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Bei ihrem Rundgang schaut sich die Verteidigungsministerin das Gerät der Bundeswehr an.

© dpa

Besuch in Afghanistan: Die Leyentruppe

Es ist noch sehr fremd, dieses neue Milieu. Früher hat Ursula von der Leyen Kitas besucht, bei ihrer Visite in Afghanistan salutieren Uniformierte zwischen Radpanzern. Die Bundeswehr bereitet der neuen Verteidigungsministerin einen warmen Empfang, fühlt sich von ihr sogar gestärkt. Die Probleme lauern woanders.

Von Robert Birnbaum

Die Truppe wirkt ein bisschen angespannt. Wer lässt sich schon gerne beim Kaffeetrinken von der Weltöffentlichkeit belagern? An einer langen Tischreihe sitzen sie in der Kantine des Feldlagers in Masar-i-Sharif, es ist früher Morgen, mitten zwischen den Soldaten hat eine kleine Frau mit einer sehr markanten blonden Frisur Platz genommen, und rundherum schwärmt ein halbes Hundert Journalisten mit Kameras und Notizblöcken. „Dort werden wir jetzt aufnehmen, wie die Ministerin frühstückt“, hat der Presseoffizier das Ereignis angekündigt. Ursula von der Leyen lächelt breit in die Runde. Ihre Sitznachbarn in Tarnfleckuniform sind praktischerweise von der Sanität. Frau Dr. med. hat also gleich was zu bereden mit den Kollegen, über die Anästhesie zum Beispiel.

Eigentlich ist für die Bundeswehr in den langen Jahren in Afghanistan ein Ministerbesuch Routine geworden. Thomas de Maizière war erst vor kurzem im Camp Marmal zum traditionellen Weihnachtsbesuch; niemand ahnte, dass es seine Abschiedsreise sein würde, am wenigsten er selbst. Aber ein neuer Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt ist immer etwas Besonderes, und eine Inhaberin ist es erst recht. Andere Nationen kennen das längst, dass ihre Armee vor einer Frau strammsteht, Spanier, Norweger, Niederländer. In Deutschland aber müssen es alle noch ein bisschen einüben.

Die Neue - als "Flintenuschi" in Pink

Als Angela Merkels Kabinettscoup bekannt wurde, tauchten infolgedessen im Internet Fotomontagen auf, die von der Leyen als die Computerspielsexbombe Lara Croft abbildeten, zwei dicke Schießeisen inklusive. Andere Karikaturisten malten sich ältere Generalstäbler aus, wie sie davon albträumten, dass „Flintenuschi“ neue Tarnanzüge einführen werde – in Pink.

Schon was die Kleiderordnung angeht, unterschätzt diese Sorte Witz die Neue allerdings bei Weitem. Von der Leyen trägt zwar Stiefeletten mit hohen Absätzen, dazu aber eine waldgrüne Strickjacke, als sie am Samstagabend auf dem Flughafen Tegel in den Regierungs-Airbus zu ihrem ersten Truppenbesuch einsteigt. Die Strickjacke stammt wahrscheinlich aus ihrem Reiterfundus. Sie passt sich ganz prima dem neuen Milieu an, farblich wie im Burschikosen. Ich bin ab jetzt eine für und ein bisschen sogar schon eine von euch, sagt die Jacke. Wie man von der Leyen kennt, hat sie sich beim Griff in den Kleiderschrank genau das überlegt. Ihre Handtasche trägt der Adjutant in seinem Rucksack.

Unbekanntes Terrain für von der Leyen

Ansonsten ist es schon noch sehr fremd, dieses neue Milieu. Von der Leyen ist Landesministerin gewesen und zweimal Bundesministerin, sie ist Talkshow-erprobt und Politprofi wie wenige. Aber dabei hat sie sich immer auf dem gleichen vertrauten Boden bewegt – Familie, Arbeit, Rente, kurz: Gesellschaftspolitik.

Das neue Feld ist etwas ganz und gar anderes. Der Airbus schwebt im grauen Morgenlicht über eine kahle braune Ebene. Auf einer Lehmstraße zieht ein Lastwagen eine Staubfahne hinter sich her. Aus der Luft ist zu sehen, dass in den Innenhöfen der ummauerten Gehöfte Holzfeuer flackern, um die herum kleine Gestalten sich wärmen. Am Horizont ragen verschneite Berge in die tiefhängenden Wolken.

