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Gute Miene. Italiens früherer Regierungschef Silvio Berlusconi winkt seinen Unterstützern bei einer Protestkundgebung in Rom gegen seine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zu. Foto: Alessandro Bianchi/ Reuters

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Politik: Berlusconi will um Gnade bitten

Italiens Staatschef würde das Gesuch beizeiten „objektiv und streng“ prüfen Ob der rechtskräftig Verurteilte seinen Sitz im Senat behalten kann, lässt Napolitano allerdings offen.

Es war zwar keine Absolution, aber auf jeden Fall das „Zeichen“ des Staatspräsidenten, auf das Silvio Berlusconi seit seiner rechtskräftigen Verurteilung am 1. August so nervös gewartet hatte. Mit einer langen schriftlichen Erklärung hat sich der 88-jährige Staatspräsident Giorgio Napolitano am Dienstagabend zu Wort gemeldet. Berlusconis Chefverteidiger ist mit dem Inhalt zufrieden, die Partei sieht sich beruhigt, nur die Sozialdemokraten als zugleich politische Gegner und Koalitionspartner wussten am Mittwoch nicht recht, was sie von Napolitanos komplexer, ausgewogener Stellungnahme halten sollten. Auf jeden Fall – darin stimmten alle Reaktionen überein – scheint der Fortbestand der Regierung vorerst gesichert. Berlusconi selbst kommentierte die Worte des Staatspräsidenten allerdings nicht. Sein Anwalt Piero Longo erklärte, sein Mandant werde Napolitano über kurz oder lang um Gnade bitten, um „politisch beweglich“ bleiben zu können.

Napolitano hat klargestellt, dass auch bei einem „unumstrittenen Leader einer politischen Formation von nicht zu leugnender Bedeutung“ allfällige „endgültige Gerichtsurteile zur Kenntnis genommen und angewandt werden müssen“. Ungeachtet des Rechts auf Kritik, so schreibt es Napolitano den polemisierenden Parteifreunden Berlusconis ins Stammbuch, müssten „das Prinzip der Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Richterschaft als Kontrollorgan der Legalität anerkannt“ bleiben. Für ein Gerichtsurteil „Rache am Funktionieren demokratischer Institutionen“ nehmen zu wollen, sei „unannehmbar“, hebt der Staatschef hervor und wehrt damit Erpressungsversuche aus den Reihen von Berlusconis Partei „Volk der Freiheit“ ab. Dessen Parlamentsabgeordnete hatten einen „Rücktritt in Massen“, den Bruch der großen Koalition und den Sturz der Regierung angekündigt, sollte der Staatschef nicht bereit sein, Berlusconi zu begnadigen oder ihm anderweitig die „politische Handlungsfähigkeit“ zu garantieren.

Gnade für Berlusconi schließt der Staatschef nicht prinzipiell aus. Dazu müsse aber ein formelles Gesuch des Verurteilten vorliegen – das üblicherweise ein Schuldeingeständnis, die Einsicht in die Fehlerhaftigkeit des eigenen Handelns und ein Besserungsversprechen umfasst. Ein solches Gesuch werde er dann nach den gesetzlichen Vorgaben „objektiv und streng“ prüfen, „ohne die Substanz und die Legitimität des Gerichtsurteils selbst anzutasten“, schreibt Napolitano und fügt hinzu, bisher habe ihn keiner um Begnadigung gebeten.

Die politische Handlungsfähigkeit Berlusconis sieht Napolitano ohnedies gesichert. Der zu vier Jahren Haft Verurteilte müsse ja für das eine Jahr, das er tatsächlich abzubüßen hat, „auf keinen Fall“ hinter Gitter, und die rechtlichen Alternativen zum Gefängnis könnten „nach den Erfordernissen des konkreten Falls geregelt werden“. Der Staatspräsident schließt nicht aus, dass Berlusconi sein „Volk der Freiheit“ weiterhin führen könne: Die Entscheidung liege bei der Partei und ihrem Chef. Hauptsache, so Napolitano, alle behielten im Blick, was das Land brauche. Allein darauf komme es an, und es wäre „fatal“, schreibt der Staatschef, wenn Italien über eine Regierungskrise „entweder in die Instabilität zurückfiele oder die Gelegenheit zur wirtschaftlichen Erholung nicht ergreifen könnte“.

Berlusconi, der im September wählen muss zwischen einem Jahr Hausarrest und „sozial nützlichen Tätigkeiten“, kann in den Augen Napolitanos also prinzipiell weitermachen wie bisher: als Parteichef und „Garant“ der großen Koalition. Mit Schweigen übergeht der Staatspräsident hingegen die Frage, ob Berlusconi seinen Sitz im Senat behalten darf.

Während die Gesetzeslage bisher unzweideutig schien – „für das Parlament kandidieren oder Abgeordneter sein darf niemand, der zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt ist“ –, suchen zahlreiche Juristen und Journalisten derzeit in den entlegensten Feinheiten des Rechts und der Rechtsprechung mit Eifer nach Möglichkeiten, diese Bestimmung des Antikorruptionsgesetzes auszuhebeln. Wer gemeinnützige Tätigkeiten als Alternative zu Haft und Hausarrest wähle, so analysiert beispielsweise Italiens führende Wirtschafts- und Finanzzeitung „Il Sole 24 Ore“, für den würden auch die „strafrechtlichen Folgen“ des Urteils erlöschen. Der Senatsausschuss, der Berlusconi nach dem Antikorruptionsgesetz das Mandat eigentlich abzuerkennen hat, muss nach dieser von Verfassungsjuristen gestützten Rechtsauslegung, die Prozedur „in der Schwebe halten“. Mit anderen Worten: Berlusconi bliebe auch noch Parlamentsabgeordneter.

Eindeutig geäußert hat sich unterdessen Berlusconis Tochter Marina. Die 47-jährige Chefin der Familienholding Fininvest und des Verlagshauses Mondadori wies alle Spekulationen zurück, sie könnte ihren Vater politisch beerben: „Die Absicht, mich politisch zu engagieren, hatte ich nie und habe ich nicht.“

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