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Immer wieder beschäftigen sich Gerichte mit dem Thema Kopftuchverbot.

© dpa/Jörg Carstensen

Berliner Neutralitätsgesetz: Kein Kopftuch ist auch keine Lösung

Gut, wenn die Justiz über das Kopftuch urteilt, aber das reicht nicht. "Kopftuch in Schulen und Gerichten, ja oder nein?" ist eine gesellschaftliche Frage, deren Antwort sich ändern kann - und sollte. Ein Kommentar.

Seit Goethes Faust gehört sie zum urdeutschen Themenrepertoire, die Frage: Wie hast du’s mit der Religion?, und eine gültige Antwort ist bis heute darauf nicht gefunden worden.

In Berlin fragt man gerade wieder einmal, ob muslimische Lehrerinnen Kopftuch tragen dürfen oder besser nicht, und übt sich – bisher nur theoretisch – im Zerreißen des Neutralitätsgesetzes, und im Bundesjustizministerium diskutiert man die Rechtmäßigkeit des Schleierverbots für Beamtinnen, Soldatinnen und Richterinnen.

Es geht bei den Überlegungen um das Grundrecht auf Glaubensfreiheit, um Diskriminierungsverbote und die Würde des Menschen. Die juristischen Denkprozesse und Argumentationslinien sind für die Debatte hilfreich, und sie verleihen dem Ganzen eine wohltuende Sachlichkeit. Dennoch kann die Antwort der Paragrafen nicht alles sein. Kopftuch oder nicht ist eine gesellschaftliche Frage, keine juristische. Sie betrifft das Miteinander der Menschen, die gemeinsam als Gruppe und zugleich als zutiefst unterschiedliche Individuen im Land leben. Und darum muss sich auch diese Gesellschaft selbst zu einer Antwort durchringen.

Lehrerinnen mit Kopftuch würden die Integration der muslimischen Schülerschaft erschweren, sagten Berliner Schulleiterinnen nach dem letzten Gerichtsurteil in der Sache (eine wegen ihres Kopftuchs abgewiesene Lehramtsbewerberin erhält Entschädigung). Deshalb seien sie dagegen. Das klingt plausibel. Andererseits: Bisher gibt es das Kopftuchverbot in Berliner Lehrerzimmern – und was hat das der Integration geholfen? Offenbar nichts, sonst würde die Integrationsfrage nicht vor allem Befürchtungen auslösen.

Kleine Kinder würden zum Kopftuch verführt, heißt es

Kleine Kinder wollten ihren Lehrerinnen nacheifern, heißt es außerdem. Dazu dieselbe Frage wie eben: Wenn das stimmt, wieso tragen dann kleine Mädchen Kopftuch und ihre Lehrerinnen nicht? Weil sie es ja gar nicht dürfen. Das passt doch nicht. Wer jetzt „Unterdrückung“ ruft, hat in einigen Fällen sicher auch recht, aber das schlechte Behandeln von Mädchen ist kein Privileg muslimischer Familien, das kommt überall vor – und ist in jedem einzelnen Fall schlimm. Und sind es wirklich die unterdrückten Mädchen von früher, die heute als Juristin oder Lehrerin arbeiten wollen?

Das Berliner Neutralitätsgesetz, darauf wurde bereits mehrfach hingewiesen, mit seiner strikten Haltung gegenüber Kopftuchträgerinnen, steht verfassungsrechtlich wackelig da, solche Verbote müssten im Einzelfall begründet werden. Etwa mit einem bedrohten Schulfrieden. Das konnte im Zusammenhang mit dem Kopftuch nicht nachgewiesen werden. Wie auch. Ein bedrohter Bildungsfrieden könnte dagegen entstehen, wenn Lehrerstellen unbesetzt bleiben, weil qualifiziertes Personal kopftuchbedingt nicht eingestellt wird. Auch könnten die Auswirkungen von Kopftuchträgerinnen im Lehrerzimmer andere als die allgemein angenommenen sein: Wenn muslimische Eltern sehen, dass ihre Religiosität akzeptiert statt ausgegrenzt wird, könnte das ihre Akzeptanz staatlicher Bildung erhöhen, das Kopftuch als mögliches Trotzsymbol wäre erledigt.

Noch viel wahrscheinlicher dürfte sein, dass die ganzen Monokausalitäten, die rund um die Kopftuch-Religions-Integrations-Fragen konstruiert werden, allesamt unsinnig sind. Eins plus eins gleich zwei, funktioniert in der Mathematik, aber doch nicht im täglichen Leben. Das weiß doch jeder. Es gibt Mädchen, die zum Kopftuch greifen, obwohl Eltern, Lehrer, Geschwister das doof finden. Die orientieren sich an der besten Freundin. Oder opponieren gern. Oder haben einen Film geschaut, in dem das vorkam.

Richter urteilen über Vergewaltiger. Ein Männerproblem?

Das Kopftuch ist in einigen Gegenden Deutschlands längst Alltag. Vielleicht sollte man anfangen, es auch so zu behandeln. Das gilt auch für Richterinnen mit Kopftuch. Die Frauen würden auf die Verfassung schwören. Ihnen wegen ihres Glaubens zu misstrauen ist unredlich. Es dürfen auch Männer in Vergewaltigungsprozessen richten, ohne dass ihnen eine geschlechtsbedingte Bevorzugung der Angeklagten unterstellt wird. Wenn jeder nur Richtersprüche von seinesgleichen akzeptieren wollte, wo käme man da hin?

Mit den Schleiern wäre das etwas anderes. Schleier widersprechen dem üblichen Umgang miteinander in diesem Land so klar, dass die Anpassungsanstrengung der Mehrheit übergroß würde. Das muss nicht ertragen werden. Diesen Unterschied würden Paragrafen vielleicht nicht machen, aber den kann die Gesellschaft definieren – und so klarmachen, dass es von ihr keine letzte Antwort auf die Goethe-Frage gibt.

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