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Politik: Bestechung ist an der Tagesordnung - jeder glaubt an eine Verschwörung

Die Aufregung über den russisch - amerikanischen Geldwäscheskandal scheint nirgendwo so gering zu sein wie in Russland. Die Regierung wie auch persönlich Betroffene beließen es bei Dementis oder schweigen sich aus.

Die Aufregung über den russisch - amerikanischen Geldwäscheskandal scheint nirgendwo so gering zu sein wie in Russland. Die Regierung wie auch persönlich Betroffene beließen es bei Dementis oder schweigen sich aus. Die russische Presse sieht in dem Skandal eher eine inneramerikanische Intrige, in der Russland, der russischen Mafia und Boris Jelzins Familie der Schwarze Peter zugesteckt wurde. Erstaunt nimmt man in Russland in diesen Tagen zur Kenntnis, dass auch die als kompetent und unabhängig geschätzte westliche Presse typisch russisches Verhalten an den Tag legen kann: Die Veröffentlichung von kompromittierendem Material gegen bekannte Personen der Wirtschafts- und Politelite gehört zum politischen Alltag in Russland.

Allzuviel Bedeutung misst man dergleichen Artikel nie zu, denn - zumindest in Russland - beruhen sie meist weniger auf Fakten und objektiver journalistischer Recherche als auf einer Bestellung eines Konkurrenten oder Gegners. So blieb die Resonanz auf die Vorwürfe der USA Today und anderer USMedien über die angebliche Geldwäsche und Beihilfe zur Veruntreuung russischer Gelder durch die Bank of New York äußerst verhalten. Die Presse sorgt sich mehr um den auf diese Weise lädierten Ruf Russlands als um die Frage, ob an den Vorwürfen etwas Wahres ist .

Von den hochrangigen Skandal-Beteiligten auf russischer Seite meldete sich einzig Anatoli Tschubais zu Wort. Weder er noch seine Familienmitglieder besäßen Konten im Ausland. An Korruptionsvorwürfen gegen Präsident Jelzin und seine Familienmitglieder sei nichts Wahres, so Tschubais. Der heutige Chef des Energiekonzerns RAO EES und frühere Präsidenten-Beauftragte für die Beziehungen zu internationalen Finanzorganisationen bezeichnete als Urheber des Skandals "politische Kräfte in den USA, denen daran gelegen ist, zu zeigen, dass in Russland alles zusammenbricht und alles gestohlen wird - und dass die Adminstration Clinton und der Präsidentschaftskandidat der Demokraten schuld daran sind".

Der russische Politologe Sergej Karaganow, Leiter des Rates für Außen- und Sicherheitspolitik Russlands, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax, der Skandal beruhe auf dem "Wunsch führender Kreise in den westlichen Ländern, sich von der gegenwärtigen Kreml-Führung abzugrenzen". Es sei nicht auszuschließen, dass dabei auch inneramerikanische Wahlkampf- Interessen mitspielten, die darauf abzielten, die Unterstützung Clintons für Russland und den IWF in schlechtes Licht zu rücken. Der Kreml schwieg sich am Wochenende zu den Vorwürfen aus. Seitens der Regierung hatte am Freitag der erste Vize-Premierminister Viktor Christenko jeden Kommentar abgelehnt, da es "keine Informationen darüber gibt, dass es zwischen dem dortigen Geschehen und dem Finanzministerium und der Zentralbank eine Verbindung gibt".

Der amtierende Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow kündigte jedoch an, dass sich Polizei und Geheimdienst mit dem Skandal beschäftigen werden. "Erst wenn sich herausstellt, dass ein Verbrechen vorliegt, an dem russische Staatsbürger beteiligt sind, werden wir ein Ermittlungsverfahren einleiten", so Ustinow. Der Agentur Interfax zufolge war die als Kern des Geldwäsche- Skandals geltende Firma Benex Worldwide Ltd. in russischen Finanzkreisen eine bekannte Größe. "Es gibt in Russland keine mehr oder weniger große Bank oder Finanzfirma, die nicht wenigstens einmal ihre Dienste beanspruchte", so ein Bankier. Zweck der Übung sei der "Schutz vor der Versteuerung von Geldmitteln in Russland" gewesen. Aus Mafia-Quellen allein könnten die genannten Milliarden-Summen gar nicht stammen. Firmen wie Benex besorgten russischen Unternehmen Rechnungen für fiktive Verträge etwa für Beratungsleistungen, worauf das Geld legal ins Ausland überwiesen werden kann. Dabei handele es sich, so die Agentur, auch nicht prinzipiell um Kapitalflucht, da die Mittel anschließend auch wieder nach Russland zurückfließen können. Nach Angaben von Experten der Zentralbank betrug der Geldabfluss auf Grund fiktiver Verträge in den letzten drei Monaten zwischen einer Mrd. Dollar und 1,5 Mrd. Dollar. "Wir können nichts dagegen tun, denn aus juristischer Sicht verlaufen alle Operationen korrekt", so ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft.

Lothar Deeg

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