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Wie Fahnen im Wind. Eine Szene aus dem Film "Die Erde weint" von Theo Angelopoulos von 2004.

© IMAGO

Berlinale / Griechisches Kino: Film die Krise

Mit Euro-Debakel und Sparzwängen wurde das griechische Kino plötzlich gut und groß: So viel zu erzählen! Aber inzwischen hat die Not überhand genommen. Das zeigt auch die Berlinale.

Kostas Alexandrou steht im Lehrerzimmer der kleinen privaten Filmhochschule Lykourgos Stavrakou, der ältesten Filmschule für Kino und Fernsehen in Griechenland. Er wechselt ein paar Worte mit der Sekretärin, sucht kurz zwischen ein paar Zetteln, macht sich eine Notiz. Der große hagere Mann mit dem freundlichen Gesicht hält gleich seine nächste Vorlesung in Filmgeschichte.

Die Hochschule ist im weitläufigen Hochparterre eines neoklassizistischen Gebäudes in Athens Stadtmitte untergebracht. Sie wurde 1948 gegründet, vom gleichnamigen Regisseur, der als Pionier und Mitbegründer des Films in Griechenland gilt. Die schwere Holztür des imposanten Eingangs der Schule steht einladend offen. Ein paar Studenten sitzen auf den Treppen, die ins Gebäude führen. Sie unterhalten sich, einige rauchen. 75 Jungfilmer studieren hier, pro Jahr werden 25 neue Studenten aufgenommen. Alexandrou lernte selbst an „der Stavrakou“, wie sie genannt wird, und unterrichtet hier nun seit gut 25 Jahren.

Die Krisenfilmhelden sind keine Identifikationsfiguren, sagt er

Wenn er spricht, wägt Alexandrou seine Worte ab, als wolle er sich so weit wie möglich an Tatsachen heranzoomen, er ist ein genauer Beobachter. Auch der Arbeit seiner Studenten, der neuen Generation.

„In den aktuellen Filmen geht es fast ausschließlich um das Alltagsleben in Krisenzeiten“, sagt Alexandrou. In zugespitzter Form. Um Menschen am Rande der psychischen Normalität. Die Protagonisten dieses neuen griechischen Films würden allerdings nicht zu Identifikationsfiguren, sagt Alexandrou. Nicht jeder Krisengeplagte sei ein Wrack. Darin sieht er die Ursache, „dass der neue griechische Film in der griechischen Gesellschaft selbst kaum Anklang findet“.

In der Tat haben seine Absolventen im Inland nur wenig Publikum. Ganz anders die Resonanz im Ausland. „Von wegen Krise“, „Das griechische Kino blüht“, „Das Land liegt darnieder, aber seine Filme sind eine Sensation“, lauteten in den vergangenen Jahren deutsche Überschriften über Texten, die verzückt den Schwung, den eigenen Blick, die eigenständige Erzählkraft der jungen Filmemacher aus dem Euro-Krisenland priesen, wenn diese bei internationalen Filmfestspielen gezeigt wurden.

Die Berlinale 2015 zeigt die Krise: kein Film aus dem Krisenland

2014 galt als das bisher beste Jahr des griechischen Kinos bei der Berlinale: Das Land war mit fünf Filmen in unterschiedlichen Festivalsektoren vertreten. In diesem Jahr gibt es im Wettbewerb gar keine griechische Produktion. Und das ist kein Zufall. Der filmische Schwung, ausgelöst und befeuert von den Ungeheuerlichkeiten der Finanzkrise, den Sparrunden, der grassierenden Arbeitslosigkeit, den wegbröselnden Gewissheiten, verliert an Kraft. Zu anstrengend und aufreibend der Alltag.

„Noch vor zwei, drei Jahren gab es für unsere Absolventen Arbeit in der Werbung, indem sie Werbevideos drehten, oder auch in der Musikszene als Regisseure für Musikclips“, sagt Alexandrou. Beide Bereiche seien eingebrochen. Es gebe dort kaum noch Arbeit. Die meisten seiner Absolventen hielten sich mit irgendwelchen Nebenjobs außerhalb der Filmbranche knapp über Wasser.

