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Truppenübungsplatz. Von der Ausbildung bis zu Führungsstrukturen soll alles mehr „vom Einsatz her“ gedacht werden.

© Peter Steffen/dpa

Bestandsaufnahme: Falsches Lagebild bei der Bundeswehr

Einige der früheren Annahmen über den Charakter von Bundeswehr-Einsätzen sind nicht eingetreten. Ein Bericht des Generalinspekteurs zeigt Fehler der Vergangenheit auf – und macht Lösungsvorschläge.

Von Michael Schmidt

Berlin - Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hieß es, nichts werde mehr sein wie es einmal war. Mag sich das Diktum mit etwas zeitlichem Abstand auch als allzu allumfassend erwiesen haben – für die Bundeswehr gilt ohne Zweifel, dass nach dem Einsatz in Afghanistan nichts mehr an die Armee der alten Bundesrepublik erinnert. Es sind die Erfahrungen aus mittlerweile neun Jahren Krieg am Hindukusch, die der Reform der Bundeswehr, angestoßen von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), die Richtung weisen.

Der Diskussion dieses Herbstes über die Aussetzung der Wehrpflicht und eine verkleinerte Armee liegt eine Defizitanalyse zugrunde, die sich vor allem an den Folgen deutschen Tuns und Lassens im Rahmen dieser internationalen Mission orientiert. Der Befund ist ernüchternd. In einem internen Bericht des Generalinspekteurs Volker Wieker, der dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es, „eine unvoreingenommene und nüchterne Bestandsaufnahme führt zu dem Ergebnis, dass einige der früheren Annahmen über den Charakter von Einsätzen nicht eingetreten sind“.

Man hat schlicht Dauer, Umfang und Intensität solchen Engagements falsch eingeschätzt. „So sind wir heute mit Einsätzen konfrontiert, die Teile der Stabilisierungskräfte für eine Dekade oder gar darüber hinaus in einem damals nicht vorhergesehenen Umfang binden“, heißt es in dem Bericht. Eine Unterscheidung zwischen friedenserzwingenden Eingreif- und friedenserhaltenden Stabilisierungsoperationen sei nicht möglich. Der Übergang von der Hilfe beim Aufbau militärischer und polizeilicher Kräfte zur Konfrontation „mit perfiden Anschlägen und intensiven Gefechten“ sei fließend. Alles in allem führe kein Weg an der Einsicht vorbei, dass Deutschland in Afghanistan, auf dem Balkan und am Horn von Afrika zwar stets zu den drei größten Truppenstellern gehöre, die Bundeswehr damit aber auch die Grenze der Belastbarkeit fast schon überschritten habe. Von insgesamt 252 500 Soldaten ließen sich derzeit allenfalls 7000 dauerhaft und nur 10 000 für Kurzeinsätze abstellen. Außerdem, so das Eingeständnis des obersten Soldaten der Bundesrepublik, „konnte auch der politisch festgelegte Einsatzrhythmus (vier Monate Einsatz, 20 Monate keine Heranziehung)“ oft „nicht eingehalten werden“.

Für den Minister und seinen General sind das unhaltbare Zustände. Für sie ist klar, die internationale Konfliktverhütung und -bewältigung – einschließlich des Kampfs gegen den Terrorismus – bleiben „auf absehbare Zeit“ die größte Herausforderung. Die Einsatzrealität der vergangenen 20 Jahre und Zukunftsanalysen zeigten, heißt es in Wiekers Bericht, dass Risiken und Bedrohungen von Staaten und Regionen ausgehen können, die sich der Kontrolle durch ein funktionierendes Staatswesen entziehen. „Dazu gehören die Gebiete scheiternder und gescheiterter Staaten, die hohe See, der Luftraum über diesen Regionen, der Weltraum und große Teile des Informationsraumes.“ Die Streitkräfte müssten daher künftig „vom hochintensiven Gefecht über Stabilisierung bis hin zu Beobachtermissionen und Beratungs- und Ausbildungsunterstützung“ alles können. Die Bundeswehr solle in die Lage versetzt werden, Dauereinsätze mit mindestens 10 000 Soldaten in mehreren Einsatzgebieten gleichzeitig zu leisten. Wie? Durch Verkleinerung und Professionalisierung.

„Es kommt nicht mehr auf den bloßen Gesamtumfang der Streitkräfte, sondern vor allem auf die real einsetzbaren Kräfte an“, schreibt Guttenberg in der Einleitung zum Wieker-Bericht. Als oberste Prämissde gilt: Alle Strukturen und Prozesse sollen auf die Erfordernisse des Einsatzes ausgerichtet werden. Wichtiger als die Fähigkeiten zu selbstständigen Operationen seien „Durchsetzungsfähigkeit, Durchhaltefähigkeit, Flexibilität, hohe Mobilität und die Befähigung zur Vernetzung. Gut ausgebildetes Personal mit angemessener Ausrüstung ist dafür Voraussetzung“, schreibt Wieker.

Gut ausgebildetes, aber deutlich weniger Personal. Denn sparen muss die Armee auch. Deshalb der Vorschlag, die Wehrpflicht auszusetzen, um Soldaten von der Aufgabe der Ausbildung zu entbinden. Deshalb die Vorgabe „neue Wege der Bedarfsdeckung“ zu gehen und Beschaffungspolitik und Rüstungsprozess stringenter „auf einsatzbedingte Notwendigkeiten“ abzustellen. Deshalb auch die Forderung nach einer leistungsfähigen und schlanken Führungsstruktur, den Abbau doppelter Stäbe zum Beispiel und den „Umbau des Personalkörpers“ dergestalt, dass es künftig wieder mehr Indianer und weniger Häuptlinge gibt. In Wiekers Worten: „Die Zahl der Mannschaften muss deutlich erhöht, die Zahl der Offiziere kann demgegenüber verringert werden.“

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