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Das deutsch-griechische Verhältnis ist schwierig geworden. In Athen bemüht sich die Kanzlerin um Glättung der Wogen.

© AFP

Beziehungsarbeit in Athen: Merkel lobt Sparbemühungen der Griechen

Autobahn gesperrt, U-Bahnhöfe geschlossen. Merkel besucht ein Athen im Ausnahmezustand. Kaum jemand ist in Griechenland so verhasst wie sie. Doch die Kanzlerin kam, um zu loben.

Der Luftwaffen-Airbus mit Angela Merkel und ihrer Delegation hatte noch nicht einmal den griechischen Luftraum erreicht, da entrollte eine Demonstrantin vor dem Parlamentsgebäude am Syntagmaplatz das erste Transparent: „Frau Merkel, get out!“ stand in dicken Lettern auf dem selbstgemalten Plakat. Aber das bekam die Kanzlerin ebenso wenig zu sehen wie die Hakenkreuz-Transparente und die Hitler-Bilder, mit denen einige gegen ihren Besuch protestierten, oder die Spruchbänder der kommunistischen Partei, die zum „Volksaufstand gegen die Sparpolitik“ aufriefen. Auch das unflätige Plakat mit der Aufschrift „Schlampe Merkel, raus aus Griechenland!“ blieb ihr erspart.

Während sich die Demonstranten zu Zehntausenden vor den Polizeisperren drängten, mit denen das Athener Regierungsviertel abgeriegelt war, bekam die Kanzlerin auf dem Athener Flughafen Eleftherios Venizelos einen großen Bahnhof geboten: Nicht nur Regierungschef Antonis Samaras war zum Flughafen gekommen, um Angela Merkel zu begrüßen. Gleich vier Kabinettsmitglieder standen Spalier. Ein Offizier salutierte zackig mit dem Säbel, eine Marinekapelle in weißen Gardeuniformen spielte die Nationalhymnen beider Länder.

Mit dem Empfang betonte Samaras, welche Bedeutung er dem Besuch der Kanzlerin beimisst. Samaras wusste zwar schon vor Merkels Ankunft, dass die Kanzlerin weder Geld mitbringen noch deutsche Investitionen versprechen würde. Aber ihr Besuch unterstreicht: Sie will alles tun, um Griechenland in der Eurozone zu halten. Samaras wusste auch: Eine Zusage zu der von Griechenland gewünschten Streckung des Konsolidierungsprogramms konnte er von Merkel nicht erwarten – allenfalls Verständnis.

Und das zeigte Merkel. Bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit Samaras vor der Presse attestierte sie den Griechen, sie hätten bereits ein großes Stück des Weges zurückgelegt. Es gebe auf diesem harten Weg „jeden Tag Fortschritte“, lobte Merkel, das Reformtempo sei „viel schneller“ geworden. „Es ist vieles geschafft“, erklärte die Kanzlerin – fügte aber auch hinzu: „Es ist noch Etliches zu tun.“

Samaras versicherte, sein Land werde die Reformzusagen und die Verpflichtungen gegenüber den Geldgebern einhalten. Das griechische Volk sei entschlossen, in der Eurozone zu bleiben. „Alle, die darauf gewettet haben, dass Griechenland untergeht, werden diese Wette verlieren“, sagte Samaras. Auch Merkel unterstrich, was man von ihr noch vor zwei Jahren nicht hörte: „Ich wünsche mir, dass Griechenland in der Eurozone bleibt.“ Das ist nicht selbstverständlich. Schließlich hatte die Kanzlerin noch im März 2010 gefordert, Schuldenstaaten wie Griechenland aus der Währungsunion zu werfen und ihnen das Stimmrecht in der EU zu entziehen.

Dieses Bild zeichnen griechische Karikaturisten von der Kanzlerin.

