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Beschneidung: Die schwierige Suche nach dem Kompromiss

Baden-Württemberg und Berlin setzen beim Thema Beschneidung auf eine Kompromisslösung. Wie könnte sie aussehen?

Weil ein Kölner Gericht in einem Urteil die rituelle Knabenbeschneidung im Grundsatz als strafbare Körperverletzung erklärt hat, wurden vielerorts die Eingriffe gestoppt – nicht nur in Deutschland. Ärzte mussten Anklagen befürchten, sollten allein religiöse Motive der Eltern den Ausschlag für die Operation gegeben haben. Nach Baden-Württemberg will sich jetzt auch Berlin auf eine Linie für die Staatsanwaltschaft verständigen, wie mit etwaigen Strafverfahren umzugehen ist. In Baden-Württemberg sollen rituelle Beschneidungen von Jungen weiterhin grundsätzlich straffrei bleiben, wenn sie medizinisch korrekt ausgeführt werden. Das heißt, dass in solchen Fällen auch in Zukunft nicht ermittelt würde. In Berlin angekündigte Richtlinien könnten ähnlich aussehen.

Wollen auch andere Bundesländer

so vorgehen?

Bislang ist das noch nicht absehbar. Für das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen zum Beispiel steht schon fest, dass es keine Weisungen geben wird. Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm, mit mehr als einer halben Million Ermittlungsverfahren im Bezirk die größte in Deutschland, kündigte am Freitag an, darauf verzichten zu wollen. „Anweisungen zur Bearbeitung der Verfahren werden hier nicht erarbeitet oder angestrebt“, sagte Sprecher Martin Botzenhardt dem Tagesspiegel. Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Beschneidungen seien im Bereich der Behörde bislang nicht bekannt geworden. Die „aktuell diskutierten und vielschichtigen Rechtsfragen“ hätten daher keiner abschließenden Prüfung bedurft. „Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch, dass die strafrechtliche Bewertung sich jeweils an den Umständen des konkreten Einzelfalls orientieren muss“, erklärte Botzenhardt. Auch die Generalstaatsanwaltschaften in Köln und Düsseldorf hatten zuvor betont, es werde im Einzelfall entschieden, unabhängig von Direktiven.

In anderen Bundesländern wie Bayern, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, aber auch im Stadtstaat Hamburg sind nach derzeitigem Stand keine gesonderten Regelungen geplant. Zumeist wird das damit begründet, dass es keine konkreten Fälle gebe.

Verletzen Richtlinien für Staatsanwälte nicht das Prinzip der Gewaltenteilung?

Der Umgang mit Beschneidungsfällen könnte im Zweifel durchaus per Erlass von oben durchgesetzt werden. Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben laut Gesetz den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen. Das oberste Leitungsrecht hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlichen Beamten eines Bundeslandes hat aber die Justizverwaltung und damit der Chef des Ressorts, der Minister oder Senator. Theoretisch ist er damit befugt, Handlungsanleitungen für bestimmte Fallgruppen abzufassen oder sich gar in einzelne Fälle einzuschalten. Dieses sogenannte externe Weisungsrecht wird in Justizkreisen seit langem als Bruch der Gewaltenteilung kritisiert und deshalb zurückhaltend ausgeübt. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise hat sich das Ministerium vor zehn Jahren selbst verpflichtet, sich aus Ermittlungen der Strafverfolger herauszuhalten – deshalb sprechen dort ausschließlich die Generalstaatsanwaltschaften für sich.

Auch in Berlin legt Justizsenator Thomas Heilmann Wert darauf, keine Vorgaben zu machen, sondern mit den Staatsanwälten eine gemeinsame Lösung finden zu wollen.

Wie reagieren die Betroffenen auf die Vorstöße aus Baden-Württemberg und Berlin?

In der jüdischen Gemeinschaft gehen etliche ohnehin mittlerweile davon aus, dass die Debatte auf einen Kompromiss hinauslaufen könnte: Beschneidung aus religiösen Gründen wird grundsätzlich erlaubt, aber an bestimmte Bedingungen geknüpft, was die Qualifikation des Beschneiders, Betäubung oder den Ort des Eingriffs angeht. Traditionell werden jüdische Säuglinge am achten Tag in der Synagoge von einem s genannten Mohel beschnitten, der eigens dafür theologisch und medizinisch ausgebildet ist.

