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Besonnen und beleidigt: Gespaltene Reaktionen auf Mohammed-Video in Europa

Der Film "Die Unschuld der Muslime" hat zu heftigsten Reaktionen in der islamischen Welt geführt. Doch wie reagieren die Muslime in Europa? Während Kunden in Frankreich das Magazin „Charlie Hebdo“ zerreißen, ist es andernorts relativ ruhig.

Großbritannien

In Großbritannien halten sich Proteste und Kontroversen um den Film „Die Unschuld der Muslime“ bisher in Grenzen. Der Vergleich mit der Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen 2006 zeigt, wie viel besonnener britische Muslime geworden sind. Der britische Muslimrat verurteilte unmittelbar nach dem Mord am amerikanischen Botschafter Christopher Stevens in Libyen gewalttätige Proteste. Der Film sei „eine Schande“, aber „diese Gewalt steht nicht im Einklang mit den Lehren des Propheten, dessen Ehre die Demonstranten verteidigen wollen“, hieß es. Zumindest in Großbritannien scheint sich die These des früheren Premiers Tony Blair zu bestätigen, dass „am Ende die Kräfte der Modernisierung über die Extremisten triumphieren werden“.

Die Debatte um die Meinungsfreiheit wurde angestoßen, als der Fernsehsender Channel 4, angeblich auf Anraten von „Sicherheitsexperten“, eine Konferenz über einen kontroversen Islam-Film absagte. Der Film „Islam. Die unerzählte Geschichte“ hatte nach seiner Fernsehausstrahlung Ende August mehr als 1000 Beschwerden ausgelöst. Autor Tom Holland vertritt die These, der Islam habe sich langsam entwickelt und sei nicht im siebten Jahrhundert als voll ausgeformte Offenbarungsreligion präsent gewesen.

Der Romanautor Salman Rushdie, der seit über dreiundzwanzig Jahren durch eine „Fatwa“ von Ayatollah Khomeini bedroht ist, warnte vor der Gefahr für die Meinungsfreiheit. Der Iran nahm die Proteste gegen den Mohammed-Film zum Anlass, die Fatwa gegen Rushdie zu erneuern. Eine öffentliche Vorführung des Filmes ist in Großbritannien unwahrscheinlich. Sie könnte mit Gesetzen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder dem Gesetz gegen Religionshass von 2006 unterbunden werden. Auch die Mohammed-Karikaturen wurden in Großbritannien nie nachgedruckt.

Matthias Thibaut

Frankreich - Kunden verbrennen Satirezeitschrift

Frankreich

Die Mohammed-Karikaturen, die die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ am Mittwoch veröffentlicht hat, haben in Frankreich einige Aufregung ausgelöst. Premierminister Jean-Marc Ayrault verurteilte jegliche „Zügellosigkeit“ angesichts der weltweiten Proteste gegen den Film „Die Unschuld der Muslime“.

Kioskbesitzer berichteten, dass Kunden Stapel der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ gekauft hätten, um sie dann zu zerreißen oder zu verbrennen. Nach wenigen Stunden soll die Zeitschrift ausverkauft gewesen sein. In Frankreich reagiert man trotz der laizistischen Ausrichtung des Staates sensibel auf religiöse Themen, weil es im Land eine große islamische Gemeinschaft gibt. Der Präsident des französischen Rates der Muslime ist bestürzt wegen der „beleidigenden Zeichnungen“. Es handele sich bei der Veröffentlichung um einen unverantwortlichen Akt. „Uns machen die Reaktionen Sorgen, die das in dieser ohnehin angespannten Lage hervorrufen kann und wird“, sagte Mohammed Moussaoui.

Außenminister Laurent Fabius stellte die Frage, ob es wirklich „klug und sinnvoll“ sei, in diesen Tagen „Öl ins Feuer zu gießen“. Schließlich hatte es auch in Frankreich Proteste gegen das islamfeindliche Video aus den USA gegeben. Die Regierung hat ein Verbot einer weiteren für Samstag geplanten Demonstration gegen den Film angekündigt. Die Stimmung in Frankreich ist aufgeheizt, die Regierung fürchtet offenbar Ausschreitungen.

Vertreter der Muslime in Frankreich wurden am Mittwoch im Innenministerium empfangen. Man wolle die Lage beruhigen, erklärte Minister Manuel Valls. Vor der Redaktion von „Charlie Hebdo“ wurden Polizeiwagen postiert. Schon einmal waren die Redaktionsräume 2011 verwüstet worden, nachdem die Zeitschrift eine islamkritische Ausgabe angekündigt hatte.

Tanja Kuchenbecker

Dänemark - Politiker und Medien halten sich diesmal zurück

Dänemark

Vor sechs Jahren brannten dänische Flaggen und Botschaften in islamischen Ländern wurden angegriffen. Der Grund war eine im Herbst 2005 veröffentlichte Reihe von insgesamt zwölf Mohammed-Karikaturen in der rechtskonservativen Tageszeitung „Jyllands-Posten“. Zunächst schwelte der Konflikt. Der damalige rechtsliberale Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen hatte sich mit Verweis auf die Pressefreiheit ebenso wie die Zeitung geweigert, sich für die Publikation zu entschuldigen.

Die Veröffentlichung kam zustande, weil Redakteure der Tageszeitung das Gefühl hatten, westliche Künstler trauten sich nicht mehr, den Islam so kritisch zu behandeln wie das Christentum. Einer der Karikaturisten war nur knapp einem Mordanschlag in seinem eigenen Haus entkommen, indem er in einen abgesicherten „Panic Room“ geflüchtet war. Ein Somali hatte mit einer Axt die Tür eingeschlagen. Mehrfach berichteten die dänischen Sicherheitsbehörden über „vereitelte Terroranschläge“.

Dieses Mal halten sich Politiker und Medien jedoch zurück. In Dänemark, so haben Umfragen ergeben, habe das Volk genug von Auseinandersetzungen dieser Art. Innenministerin Margrethe Vestager betonte jedoch, dass die Unruhen zu verurteilen seien. „Die Meinungsfreiheit muss respektiert werden“, sagte sie mit Bezug auf den Film „Die Unschuld der Muslime“. Dies gelte selbst dann, wenn man den Film persönlich geschmacklos finde.

„Keine Karikatur, kein Film, kein Ausspruch, keine intellektuelle oder religiöse Uneinigkeit kann Gewalt gerechtfertigen“, sagte sie zu den Ausschreitungen in der islamischen Welt. Vestagers sozial-liberale Regierungspartei ist die Partei, die sich besonders deutlich für die Rechte der moslemischen Einwanderer in Dänemark einsetzt und die Mitgliedschaft der Türkei in der EU unterstützt.

André Anwar

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