Ein paar Ecken weiter manövriert Maria Linkou ihr Auto in eine enge Parklücke, steigt aus, wirft die Fahrertür schwungvoll zu. Sie kommt gerade von der Arbeit nach Hause. Linkou, 35, gibt Spanischunterricht an einer Athener Sprachschule, während sie eigentlich Filme machen will und auf dem Weg auch schon einige Schritte gegangen ist: Mit dem Abschlussfilm am Ende eines einjährigen Filmseminars gewann sie ein Stipendium im Bereich Film an der privaten Akademie AKMI in Athen. Ihr Kurzfilm „In Public“ zeigt ein junges Paar, das sich mangels eigener Wohnung oder gar Geld für ein Hotelzimmer wild durch Athen küsst – und ein ruhiges Plätzchen sucht, aber nirgendwo findet. Das ist so komisch wie tragisch und damit Absicht. „Ich denke, dass man auf diese Weise die gesellschaftlichen Verhältnisse genauso aufzeigen kann wie in einem Drama, und Drama haben wir auf den Straßen ja schon täglich vor Augen“, sagt Linkou. Geld verdienen kann sie mit ihren Filmen bisher nicht. „Es lohnt trotzdem“, sagt sie.

Was ist Kino für die griechische Gesellschaft?

Wie Fahnen im Wind. Eine Szene aus dem Film "Die Erde weint" von Theo Angelopoulos von 2004.
Wie Fahnen im Wind. Eine Szene aus dem Film "Die Erde weint" von Theo Angelopoulos von 2004.

© IMAGO

Filme sind für Linkou ein wichtiges Ausdrucksmittel. Besonders jetzt. Die Lage in Griechenland ist furchtbar ernst – doch Linkou schafft es, schwere Themen wie Arbeitslosigkeit, Verarmung der Bevölkerung, die steigenden Zahlen von Obdachlosen in komödiantischen Stoff zu verpacken. „Das passt mehr zu meinem Typ“, sagt die quirlige Frau und lacht.

Ihr aktuellster Film zeigt einen jungen Mann und eine junge Frau, die sich immer wieder zufällig auf der Straße begegnen, bis sich im Waschsalon herausstellt, dass beide obdachlos sind. In einem anderen Kurzfilm hat sie ihre Angst vor der aufstrebenden faschistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) kanalisiert: Ein Faschist und ein Ausländer bleiben zusammen in einem Fahrstuhl stecken und begegnen sich in einem nonverbalen Dialog.

Mehr Förderung fordert sie, für Kunst und Kultur allgemein

Linkou hofft, wie viele aus dem Kunstbereich hier, auf die neue Regierung unter Führung der linken Syriza-Partei. Die hat viel Akzeptanz bei den Intellektuellen, viele von denen gehören der Partei an oder beraten sie. Bildung, also auch Film, müsse staatlich stärker unterstützt werden, sagt Linkou. „Die vorherigen Regierungen haben sich aber nie mit Kunst und Kultur auseinandergesetzt.“

Das sieht auch Alexandrou. „Das Problem in Griechenland ist, dass der Film hier nicht in der Kultur angekommen ist“, erklärt der Dozent. Theater, Musik, Malerei – diese Künste hätten in Griechenland ihre Tradition. Das Kino dagegen sei immer noch neu und werde stiefmütterlich behandelt. „Das ist nicht so wie zum Beispiel in Frankreich, wo die Gesellschaft mit dem Kino verwoben ist“, sagt Alexandrou. Mittlerweile müssten sich die Filmemacher das Geld regelrecht zusammenklauben. Oftmals würden sie sich Geld von Freunden und Familien leihen.

