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Politik: Berliner Schatten an der Alster

Für Hamburger Themen interessiert sich kaum einer an den Info-Tischen der SPD Altona. Was die Bürger vor der Wahl umtreibt, sind Praxisgebühr und Betriebsrenten

„Es müssen Inhalte auf den Tisch“, sagt Arno Münster und wirft noch ein paar Schlüsselanhänger auf den Tresen. Der Kandidat der SPD Altona-Altstadt baut den Infostand mit dem roten Sonnenschirm zwischen Discounter, Schlüsseldienst und SEB-Bank auf und erwartet einen neuen Ansturm der Stammwähler, die – wie abgesprochen – immer wieder Worte wie „Praxisgebühr“, „Betriebsrente“, „Agenda“ und „Ausländer“ sagen werden. An Infotischen wie diesem steht der Seismograf, mit dem Franz Müntefering im Hamburger Wahlkampf messen kann, wie sehr der Boden noch bebt unter der Partei der Neuen Mitte und der kleinen Leute.

Arno Münster spürt einen Trendwechsel in den vergangenen Tagen. Aber als Sozialdemokrat ist man bescheiden geworden nach dem Horror der letzten Monate: „Die Leute reden mit einem“, freut sich der Kandidat. Rotes Kernland ist das hier, der Wahlkreisabgeordnete heißt Olaf Scholz. Selbst im Hamburger Katastrophenjahr 2001 wählten im Viertel 40 Prozent die SPD; CDU und Schill-Partei lagen fast gleichauf bei 15, die Grünen kamen auf 18 Prozent. „Natürlich stehen wir auch hier, damit Frust abgeladen werden kann“, sagt Otto Schunke vom Distriktsvorstand. Er hört den Leuten lächelnd zu, bevor er zu antworten versucht. Die Älteren diskutieren am meisten, viele Jüngere hasten vorbei, einige wollen nur Kartenspiel, Kuli und Eiskratzer.

Manchem, der hängen bleibt zum Jammern, steht ein schweres Leben ins Gesicht geschrieben. Die Besserverdiener wohnen nicht hier beim Bahnhof, sondern in den Elbvororten. „Die SPD darf nicht der Liberalisierung hinterherlaufen. Es gibt immer mehr Verlierer. Die alte Rechnung: Aufschwung bedeutet mehr Arbeitsplätze, stimmt nicht mehr.“ Im Grunde sei das ein Problem, das eine Partei alleine gar nicht lösen könne. Mark Classen ist das junge Gesicht der SPD Altona-Altstadt. Er setzt auf Themen wie Kita-Chaos, Sozialabbau oder Skandal-Schill. Vor allem hat er es mit Kritikern der Gesundheitsreform zu tun. Und muss den Wuschelkopf hinhalten für eine Idee der Union: „Über allem liegt die Praxisgebühr.“ Immerhin – ein treuer Kunde lobt den Schröder-Nachfolger: „Müntefering, der kommt aus dem Arbeiterstamm. Hauptsache, er macht nicht so einen Abgang wie der Lafontaine.“ Für die Partei sei der Münte „prima“, sagt Classen.

Angenehm sind die drei Bürgersprechstunden trotzdem nicht: Was bleibt von der Steuerreform? Was gilt für die chronisch Kranken? Privat versichern fürs Sterbegeld? Kommen bald Studiengebühren? Wo bleibt die Gerechtigkeit? Besonders die Betriebsrente wirft Fragen auf: Warum einer mit 1500 Euro gesetzlicher Rente bei der Krankenversicherung nicht draufzahlen müsse, er aber mit 1300 Euro inklusive Betriebsrente schon, will einer wissen. Irgendwo müsse gespart werden, sagt Otto Schunke und erinnert an Zeiten, in denen es einem noch schlechter ging. Die Kommunikation der Reformen habe nicht geklappt: „Wir haben die Leute nicht richtig mitgenommen. Wir hätten denen sagen müssen: Kinder, das ganze System steht kurz vor dem Kollaps.“

Kleiner Trost: Am CDU-Stand nebenan haben sie es kaum leichter: Da lässt sich ein Senior gerade die Position der Jungen Union zu Hüftoperationen für 85-Jährige erläutern. „Strahlemann Ole“ bringe es auch nicht, sagt einer. Ein Lederjackentyp ist da schon längst auf dem Weg zum Bankautomaten: „Geh’ mir bloß weg mit den Scheiß-Parteien“, sagt er. „Die gehören alle in einen Container.“

Günter Beling[Hamburg]

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