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Was für eine Inszenierung? Deutschland feiert das Mauerfall Jubiläum und dieses kostümierte Pärchen feiert mit. Wie wird der Jahrestag im Ausland gesehen?

© dpa

Berliner Mauer und das Ausland: Stimmen jenseits der Grenze

Die deutsche Hauptstadt feiert den 25. Jahrestag des Mauerfalls. In anderen Ländern der Welt löst das zum Teil gemischte Gefühle aus. Unsere Korrespondenten berichten aus fünf Staaten.

POLEN: Beleidigte Vorhut

Die Wochenendausgaben der polnischen Tageszeitungen haben andere Prioritäten als den Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren. Der polnische Nationalfeiertag und Lokalwahlen stehen an. Die historischen Feiern in Berlin werden so mit Kurzmeldungen abgetan. In der meinungsführenden „Gazeta Wyborcza“ erzählt auf den hinteren Seiten dann aber doch noch die liberale EP-Abgeordnete und einstige antikommunistische Studentenführerin Roza Thun von den Fragen nach den Auswirkungen des Berliner Mauerfalls auf das Leben in Polen 1989. Da habe sich gar nichts geändert, schreibt sie, denn Polen habe das real sozialistische Regime schon ein halbes Jahr früher abgeschüttelt und eine demokratische Regierung gehabt, würde sie jeweils erzählen, schreibt Thun. „Selbst bekannte Publizisten machen danach große Augen“, schreibt sie mit einem Gefühl zwischen Belustigung und Besorgnis.

Die weltgewandte Roza Thun klagt nicht, doch die meisten Polen ärgern sich wie schon zum 20. Jubiläumstag ganz gehörig darüber, dass die Deutschen sich noch immer selbst als Urheber des Mauerfalls sehen. Dass dem längst nicht mehr so ist, und die Rolle der „Solidaronosc“ in Deutschland sehr wohl gewürdigt wird, geht dabei immer wieder unter. Selbst deutsche Historiker würden die Rolle Polens nicht gebührend würdigen, heißt es dagegen oft. Noch immer sei der Mythos vom Beginn des Zerfalls des Kommunismus mit dem Mauerfall unter den Deutschen lebendig. Für die Polen ist dabei klar: Es begann in Danzig, nicht in Berlin.

Der Streik in der Danziger „Leninwerft“ im August 1980 steht dabei als Anfangspunkt. Erstmals mussten die kommunistischen Machthaber damals im Ostblock eine unabhängige Arbeitervertretung zulassen. Die Gewerkschaft „Solidarnosc“ forderte nicht nur Lohnerhöhungen, sondern vor allem auch politische Freiheiten. Der polnische „Karneval der Freiheit“ dauerte indes nur fünf Monate, denn am 13. Dezember 1981 wurde das Kriegsrecht über das Land verhängt und „Solidarnosc“, die zu 10 Millionen Mitgliedern (ein Viertel der Bevölkerung) angewachsen war, wieder verboten. Polen schien befriedet, die Gefahr für die kommunistisch Regierenden gebannt. Doch unter dem Deckel der polnischen Militärdiktatur brodelte es weiter.

Neun Monate vor dem Fall der Berliner Mauer hatte die seither im Untergrund tätige Gewerkschaft Solidarnosc der Regierung am „Runden Tisch“ ihre Wiederzulassung und halb freie Parlamentswahlen für Anfang Juni abgetrotzt. Als in Berlin am 9. November die Mauer fiel, hatten sich die Polen schon längst selbst vom Gespenst des Kommunismus befreit. Doch statt sich dessen zu rühmen, hätte man in Warschau den Runden Tisch weggeschlossen und streite noch heute über den Kompromiss, der den friedlichen Wandel ermöglichte, scheibt Thun aus dem EP-Parlament in Strassburg.

Gedenkfeiern zum Berliner Mauerfall von 1989 waren in Warschau am Sonntag übrigens keine geplant.