Bevor die staatliche Rundfunkanstalt ERT von Ex- Staatschef Antonis Samaras im Juni 2013 über Nacht geschlossen wurde, konnte man auch dort sein Projekt einreichen und dafür Unterstützung beantragen. Doch im danach neu gegründeten Staatsrundfunk NERIT gibt es noch immer keine klaren Strukturen. Hauptsächlich zuständig für die Vergabe von Geldern für die Filmförderung ist das Filmzentrum in Athen. Vor Beginn der Finanzkrise hatte es pro Jahr gut neun Millionen Euro zur Verfügung. Auch nicht gerade üppig, wenn man es mit Deutschland vergleicht, wo ein Kinospielfilm meist zwischen einer und zehn Millionen Euro kostet. Seit der Krise wurde das Budget dann zusammengestrichen. Mittlerweile liegt es bei knapp vier Millionen Euro. Filme, die früher mit 250 000 Euro unterstützt wurden, bekommen heute knapp 140 000 Euro an Förderung. Und auch das nur nach einer Geduldsprobe im Antragsdschungel.

Wird die neue Regierung es besser machen? Er ist skeptisch

Allerdings, so Alexandrou, bestanden im Filmzentrum schon immer sehr ausgeprägte Hierarchien, und es gab Cliquen. Wer wofür welche Förderung bekam, wurde nach willkürlich erscheinenden Kriterien festgelegt, und nicht danach, wer Talent hat. Es säßen dort seit damals Menschen, die auch der neuen Regierung verbunden seien. Ob sich also bei der Fördermittelvergabe jetzt etwas ändern wird? Alexandrou bleibt skeptisch.

Zum Glück, sagt er dann schnell mit einem Lächeln hinterher, sei die Realisierung von Filmen dank der neuen Technik heutzutage nicht mehr so kostspielig wie früher. Leistungsfähige Kameras könne man günstig ausleihen und problemlos bedienen und Schnitt und Tonbearbeitung am Computer selbst machen.

Schon in den 1960er Jahren, als Griechenland noch von der Militärdiktatur beherrscht wurde, zeichneten die Filme sich dadurch aus, dass die Kameras extrem nah an die Protagonisten herangingen. Das sei heute wieder sehr aktuell, sagt Alexandrou. Erstens habe man heute kein Geld mehr für teure Studioproduktionen und drehe deshalb an günstigen Schauplätzen, wie zum Beispiel in einer Wohnung, das stelle eine persönlichere Atmosphäre her. Und zweitens funktionierten die Filme auch heute vor allem als Kritik – und dabei stünden die Menschen im Fokus. Doch der Ton der Erzählung hat vollkommen geändert.

Das neue Kino ist wild und frech, aber es lebt in prekären Verhältnissen

Wie Fahnen im Wind. Eine Szene aus dem Film "Die Erde weint" von Theo Angelopoulos von 2004.
Wie Fahnen im Wind. Eine Szene aus dem Film "Die Erde weint" von Theo Angelopoulos von 2004.

© IMAGO

Als das Berliner Kino Arsenal im Mai 2012 eine kleine Reihe mit neuen griechischen Filmen zeigte, sprach die künstlerische Leiterin Birgit Kohler von einer „veritablen Zäsur“: Die junge Generation von Filmemachern trete aus dem Schatten von Theo Angelopoulos heraus, der jahrzehntelang das griechische Kino quasi alleine vertreten habe. „Von der Melancholie und dem Symbolismus seiner Filme setzen sie sich deutlich ab“, sagte Kohler, stattdessen seien die neuen Film „amüsant, sperrig, verrückt, visionär, unangepasst und radikal eigenwillig“.

Einer der neuen Filmemacher, die sich in dieser noch kurzen neuen Blütezeit schon einen Namen gemacht haben, ist Michalis Konstantatos. Auch er war Student an der Stavrakou. Inzwischen gilt der 37-Jährige als einer der besten Regisseure des neuen griechischen Films, wurde bereits öfters international für seine Werke ausgezeichnet.

Er war mit einem Projekt in Berlin - auf der Suche nach Geld

Gerade sitzt er entspannt auf einem Hocker in einem Café, trinkt seinen Kaffee und wartet auf eine Verabredung. Es geht um ein neues Projekt. Die Frage, ob und wie es zu finanzieren sei.

