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Michael Müller nach der Wahl bei einer Pressekonferenz.

© Jörg Carstensen/dpa

Berliner SPD nach der Wahl: Michael Müller steht vor harten Verhandlungen

Nach dem schlechtesten Ergebnis für die Berliner SPD muss sich Michael Müller mit seiner Partei auseinandersetzen – und mit möglichen Koalitionspartnern. Wie geht er das an?

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Michael Müller übt schon mal die neue Lockerheit. Mit offenem, karierten Hemd kam der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef am Dienstag in den Presseraum des Roten Rathauses. „Ich denke, wir reden erst einmal über Inhalte“, sagte er mit einem forschen Lächeln.

Dann plauderte er kurz über die Themen, die der scheidende Senat an diesem Tag besprochen hatte. Es ging ums Flüchtlingsmanagement, die Berufung neuer Stadtältester und einen Bericht über Kriminalitätsprävention. Erst dann teilte Müller ganz nebenbei mit, dass die Senatssprecherin Daniela Augenstein in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde.

Es war die erste Entscheidung, die für den künftigen Berliner Senat von Interesse sein könnte. Die neue, voraussichtlich rot-rot-grüne Koalition wird sich im Zuge der Regierungsbildung noch mit vielen Personalentscheidungen befassen müssen. Aber bis dahin werden noch Wochen, wenn nicht Monate vergehen.

Und Müller nutzte die Pressekonferenz am Dienstag, in der er sonst selten auftaucht, für ein Signal an die potenziellen Regierungspartner Grüne und Linke: „Ich weiß, dass ich nicht allein die Fäden in der Hand halte. Ich gehe ganz offen in die Gespräche.“ Das hört sich für einen Politiker der alten Schule, für den die Sozialdemokratie stets wegweisende Kraft ist, relativ bescheiden an. Neue Töne!

21,6 Prozent sind schlechtestes Ergebnis der Berliner SPD

Es ist ein schwieriger Lernprozess, den der führende Mann im SPD-Landesverband seit dem Wahlsonntag durchläuft. Oder sollte man besser sagen – durchleidet? Nach den 21,6 Prozent, dem schlechtesten Ergebnis der einst so stolzen Berliner Sozialdemokratie. Es wäre unfair, Müller jene 61,9 Prozent vorzuhalten, die Willy Brandt im Februar 1963, zwei Jahre nach dem Mauerbau, bei der Wahl zum West-Berliner Abgeordnetenhaus erzielte. Doch es muss erlaubt sein, ihn an seinem Vorgänger und Parteifreund Klaus Wowereit zu messen, der sich trotz quietschendem Sparen und Flughafen BER stets in der Nähe der 30-Prozentgrenze aufhielt. Zuletzt 2011.

Und jetzt der Absturz. Mit dem Wahlergebnis ist die Landes-SPD wieder da angekommen, wo sie vor zwei Jahrzehnten schon einmal war. In den neunziger Jahren, als Berlin mühsam zusammenwuchs, als Juniorpartner in einer Koalition mit der CDU. Der Hauptstadt ging es in jenen Jahren nicht besonders gut, obwohl Regierung und Parlament aus Bonn an die Spree zogen. Berlin war fast pleite, erdrückt von den Kosten der Vereinigung, rekordverdächtigen Sozialausgaben und einer maroden Infrastruktur. Der öffentliche Dienst war aufgeblasen und ineffektiv. Über allem lag der Mehltau einer großen Koalition und nach den ersten, turbulenten Jahren nach der Wende konnten sich SPD und CDU, vereint in einer politischen Zwangsehe, nicht mehr sehen.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l, SPD) und der Fraktionsvorsitzende der SPD, Raed Saleh kommen zur ersten Fraktionssitzung ihrer Partei nach der Abgeordnetenhauswahl.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l, SPD) und der Fraktionsvorsitzende der SPD, Raed Saleh kommen zur ersten Fraktionssitzung ihrer Partei nach der Abgeordnetenhauswahl.

© dpa

Viel mehr noch als die CDU litten die Sozialdemokraten unter dieser Situation. 1995 kamen sie auf 23,6 Prozent, fünf Jahre später war mit 22,4 Prozent ein neuer Tiefpunkt erreicht. Die SPD erreichte nur noch ihre treueste Kernwählerschaft, die Bürger hatten jedes Vertrauen in die politischen Erben Willy Brandts verloren und die SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer, die 1995 antrat, war viel zu schwach, um für ihre Partei doch noch etwas zu retten. Zudem war die Bundespartei zutiefst zerstritten. 1999 sah es in Bund und Land nicht besser aus, als der frühere Regierende Bürgermeister Walter Momper die Landes- SPD in eine weitere krachende Niederlage führte.

Ältere Genossen werden sich daran noch mit Grausen erinnern. Auch an die Flügelkämpfe, in denen Linke und Rechte die eigene, eh schon geschundene Partei zerlegten. Alternativen, also andere Regierungsbündnisse, waren damals nicht in Sicht, denn die politische Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgeorganisation, die erst PDS, dann Linke hieß, war tabu. Bis 2001 der innerparteiliche Stoßtrupp um den Berliner Parteichef Peter Strieder und den SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit dieses Tabu brach.