Das ist also der Hindukusch, an dem seit einem Jahrzehnt Deutschlands Freiheit verteidigt wird. Diese Phase geht jetzt zu Ende. Kundus ist an die Afghanen übergeben, der legendäre Außenposten OP North aufgelöst, in das Hochtal von Feysabad am Rande des Himalajas kommen nur noch Entwicklungshelfer.

Der Abzug ist eine logistische Gigantenaufgabe

Ob es eine Nachfolge-Operation zur Unterstützung der afghanischen Armee geben wird, ist unsicher; Amerikaner und Afghanen verhandeln seit Monaten. Der Sitz des Regionalkommandos in Masar-i-Sharif ist zum Umzugsunternehmen geworden, in dem die Ausrüstung einer ganzen Armee vernichtet, verschenkt oder für den Rücktransport verladen wird, hunderte Tonnen Material, eine logistische Gigantenaufgabe.

Trotzdem bleibt der Krieg gegenwärtig. Von der Leyen hat auf ihren Ministerreisen bisher Mehrgenerationenhäuser eröffnet und Kitas besucht. In dem Camp trifft sie auf Container in langen Reihen, Zelte, Stacheldraht und dazwischen überall Gerät, das äußerst unfreundlich aussieht: Ein Awacs-Spähflugzeug, dem sein Radarpilz oben aus dem Rumpf wächst, zerbeulte Radpanzer und hoch am Himmel über dem Camp Marmal schwebt ein Luftschiff. „Saurons Auge“ nennen die Soldaten den Spähballon, der weit ins Land die Umgebung auf Verdächtiges durchmustert. Masar-i-Sharif ist eigentlich eine ruhige Gegend. Aber in diesem Land weiß man nie. Für die Sicherheit sorgt übrigens im Moment ein mongolisches Kontingent. Die Soldaten aus dem ganz fernen Osten nehmen den Trubel bei den Deutschen ohne Regung zur Kenntnis.

Ein Soldat sagt: Das ist doch bombig! Was wollen wir mehr?

Die frischbackene Ministerin muss diese Welt erst noch erkunden. Ob sie die Dienstgrade schon kenne, fragt ein Reporter. „Nein“, sagt von der Leyen. „Ich weiß, dass ich viel zu lernen habe.“ Sie hat damit an dem Abend angefangen, als Angela Merkel ihr den neuen Job zugesagt hat. Typisch Röschen. Der Kosename, mit dem ihr Vater Ernst Albrecht die jüngste Tochter gerufen hat, steht in der Berliner Politikszene für ein manchmal schon unheimliches Strebertum.

Jetzt also ein Schnellkurs von der Art, den die Militärs in ihrer lakonischen Bildersprache eine „Druckbetankung“ nennen: So schnell wie möglich so viel wie möglich reinpumpen. Aber ihre neuen Mitarbeiter, lobt von der Leyen, machten es ihr leicht. Bei dem freundlichen Empfang mag das Gefühl mitspielen, dass die neue Chefin die Bundeswehr insgesamt aufwertet. „Emotional gesehen ist sie eine Stärkung der Truppe“, sagt ein Unteroffizier. „Das ist doch bombig! Was wollen wir noch mehr!“

Sie ist die Kriegerin der CDU

Dass die Soldatin am Frühstückstisch ihr gegenüber eine Frau Hauptbootsmann ist, also das Gleiche wie ein Hauptfeldwebel, nur von der Marine – das allerdings ist so ungefähr das Unwichtigste, was sie zu lernen hat. Minister müssen nicht die besseren Fachleute sein. Eine Verteidigungsministerin sollte im Groben wissen, wofür man das Gerät braucht, das da dauernd für Millionensummen angeschafft wird; aber das Grobe reicht. Peter Struck pflegte öffentlich seine Militärs herbeizuknurren, sobald es ins Detail ging. Die Truppe hat ihn deshalb nicht weniger geachtet.

Von der Leyens Problem könnte ein ganz anderes werden. Wer sich die Geschichte ihres Aufstiegs anschaut von der weithin unbekannten Sozialministerin in Hannover bis zur aktuellen Nummer eins auf der Hitliste der Merkel-Erben – wer also nach dem Erfolgsrezept der Erfolgreichen fragt, der stößt auf ein einfaches Prinzip: Ursula von der Leyen ist die Kriegerin der CDU. Ihre Siege hat sie der eigenen Partei abgetrotzt. Ihre Prominenz beruht geradezu darauf, dass es jedes Mal ein Kampf war.