RUSSLAND: Ärgerlich

„Panzer los und volles Rohr. Hätten wir bloß. Aber Gorbatschow hat sich wieder mal nicht getraut. Mistkerl!“ Alexei Wassiljewitsch, 78, meint die Montagsdemonstrationen im Herbst 1989, bei denen die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen nicht eingriffen. Zögerlich reagierte Moskau auch auf den Mauerfall. Warum, haben viele Russen bis heute nicht verstanden. Auch Historiker können es kaum erklären. Ihnen fehlen wichtige Quellen, weil viele Dokumente unter Verschluss sind. Umstritten sind die Gründe sogar bei Entscheidungsträgern aus der Ära Gorbatschow. Dieser, glauben die einen, habe die Dynamik der Entwicklungen unterschätzt. Er habe nicht mehr die Ressourcen gehabt, sie zu stoppen, fürchten andere.

Zwar feiern kritische Künstler mit Werken aus Original-Mauerstücken derzeit in Moskau den Mauerfall als Anfang vom Ende der kommunistischen Diktatur. Für die Mehrheit jedoch, ergaben Umfragen, bleibt es eine bittere Erinnerung.

Viele trauern der sozialen Sicherheit in der Sowjetunion nach, die zwei Jahre nach dem Mauerfall kollabierte. Für Wladimir Putin die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Als der Westen den Russland-Beitritt der Krim als Versuch einer Teilrestauration des Imperiums kritisierte, forderte er vor allem von Deutschland Verständnis dafür: Nicht alle hätten 1990 die Wiederherstellung der deutschen Einheit unterstützt, Moskau dagegen ohne Vorbehalte.

Weil die deutsche Regierung aber kein Verständnis signalisierte, hat sich das Deutschlandbild der Russen wieder verschlechtert. Lange galt die Bundesrepublik als Partner. Seit der Ukraine-Krise wird Deutschland Umfragen zufolge von der Bevölkerung überwiegend als „Gegner“ wahrgenommen.

KOREA: Geteiltes Leid

Vor einigen Tagen titelte die wichtigste südkoreanische Zeitung „Joong Ang Ilbo“: „Regierung startet detaillierten Plan für Wiedervereinigung“. Südkoreas Bürokraten bemessen gerade, wie teuer so ein Ereignis werden würde, wohl wissend, dass auch der westdeutsche Fiskus nach der Wiedervereinigung viel Geld aufbringen musste. Und so weit weg sei so etwas auch in Korea nicht: „Der Austausch zwischen den Menschen der beiden Koreas ist nicht weniger üblich als damals in Deutschland“, hieß es in der Korea Times.

In kaum einer asiatischen Nation ist der Mauerfall ein derart besonderes Ereignis wie in Korea. Zwar teilt die koreanische Halbinsel, auf der nach einem ideologisch geführten Krieg seit 1953 Waffenstillstand herrscht, keine Mauer. Aber das einstige Bauwerk aus Berlin ist viel mehr alseine Metapher für die koreanische Teilung. Die deutsche Entwicklung, denken viele Koreaner, hält Ostasiaten den Spiegel vor. Ein vereintes Korea hätte eine ähnliche Bevölkerungsgröße wie das vereinte Deutschland. Bei einer Einigung müssten ein kommunistisches und ein kapitalistisches Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zusammengeführt werden. Beide Staaten, Nord- und Südkorea, wurden nach dem Krieg durch die Mächte des Kalten Krieges gestützt und sind auch deshalb bis heute streng geteilt: Familien leben getrennt, das Reisen zwischen den beiden Staaten ist ihren Bürgern in der Regel verboten. Das alles klingt nach der Zeit der deutschen Teilung.

Derweil erlebt Deutschland zumindest in Südkorea seit Jahren einen regelrechten Boom. Die Anzahl junger Menschen, die die deutsche Sprache lernen, steigt seit langem, als Reiseziel für einen Auslandsaufenthalt gehört Deutschland zu den beliebtesten. „Der Deutschlandboom hat auch die Politik beeinflusst“, sagt Tack Whan Kim, Medienprofessor an der Kyonggi Universität in Seoul und einstiger Deutschlandkorrespondent. „Die großen Parteien haben Studiengruppen von Parlamentariern errichtet, um mit Blick auf Deutschland Zukunftsmodelle für Korea zu erarbeiten.“

Bisher aber scheinen die erinnerungspolitischen Initiativen nicht viel mit der Realität zu tun zu haben. Nach einer Phase der Annäherungen um die Jahrtausendwende waren die Beziehungen zuletzt wieder angespannt. Nordkorea machte mehrere Atomtests, feuerte auch Raketen in Richtung Süden.

