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Kurdische Wünsche. Die Peschmerga-Miliz möchte für den Kampf gegen die Extremisten Sturmgewehre wie das deutsche G36 und panzerbrechende Waffen.

© AFP

Berlin und die Waffenlieferungen: Vorbehalte der Bundesregierung schwinden

In der Bundesregierung wächst die Bereitschaft, im Nordirak auch militärische Hilfe zu leisten. Die Bundestagsausschüsse für Auswärtiges und Verteidigung wollen an diesem Montag in Sondersitzungen über die Lage im Irak und in Syrien beraten.

Die Berichte über die immer neuen Gräueltaten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien lassen auch in Deutschland die Bereitschaft wachsen, den Kurden im Nordirak Waffen zu liefern und auch eine internationale Mission in der Krisenregion zu unterstützen. Bedingung hierfür sei ein entsprechender Beschluss des UN-Sicherheitsrates, berichtet der „Spiegel“ unter Berufung auf Regierungskreise. Die Bundestagsausschüsse für Auswärtiges und Verteidigung wollen an diesem Montag in Sondersitzungen über die Lage im Irak und in Syrien beraten.

Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte dem Magazin mit Blick auf mögliche Waffenlieferungen: „Wir können nicht zusehen, wie bis an die Zähne bewaffnete Fanatiker tausende unschuldige Menschen umbringen und deren Verteidiger keine wirksamen Mittel zum Schutz haben.“ Es sei ein „Dilemma“, aber „am Ende dürfen wir bei einem Völkermord vor unseren Augen nicht tatenlos zuschauen“, fügte der SPD-Chef hinzu. CDU-Vizechefin Julia Klöckner sagte, wer Waffenlieferungen grundsätzlich ausschließe, werde „beim Kirchentag zwar mit viel Applaus bedacht“, als Politiker könne man „aber nicht nur auf den Applaus und den ruhigen Schlaf schielen“. Klöckner weiter: „Verantwortung heißt auch Abwägen, das Schlimmere verhindern.“ Auch Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) forderte, die Kurden zu unterstützen: „Die Frage der deutschen Verantwortung in der Welt ist keine abstrakte Diskussion mehr.“ Im Extremfall sollten auch Schutzausrüstung, Defensiv- und Abwehrwaffen geliefert werden, etwa die leicht bedienbare Panzerabwehrrakete „Milan“. „Sich zurücklehnen und hinterher die Toten zählen – das ist keine Option.“

Auch Grünen-Chef Özdemir für Waffenlieferungen

Noch deutlicher wurde Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne). „Wir sollten den Kurden (...) Waffen liefern, denn wir sind zur Hilfe verpflichtet“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Eine Terrormiliz lasse sich „weder mit Gebetskreisen noch mit Spruchbändern“ stoppen. Fischer betonte, dass Europa in der Irak-Frage „dringend“ gemeinsam handeln und auftreten müsse. Deutschland solle sich daher bei den Hilfen mit Waffen und militärischen Ausrüstungen „den mutigen französischen, britischen und tschechischen Initiativen“ anschließen. Die Frage, in welchen Händen solche gelieferten Waffen künftig einmal landen, sei im Moment „zweitrangig“, sagte Fischer. Es drohe „vor aller Augen ein Völkermord“. Das sei ein „politischer Ausnahmezustand, der manche Regeln außer Kraft setzt“. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir sprach sich im „Handelsblatt“ für Waffenlieferungen in den Irak aus.

Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), äußerte sich dagegen zurückhaltend zu möglichen deutschen Waffenlieferungen:. „Wir müssen vor allem humanitäre und logistische Hilfe leisten“, sagte Kauder der „Welt am Sonntag“. Er verwies darauf, dass die geltenden Richtlinien die Lieferung von Rüstungsgütern beschränken würden und die Kurden womöglich eher amerikanische und osteuropäische als deutsche Waffensysteme benötigten. Kauder kündigte an, Ende der kommenden Woche in den Nordirak zu reisen und sich „ein Bild von der Lage zu machen“. Am Samstag hatte mit Frank-Walter Steinmeier (SPD) bereits ein Mitglied der Bundesregierung die Krisenregion um das nordirakische Erbil besucht.