Rot-Grün, toleriert von den Linken, führte die Sozialdemokraten aus der babylonischen Gefangenschaft – dem Regierungsbündnis mit der CDU des langjährigen Regierungschefs Eberhard Diepgen. Jetzt soll Rot-Rot-Grün, längst keine dramatische, gesellschaftlich umstrittene Alternative mehr, der SPD den Weg aus der schlechten Ehe mit der Henkel-CDU weisen. Der innerparteiliche Druck, ein neues linkes Regierungslager zu bilden, ist riesig groß. Aber die Genossen sind offenbar auch bereit, aus der jüngeren Geschichte der eigenen Partei zu lernen.

Kein Flügelschlagen mehr! Keine Beschädigung der eigenen Führungsleute! Auch wenn der Ärger über dieses Wahlergebnis groß ist, und damit die Versuchung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Allen voran den Regierenden Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidaten, der in diesem Wahlkampf auch für die eigenen Genossen nicht viel zu bieten hatte. Sein kesses Auftreten am Wahlabend („Wir haben einen klaren Regierungsauftrag“) kam besonders in jenen Parteigliederungen schlecht an, die unter dem Frust und der Wut vieler Berliner über den Müller-Senat bei der Parlamentswahl besonders litten.

Die Gesichter sprachen Bände. Übel gelaunte, übernächtigte Parteifunktionäre verließen am Montagabend die Sitzung des SPD-Landesvorstands. Zweieinhalb Stunden lang wurde diskutiert, Parteichef Müller hatte einen Antrag vorgelegt, der die Wahl und ihre Folgen für die Sozialdemokraten nach dem Gefühl vieler Vorstandsmitglieder nicht realitätsnah genug analysierte. Der fertige Text sah nach der Beschlussfassung anders aus. Auf Druck der Parteilinken, die im SPD-Landesverband eine Zweidrittelmehrheit haben, wurde noch eine Arbeitsgruppe „Wahlanalyse“ eingerichtet. Die Partei will nicht einfach „weiter so“ machen.

Im Oktober will die SPD die Ursachen des Wahldesasters beraten

Bezirke, Partei und Fraktion sind in dem sechsköpfigen Team vertreten, das Müller nach der Vorstandssitzung als „externen Sachverstand“ bezeichnete. Erfahrene Leute, mehrheitlich dem linken Lager zuzurechnen. Im Oktober sollen die Ursachen des Wahldesasters in einer Klausurtagung des SPD-Landesvorstands identifiziert und beraten werden.

Die Sozialdemokraten, die am Sonntag den Vertrauensverlust der Wähler schmerzhaft zu spüren bekamen, haben das dringende Bedürfnis, ihre Politik für Berlin kräftig nachzujustieren. Das geht weit über das hinaus, was Müller nach der Vorstandssitzung angekündigt hat: „Manches muss schneller, manches auch anders werden“. Sein Lieblingsbegriff dieser Tage ist die „Verstetigung“ des Regierungshandelns. Ein Wille zur Veränderung wird da noch nicht spürbar. Aber, wie gesagt, er ist noch ein Lernender.

Die Parteifreunde werden ihm die Chance wohl auch geben, sich in der nächsten Zeit als Regierungschef zu beweisen. In einer bunt gewürfelten Koalition. Die Devise führender SPD-Funktionäre lautet: Ärmel aufkrempeln, loslegen und Geschlossenheit zeigen, den künftigen Bündnispartnern Grüne und Linke nicht schon in den Koalitionsgesprächen eine Blöße geben. Mit langen und harten Verhandlungen ist zu rechnen. „Wir sind zum Erfolg verdammt“, sagt ein erfahrener Genosse. Immerhin lasse jetzt auch Müller eine gewisse Demut erkennen, die Siegerpose habe er nun abgelegt. Auch als SPD-Landeschef ist er vorerst wohl nicht in Gefahr.

Das höchste Parteiamt hatte Müller im Mai überraschend wieder an sich gerissen, in der Hoffnung, dass könne ihm helfen, alle Fäden in der Hand zu halten. Das war eine Fehleinschätzung. Innerparteilich ist er ein Getriebener. Er muss täglich sorgsam ausloten, wie die Stimmung unter den Genossen ist und wohin der Zug fährt. Maßgebend für die Einhaltung des richtigen Weges ist die gut organisierte, verjüngte Parteilinke, und deren Leitfigur, der SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Am Donnerstag wird Saleh von der neuen Fraktion im Abgeordnetenhaus als Vorsitzender bestätigt, sicher mit einem sehr guten Ergebnis.

Einen parteiinternen Putsch muss Müller aber nicht fürchten, solange er keine gravierenden Fehler macht. Doch er muss aufpassen, nicht nur in der eigenen Partei. Auch Koalitionsverhandlungen sind gefährlich. „Es gibt immer wieder Überraschungen“, sagte Müller am Dienstag im Roten Rathaus und erinnerte an die Gespräche, nach der Wahl 2001, zwischen SPD, Grünen und FDP, die gescheitert waren, weil Grüne und Liberale nicht miteinander konnten. „Ich weiß ja nicht, wie Grüne und Linke jetzt miteinander umgehen werden“, sagte Müller und hob freundlich grinsend die Schultern.

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