Das alte Prinzip muss auch im neuen Amt funktionieren

Sie hat sich dafür in jedem neuen Amt ein Projekt vorgenommen, das sie mit äußerster Konsequenz verfolgt hat, politische Erpressung ebenso inbegriffen wie Hütchenspiele mit Zahlen, Daten und Statistiken. Das hat auch deshalb so gut funktioniert, weil das Elterngeld, die Frauenquote, zuletzt die „Lebensleistungsrente“ gegen Altersarmut gesellschaftliche Trends aufgriffen und Menschen nutzen. In der eigenen Partei und Fraktion hält sich ihre Beliebtheit in sehr überschaubaren Grenzen. Aber wer dank Elterngeld ein paar Monate bezahlte Berufspause machen kann, dem ist es egal, ob die Urheberin womöglich auch egoistische Motive verfolgt hat.

Die Lagerkirche ist gedrängt voll

Wie das alte Prinzip im neuen Amt weiter funktionieren kann, ist noch nicht recht erkennbar. Für provokative Alleingänge eignet sich die Verteidigungspolitik von Natur aus nicht. Natürlich könnte die Familienfrau einfach ihrem alten Thema treu bleiben. Ihre neuen Untergebenen erwarten das sogar von ihr. „Dass sie vielleicht mit manchen Dingen sensibler umgeht“, sagt ein Unteroffizier, nach seinen Wünschen gefragt. Welchen Dingen? „Vereinbarkeit von Familie und Beruf!“ Der Mann hat eine Frau und zwei Kinder. In zwei Tagen ist Heiligabend. Die kleine Lagerkirche ist schon zum Gottesdienst an diesem Adventssonntag gedrängt voll.

Aber Verteidigung, das ist mehr als Familienpolitik für Menschen in Uniform. Dort, wo das Feldlager allmählich ins offene Land übergeht, liegt der Ehrenhain. Eine kleine Formation hat dort am Mittag Aufstellung genommen, drei Soldaten links, drei rechts von dem riesigen Felsbrocken im Zentrum der Gedenkstätte für die Gefallenen. Auf Granitmauern liegen Gedenktafeln für die Gefallenen. Auch der getötete Elitesoldat, den die amtlichen Listen selbst nach dem Tod nur als „ein Unteroffizier“ führen, hat im Ehrenhain ganz selbstverständlich seinen Namen.

Um ihre diplomatischen Fähigkeiten muss man sich nicht sorgen

Ein schlichtes Denkmal ist das, kein Grün, nur Steine. Wenn die Truppe endgültig abzieht, will sie es mitnehmen und in Potsdam am Einsatzführungskommando wieder aufbauen. Eine schlichte Zeremonie in eisiger Kälte, der evangelische Pfarrer begleitet ein Lied mit der Gitarre, der katholische Kollege spricht ein kurzes Gebet: „Lass nicht zu, dass sie ihr Leben umsonst verloren haben.“ Von der Leyen geht in die Knie und zündet eine Kerze an.

Die Irritation ist ein gutes Zeichen

Das hier ist anders als alles, was sie bis jetzt gemacht hat. In der Verteidigungspolitik kostet eine falsche Entscheidung Menschenleben und eine richtige womöglich auch. „Es ist ganz hautnah zu spüren, was es bedeutet, hier zu sein“, sagt von der Leyen, als sie nach dem Frühstück um ein paar Sätze für die Kameras gebeten wird. Sie kann sonst aus dem Stand geschliffen formulieren. Dieser Satz holpert seltsam. Vielleicht ist die Irritation ein gutes Zeichen. Vielleicht ahnt da jemand, was für ihn „Verantwortung“ künftig heißt.

Den Rest lernt sie schnell. Sehr schnell. Den Tonfall hat sie jetzt schon drauf, diese Mischung aus besorgtem Ernst und Entschlossenheit, mit dem sie Verteidigungsministerstandardsätze sagt wie: „Die Sicherheitslage ist fragil.“ Neben ihr steht Joseph Dunford. Der Vier-Sterne-General ist Oberbefehlshaber der Schutztruppe Isaf. Er ist aus Kabul hergeflogen, um die „großartige Gelegenheit“ zu nutzen, die neue Verteidigungsministerin bei ihrer ersten Dienstreise zu treffen. Der Amerikaner lobt die Deutschen als wichtige Verbündete, deren Hauptverdienst es sei, dass sie den Afghanen Hoffnung gegeben hätten. Von der Leyen quittiert die Höflichkeiten mit angemessen ernsthafter Miene. Um ihre diplomatischen Fähigkeiten muss man sich auch keine Sorgen machen.

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