Die Bundesbürger sind zurzeit gegen deutsche Waffenlieferungen. In einer Emnid-Umfrage für den „Focus“ sagten knapp zwei Drittel (63 Prozent), Deutschland solle sich mit humanitärer Hilfe engagieren. 15 Prozent befürworteten Waffenlieferungen und humanitäre Hilfe, ein Prozent ausschließlich Rüstungsgüter.

Peschmerga wollen Waffen wie das deutsche G36-Gewehr

Die kurdische Regionalregierung hat bereits konkrete Wünsche an Berlin. „Wir brauchen so schnell wie möglich moderne Sturmgewehre wie das deutsche G36 und panzerbrechende Waffen“, sagte Oberst Hasar Ismail, Berater des kurdischen Peschmerga-Ministers Mustafa Kadir, dem „Spiegel“. Die Dschihadistengruppe Islamischer Staat habe hunderte gepanzerte „Humvee“-Fahrzeuge der irakischen Armee erbeutet. Ohne die schnelle Lieferung panzerbrechender Waffen hätten seine Kämpfer gegen diese Fahrzeuge „keine Chance“.

Die Kämpfer der IS brachten in den vergangenen Wochen Teile des Irak und Syriens unter ihre Kontrolle. Dabei gingen sie mit äußerster Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vor, insbesondere gegen Angehörige religiöser Minderheiten wie Christen und Jesiden. Zehntausende Menschen sind vor ihnen auf der Flucht.

Am Samstag war bekannt geworden, dass die radikalsunnitischen Kämpfer in dem nordirakischen Dorf Kotscho Dutzende Zivilisten hingerichtet haben, unter ihnen vor allem Jesiden. Einem Regierungsvertreter zufolge stürmte ein Konvoi mit Dschihadisten das Dorf und richtete ein „Massaker“ mit 80 Toten an.

Auch in Syrien morden die Dschihadisten weiter

Auch im benachbarten Syrien mordet die Terrorgruppe offenbar ungehemmt weiter. Nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte tötete die Terrormiliz im Osten des Landes in den vergangenen zwei Wochen 700 Mitglieder eines verfeindeten Stammes. Verlässliche Quellen hätten berichtet, viele Menschen seien durch Enthaupten getötet worden. Was mit weiteren hunderten Mitgliedern des Stammes Al Schuaytat geschah, sei unklar. Die militanten Islamisten hatten zu Beginn des Monats mehrere von dem Stamm bewohnte Dörfer in der ölreichen und strategisch wichtigen Provinz Deir al Sor überrannt. Dessen Mitglieder sind aus IS-Sicht „Ungläubige“, weil sie sich weigerten, nach den Regeln der Terrormiliz zu leben.

Im Kampf gegen die IS haben die kurdischen Peschmerga-Milizen am Wochenende mit Unterstützung der US-Luftwaffe zum Gegenschlag ausgeholt und eroberten den größten Staudamm im Irak von den Dschihadisten zurück. Die Truppen hätten 80 Prozent des Mossul-Staudammes unter Kontrolle und der IS-Miliz „große Verluste“ beigebracht, berichtete das kurdische Nachrichtenportal Rudaw.
Bei den Kämpfen nahe Mossul seien mehrere Dschihadisten getötet worden, sagte Generalleutnant Abdulrahman Korini der Nachrichtenagentur AFP. Die US-Armee sprach von neun Luftangriffen allein am Samstag. Nach Angaben des US-Militärkommandos Centcom zerstörten US-Kampfjets und Drohnen mehrere gepanzerte Truppentransporter, mit Waffen beladene Fahrzeuge und Geländewagen. Die Dschihadisten hatten den Staudamm am 7. August erobert und damit die Kontrolle über die Wasser- und Stromversorgung weiter Landesteile erlangt.

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