Noch etwas hat sich geändert: Als Samaras Oppositionsführer war, herrschte Eiszeit zwischen ihm und Merkel. Die Kanzlerin kritisierte damals scharf, dass Samaras den Sparkurs der damaligen sozialistischen Regierung nicht mittragen wollte. Diese Irritationen sollten der Vergangenheit angehören – zumal Samaras jetzt als Regierungschef noch größeren Spar- und Reformwillen an den Tag legt als sein sozialistischer Vorgänger Giorgos Papandreou.

Für viele Griechen aber bleibt die Kanzlerin ein rotes Tuch, eine Hassfigur. Keinem ausländischen Politiker widmen sich die griechischen Karikaturisten mit solchem Eifer und so spitzer Feder wie Angela Merkel. Der Zeichner der Zeitung „To Vima“ stellte sie als Zirkusdompteurin dar, die mit einer Peitsche griechische Rentner zum Sprung durch einen brennenden Reifen antreibt, mitsamt Rollator. Mal stecken die Illustratoren die deutsche Kanzlerin in eine Nazi-Uniform, dann wieder zeichnen sie Merkel als blutsaugenden Vampir.

Deutsche und Griechen waren ziemlich gute Freunde, trotz aller Altlasten der Geschichte. Dann kam die Schuldenkrise. Sie hat das Verhältnis der beiden Völker vergiftet. Die Währungsunion vereint nicht, sie spaltet – vor allem Deutsche und Griechen. Angela Merkel ist die unbeliebteste ausländische Politikerin in Griechenland. Viele werfen ihr vor, sie habe mit ihrem anfänglichen Zögern bei den Hilfskrediten das Land erst richtig in die Krise gestürzt, um es dann mit ihrem „Spardiktat“ immer tiefer in die Rezession und die Menschen ins Elend zu treiben.

„Es muss weh tun“, habe ihm Angela Merkel 2010 bei den Verhandlungen über das erste Hilfspaket gesagt, damit kein anderes Land Lust verspüre, um EU-Hilfskredite zu bitten, enthüllte kürzlich der frühere sozialistische Premierminister Giorgos Papandreou. „Wir waren das Versuchskaninchen“, sagte er. Diese Ansicht teilen die meisten Griechen, viele glauben, Merkel wolle sie bestrafen. Fast 84 Prozent, so eine Umfrage, haben eine schlechte Meinung von der deutschen Kanzlerin. Entsprechend massiv waren die Sicherheitsmaßnahmen während des Besuchs. Athen befand sich im Ausnahmezustand. Die Flughafenautobahn wurde vor Merkels Ankunft komplett gesperrt, um der Wagenkolonne der Kanzlerin freie und sichere Fahrt zu gewährleisten. Im Zentrum der Viermillionenstadt waren weder Privatwagen noch öffentliche Verkehrsmittel unterwegs, die U-Bahn-Stationen blieben geschlossen. Im Regierungsviertel wurden nicht mal Fußgänger geduldet. 7000 Polizisten waren aufgeboten, um die Kanzlerin zu schützen.

Solche Sicherheitsvorkehrungen gab es nicht einmal beim Besuch von US-Präsident Bill Clinton im Jahr 1999. Waren es damals die „US-Imperialisten“, gegen die sich die Wut vieler Griechen richtete, sind nun die Deutschen in der Rolle des Buhmanns. Während es beim Clinton-Besuch trotz der Sicherheitsmaßnahmen zu schweren Ausschreitungen gekommen war, verliefen die gestrigen Demonstrationen zunächst ruhig. Im Lauf des Nachmittags kam es dann zu vereinzelten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei, die Tränengas einsetzte. Etwa 100 Verdächtige waren bereits im Vorfeld der Demonstrationen festgenommen worden.

Merkel bekommt von alldem nichts mit.