Sergey Lagodinsky, Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde in Berlin, vermutet, „man könnte eine Regelung erreichen, die den Eingriff unter Einhaltung bestimmter, gesundheitlich nachvollziehbarer Standards in der Synagoge weiterhin erlaubt“.

Für Rabbiner ist denkbar, dass man in Zukunft die Qualifikation der Mohel zertifiziert. „So wird es in England gemacht“, sagt der Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal von der orthodoxen Gemeinschaft Chabad Lubawitsch. Auch in Deutschland könnte ein Gremium aus Rabbinern und Ärzten eine solche Zertifizierung vornehmen. Was die Betäubung angeht, wäre Teichtal mit einer örtlichen Anästhesie einverstanden, um den Schmerz zu vermindern. Vollnarkose lehnt er ab, denn laut talmudischen Schriften müsse der Säugling bei dem Eingriff bei Bewusstsein sein.

„Natürlich muss sichergestellt sein, dass der Eingriff medizinisch einwandfrei und nach allen Regeln der Kunst verläuft“, sagt die Berliner Rabbinerin Gesa Ederberg von der Reformgemeinde Masorti. Was die Anästhesie angeht, würden die Mohel ihrer Gemeinde auch jetzt schon mit einer speziellen Creme örtlich betäuben. Von einer Verlagerung des Eingriffs ins Krankenhaus hält sie nichts. An den medizinischen Eingriff schließe sich sofort ein religiöses Fest an, mit dem das Kind in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen wird. Das aber sei in einem Krankenhaus nicht machbar. Das Fest von dem Eingriff zu trennen, sei aber auch nicht möglich, denn dann würde der rituelle Charakter verloren gehen.

Orthodoxe Juden hätten mit dem Krankenhaus außerdem ein Problem, wenn das Kind an Schabbat oder an einem Feiertag beschnitten werden müsste, falls der achte Lebenstag auf einen solchen Tag fällt. Für orthodoxe Juden ist es Pflicht, in Fußnähe einer Synagoge zu wohnen und an Schabbat in die Synagoge zu gehen. Ein Krankenhausbesuch ist nur erlaubt, wenn das Leben in Gefahr ist. Wenn man Beschneidung in der Synagoge verbieten will, argumentiert Ederberg, dann müsse man auch Hausgeburten verbieten.

„Auf jeden Fall wäre es wichtig, dass Staatsanwälte, Richter und Politiker mit den Religionsgemeinschaften gemeinsam über einen Weg nachdenken“, sagt Lagodinsky. Man dürfe nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg diskutieren.

Die deutschen Muslime begrüßten die Absicht Berlins, den strafrechtlichen Umgang mit religiösen Beschneidungen durch eine Richtlinie für die Staatsanwaltschaft zu regeln. Sollte dies flächendeckend geschehen, „wäre der Zustand vor dem Kölner Urteil wiederhergestellt, und das ist grundsätzlich zu begrüßen“, sagte der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime (KRM), Ali Kizilkaya. Im KRM sind die vier großen muslimischen Verbände zusammengeschlossen. Kizilkaya, der zugleich Vorsitzender eines der Verbände, des Islamrats, ist, sprach von einem „guten und erfreulichen Signal, das die sehr stark verunsicherten Betroffenen beruhigen würde“.

Ob ein Gesetz dennoch nötig ist, wie ursprünglich von einer Mehrheit des Bundestags beabsichtigt, lässt sich nach den Worten von Kizilkaya jetzt noch nicht beurteilen: „Wenn auf dem Weg über die Justiz Rechtssicherheit hergestellt wird, ist das ausreichend. Bliebe aber auch nur ein Rest an Unsicherheit, dann sollte man es nicht vom Zufall abhängig machen, ob betroffene Eltern oder Ärzte Strafverfolgung fürchten müssen.“

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