Konstantatos arbeitet seit mehr als zehn Jahren in der Filmbranche, führte Regie in Kurzfilmen, TV-Serien, Musikvideos, realisierte Videoinstallationen an öffentlichen Plätzen, entwickelt Drehbücher. Trotz geringer finanzieller Fördermittel schaffte er es bisher doch immer irgendwie, seine Projekte zu realisieren. 2013 gab er auf den internationalen Filmfestspielen in San Sebastian sein Debüt mit seinem ersten Featurefilm „Luton“. Der 90-minütige Film, der für griechische Verhältnisse mit 700 000 Euro schon teuer war, kam mit Unterstützung des Förderprogramms „Atelier du Festival“ der Cinéfondation der Cannes-Filmfestspiele 2011 zustande, das jungen Nachwuchsfilmemachern hilft. „Luton“ beleuchtet den Alltag dreier Protagonisten in Griechenland, der von der Krise im Land durchtränkt ist. Ruhige Bilder wechseln sich mit hektischen ab. Lang gehaltene Aufnahmen zwingen den Zuschauer, genau hinzuschauen. Der Film bekam international sehr viel positive Resonanz. Vor einigen Tagen präsentierte Konstantatos sein neues Projekt „All the pretty little horses“ auf der Berlinale beim Co-Production Market 2015. Dort treffen Filmemacher auf Produzenten und handeln Finanzierungen für künftige Vorhaben aus. Neben den „Horses“ war ein weiteres Projekt aus Griechenland auf der Suche nach Produzenten: „The Miracle of the Sargasso Sea“ von Syllas Tzoumerkas. „Ich hatte pro Tag ungefähr 20 Treffen, das ging im Halbstundentakt“, sagt Konstantatos zurück in Athen und lacht, denn es hat sich gelohnt. Er hat die Finanzierung seines neuen Films gesichert. So läuft es oft: dass es für die Beteiligten erst Honorar gibt, wenn der Film auf Festivals Geld eingesammelt hat.

So wie es ist, kann es nicht bleiben, viel zu anstrengend

Ob sich die Filmszene so weiterhin behaupten wird? Es herrsche eine überaus große Solidarität unter den Filmleuten hier, sagt Konstantatos. „Jeder weiß, was der andere durchmacht, weil es momentan für jeden hier schwer ist.“ Also helfe man sich gegenseitig mit dem, was man hat: Einer bringt zum Beispiel die Beleuchtung ans Set, ein anderer die Kamera, Schauspieler arbeiten für wenig Geld oder zunächst ganz umsonst. „Klar ist der Zusammenhalt schön“, sagt Konstantatos, „aber diese Umstände sind doch sehr ermüdend.“ Die Menschen, die sich zwar gerne gegenseitig helfen, müssten ja auch von etwas leben, sie haben oft Familie, Kinder, die versorgt werden müssen. Konstantatos sieht die Gefahr, dass die Solidarität in der Filmbranche zum Alibi werde für diejenigen, die in klammen Zeiten dort kein Geld investieren wollen. Motto: Läuft doch auch so.

Dass er mit seinen die Krise thematisierenden Filmen – „die Krise inspiriert die meisten griechischen Regisseure, dem kann man sich gar nicht entziehen“ – im eigenen Land weniger Anklang findet als im Ausland, hat er auch festgestellt. Kino werde als kleine Alltagsflucht genutzt. Wenn man überhaupt noch hingehe, schaue man Komödien oder Actionfilme aus Hollywood. Kinobesitzer berichten von einem immer stärkeren Rückgang der Besucherzahlen. Das sei verständlich, wenn fast jeder vierte Grieche arbeitslos ist, findet auch Konstantatos. Dann gebe man sein Geld für Dinge aus, die lebensnotwendiger sind als ein Film. Und sei der auch noch so lebensnah.

Theodora Mavropoulos[Athen]

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