USA: Blick nach vorn

„Das Tor mit dem Slogan ,Arbeit macht frei‘ wurde vom früheren Nazi-Lager in Dachau gestohlen“ meldete vergangenes Wochenende der US-Fernsehsender CNN. Das „Wall Street Journal“ bringt die Nachricht aus Deutschland, die „New York Times“, die „Washington Post“. Kaum ein Medienhaus in den USA, das den Diebstahl nicht in die Berichterstattung aufnimmt.

Als einen Tag später die Kreuze zum Gedenken an die Mauertoten neben dem Reichstag gestohlen wurden, brachte der „San Francisco Chronicle“ eine Geschichte. Nicht sehr viele Amerikaner erfuhren vom Diebstahl in Berlin. Der deutsche Millionenmord ist (auch) hier noch immer das, was von der deutschen Geschichte in den Köpfen der Menschen hängen geblieben ist. Die USA haben selbst mehr als 400 000 Soldaten im 2. Weltkrieg verloren. Was ist dagegen die DDR und das friedliche Ende des Regimes aus Ost-Berlin?

Dennoch findet der Jahrestag des Mauerfalls in den USA Beachtung. Jeder derjenigen, die sich in irgendeiner Weise Deutschland verbunden fühlen, hat seine Geschichte des 9. November zu erzählen. Aber die Widmung ist ein wenig routiniert geworden, auch beim US-Präsidenten.„Wie viele Amerikaner werde auch ich nie die Szenen mutiger Ost-Berliner vergessen, die auf die Straßen strömten, sich an den Wachen vorbeidrängten und die Mauer niederbrachen, die sie so lange von ihren Familien und Freunden und der freien Welt getrennt hatte“, grüßt Barack Obama Deutschland zum Jahrestag. Viel wichtiger, als der Fall der Mauer ist den Amerikanern aber das heutige Deutschland, das „eine führende Rolle in Europa und in der Welt spielt“. Sagt der Präsident und nennt im Satz danach Russland und die Ukraine.

ZYPERN: Zwei Völker

Große Notiz hat man im griechischen Süden des geteilten Zypern vom 25. Jahrestag des Berliner Mauerfalls nicht genommen: Eine kleine Rückblende in den Fernsehnachrichten, ein Bericht über die geplante Straßenparty am Brandenburger Tor. Und die Zeitung Phileleftheros dokumentiert in ihrer Online-Ausgabe mit einer Bildergalerie, wo noch Reste der Mauer zu finden sind – nämlich nicht nur in Berlin sondern auch in Kalifornien, Tokio, Brüssel und Indonesien. Dass der Jahrestag des Mauerfalls ein beherrschendes Thema auf der Insel ist, kann man aber wahrlich nicht sagen.

Dabei haben die Zyprer als Bewohner einer geteilten Insel eigentlich einen besonderen Bezug zur deutschen Wiedervereinigung. Sie sprechen von Nikosia als der „letzten geteilten Hauptstadt“. Die Mittelmeerinsel ist geteilt, seit türkische Truppen im Sommer 1974 den Norden Zyperns besetzten, um eine befürchtete Annexion durch Griechenland zu verhindern und die türkische Minderheit zu schützen, die damals 18 Prozent der Bevölkerung ausmachte.

Mit den martialischen Verhältnissen an der deutsch-deutschen Grenze ist die quer durch Zypern verlaufende Demarkationslinie aber nicht vergleichbar. Sie wird meist nur von rostigen Stacheldrahtzäunen und alten Panzersperren markiert. Der Inselnorden firmiert seit 1983 als „Türkische Republik Nordzypern“. Dieser Gänsefüßchenstaat wird aber nur von Ankara diplomatisch anerkannt. 2003 öffneten die türkisch-zyprischen Behörden ihre Grenze. Seither herrscht praktisch Reisefreiheit auf der Insel.

Also Wandel durch Annäherung? Auf Zypern scheiterten bisher alle politischen Bemühungen um eine Wiedervereinigung. „Wir sind ein Volk“, das können die Zyprer eben nicht von sich sagen. Hier geht es darum, das Zusammenleben zweier Ethnien zu organisieren, deren Verhältnis überdies historisch schwer belastet ist.

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