Die Kanzlerin bekam von den Protesten nichts mit. Was kann man in sechs Stunden von Griechenland sehen, was von Land und Leuten verstehen? Dem Normalreisenden würde man vielleicht eine Stadtrundfahrt empfehlen oder einen Bummel durch Athen. Merkel dagegen sah durch die geschlossen Fenster ihrer gepanzerten Limousine außer abgesperrten Straßen so gut wie nichts. Politikern, Journalisten und Unternehmern ist sie begegnet, aber nicht Menschen in ihrem Alltag. Sie hat keinen Rentner getroffen, der von 400 Euro im Monat leben soll, und keinen der 250 000 Griechen, die jeden Tag in den Armenspeisungen der orthodoxen Kirche verköstigt werden. Sie hat keine Bettler gesehen, keine Obdachlosen. Sie hat keinen der 734 347 griechischen Arbeitslosen kennen gelernt, die ohne jedes Einkommen sind, weil die Arbeitslosenhilfe von 360 Euro nach einem Jahr ausläuft. Und sie ist auch keinem der 821 Griechinnen und Griechen begegnet, die – statistisch – während der Dauer ihres Besuchs ihre Jobs verloren haben. Die Kanzlerin besuchte ein Land, das am Boden liegt. Griechenland geht ins sechste Jahr der Rezession. Seit Beginn der Krise hat das Land ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren. Die Arbeitslosenquote hat sich im gleichen Zeitraum von 7,9 auf 24,4 Prozent mehr als verdreifacht. Darin liegt sozialer Sprengstoff. Ministerpräsident Samaras fürchtet bereits „Weimarer Verhältnisse“ in seinem Land.

Am Spätnachmittag ging Merkel gemeinsam mit Samaras die wenigen Schritte von der Villa Maximos, dem Amtssitz des Regierungschefs, hinüber zum Palais des griechischen Staatspräsidenten. Der 83-jährige Karolos Papoulias verkörpert in seinem Lebenslauf wie kein anderer griechischer Politiker die Ambivalenz der deutsch-griechischen Beziehungen: Als 14-Jähriger schloss sich Papoulias den Partisanen an und kämpfte in den Bergen seiner nordgriechischen Heimat Epirus gegen die Nazi-Besatzer. Später studierte Papoulias Jura in Köln, promovierte und fand während der Obristendiktatur politisches Asyl am Rhein. Als Mitarbeiter des griechischen Dienstes der Deutschen Welle war er in jenen Jahren für seine Landsleute in der Heimat eine Stimme der Freiheit.

Papoulias ist ein Freund der Deutschen. Gerade deshalb leidet er besonders unter dem Tiefpunkt, auf dem die deutsch-griechischen Beziehungen angelangt sind. Das wird Merkel gespürt haben. Der Sparkurs und die Krise hätten die griechische Gesellschaft „an die Grenze dessen gebracht, was sie aushalten kann“, sagte Papoulias der Kanzlerin. Von Papoulias weiß man, dass er sich um den politischen Konsens in seinem Land sorgt, dass ihn als ehemaligen Widerstandskämpfer der Aufstieg der Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ entsetzt. Vielleicht hat er auch das Angela Merkel erklärt.

Die Kanzlerin mag den Griechen jetzt mit mehr Verständnis begegnen als noch vor wenigen Wochen, aber an den harten Fakten ändert dieser Besuch nichts. Griechenland hat noch einen langen Weg vor sich. Athen bleibt unter Druck: Die Euro-Finanzminister lobten bei ihrem Treffen am Montagabend zwar „bedeutende Fortschritte in Griechenland“. IWF-Chefin Christine Lagarde, die aus Washington zu dem Finanzministertreffen nach Luxemburg angereist war, unterstrich aber, es bedürfe noch „weiterer Anstrengungen“.

Bis zum EU-Gipfel in zehn Tagen soll Griechenland jetzt endlich das neue Sparpaket schnüren, über das seit Wochen mit der Troika verhandelt wird, sowie 89 Reformschritte umsetzen, die zum Teil seit vielen Monaten unerledigt geblieben sind. Nur dann kann Griechenland mit der Auszahlung der nächsten Kreditrate von 31,5 Milliarden Euro rechnen. Ohne das Geld wäre das Land spätestens Ende November pleite, hatte Ministerpräsident Antonis Samaras bereits vergangene Woche gewarnt.

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