, das hier nicht seine Szene sucht. Die Stadt ist zur Zweitwohnungs-Kapitale der Republik geworden. So ziemlich alle, die die Nase im Wind haben oder einen anregenden Platz für den Ruhestand suchen, sitzen inzwischen in Berlin und warten. Worauf? Natürlich darauf, dass der Phönix Hauptstadt aufsteigt: nicht gerade aus der Asche – das haben wir hinter uns – aber aus dem Dilemma, dass die Stadt noch immer zwischen Kiez und Metropole schwankt und einfach nicht auf die Beine kommen will.

Dabei hat sich Berlin doch längst aus dem Bann von Nachkriegs- und Mauerzeit gelöst. Bevor sich der Regierungstross nach Berlin in Bewegung setzte, haben die Nach-Wende-Zuzügler, die Jungunternehmer in Mitte und die West-Studenten am Kollwitz-Platz, die Piepenbrocks und Dussmanns, die Stadt schon gehörig durchgeknetet. Aber noch immer geht nicht zusammen, was doch zusammengehen müsste, um der Stadt aus dem Spagat von Zerknirschung und Überschätzung herauszuhelfen – Alt- und Neu-Berliner, Berlin-Kritiker und Berlin-Enthusiasten, Bund und Berlin, ganz zu schweigen von West- und Ost-Berlinern. Mit Folgen: Die Neuen fremdeln. Das alte Berlin trotzt, immer einmal wieder. Der Bund hält Distanz zu seiner Hauptstadt. Der Schmelztiegel, der Berlin sein will, hat noch viel zu schmelzen.

Als vor einigen Jahren die ersten Nach-Wende-Bauten fertig wurden und das Hauptstadt-Projekt in die Dimension des Alltags hinüberwechselte, hat Akademie-Präsident György Konrad Berlin den „großangelegten Intelligenztest am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts" genannt. Nun, am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts, darf schon einmal gefragt werden, ob die Berliner, neue und alte, diesen Test bestehen.

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