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Die Zucht der Oryxantilopen im Reservat gelang.

© mauritius/Alamy

Bibel-Tiere in Israel: Hiobs Botschaften

Tiere aus dem Alten Testament wollte Israel in der Wüste Negev wieder heimisch machen. Bei der Auswilderung misslang vieles. Doch das Projekt ist Sinnbild des unbeirrbaren Gestaltungswillens eines Landes.

Zum Beispiel der Vogel Strauß. Im Buch Hiob heißt es in Kapitel 39 ab Vers 13: „Der Fittich des Straußes hebt sich fröhlich. Dem frommen Storch gleicht er an Flügeln und Federn. Doch lässt er seine Eier auf der Erde liegen.“ Das sei riskant, steht dort weiter. Die Eier könnten zertreten oder von Raubtieren gefressen werden. Warum sich der Strauß trotzdem so verhält, wird in Vers 17 erklärt: „Denn Gott hat ihm die Weisheit genommen und hat ihm keinen Verstand zugeteilt.“

Stimmt so weit, sagt David Amar. Klug sei der Vogel tatsächlich nicht, und ziemlich aggressiv dazu. Halten wir lieber Abstand, sagt er. Der Wildhüter ist selbst schon von einem Männchen attackiert worden. Zum Glück saß Amar damals in seinem Pickup und hatte die Fensterscheiben geschlossen. Heute sind nur drei Weibchen zu sehen, sie stehen drüben bei den Akazienbäumen, picken dann und wann auf dem sandigen Boden herum. Die drei Tiere sind hier im Reservat geboren worden, und eigentlich war geplant, sie irgendwann zusammen mit weiteren Artgenossen in der Wildnis auszusetzen. Das war aber noch, bevor alles anfing schiefzulaufen.

Über zwölf Quadratkilometer erstreckt sich die „Hai Bar Yotvata“ ganz im Süden Israels, direkt am Highway 90 gelegen, der von der Küstenstadt Eilat am Roten Richtung Totes Meer führt. Ein karges Areal, nach allen Seiten abgezäunt, und das ist Grundvoraussetzung, denn das Gelände dient einem kühnen Plan. Tierarten, die im Alten Testament erwähnt, aber in der Region längst ausgestorben sind, sollten hier gezüchtet und dann im Negev – der mit Abstand größten Wüste Israels – ausgewildert werden. Bei den Straußen lief das dann so ab: Zunächst entließen die Biologen eine Gruppe von elf Jungtieren in die Freiheit. Ein paar der flugunfähigen Vögel starben durch Verkehrsunfälle, die meisten verschwanden spurlos, sagt David Amar, der Wildhüter. Eine Theorie lautet, dass die Exemplare einfach zu jung und unerfahren waren, um sich ein eigenes Revier zu sichern. Eine andere Theorie besagt, die Tiere seien von Jägern erschossen worden. Schließlich hatte ja die intensive Jagd durch Beduinen überhaupt erst dazu geführt, dass der Riesenvogel in den 1920er Jahren in der Region ausstarb.

Nach dem Desaster der ersten Auswilderung wagten die Hai-Bar-Forscher bald einen zweiten Versuch. Diesmal sollten vier Strauße freigelassen werden – mit GPS-Sendern versehen, um sie jederzeit orten und Wanderrouten dokumentieren zu können. Von diesen Tieren fand man später bloß Knochen und Blutspuren. Die Forscher vermuten, dass streunende Hunde oder Wölfe sie getötet haben. Seitdem besteht ein Straußen-Auswilderungsmoratorium.

Die Geschichte der Hai Bar Yotvata ist eine Geschichte der Rückschläge. Aber auch eine des Nichtaufgebens, des Bestehens gegen alle Widrigkeiten. Vor allem ist das Zuchtprogramm Sinnbild eines enormen, unverwüstlichen Gestaltungswillens des Landes und seiner Bewohner.

130 unterschiedliche Arten werden im Alten Testament namentlich genannt. Viele davon im dritten Buch Mose, wo der Prophet penibel aufzählt, welche Tiere der gläubige Mensch alles nicht verspeisen darf (Kamel, Hase, Fledermaus, Gecko, Wiedehopf, Strauß ...). An anderen Stellen werden Tierarten für Metaphern, Wortspiele oder zum Beleidigen von Menschen verwendet.

Die Idee, das Heilige Buch gezielt nach Versen mit Tieren zu durchsuchen und diese Arten dann zu züchten, ist aber nur bedingt religiös motiviert. Viel mehr geht es um Identitätsstiftung: für das Land und seine besonders unwirtlichen Regionen.

Die Wüste Negev nimmt 60 Prozent des Staatsgebiets ein, reicht von der Großstadt Be’er Scheva im Norden bis zum Roten Meer. Teilstriche bestehen aus Kraterlandschaften, in denen es zumindest für wenige Wochen im Jahr regnet, andere Gebiete gelten als Extremwüste. Schon Staatsgründer David Ben-Gurion glaubte Ende der 50er Jahre: Das Schicksal Israels wird sich an der Frage entscheiden, ob es gelingt, den Negev zu besiedeln und nutzbar zu machen. Er selbst wollte als gutes Beispiel vorangehen und zog mit seiner Frau Paula in einen Wüsten-Kibbuz. Die nachfolgenden Regierungen beschlossen immer neue Förderprogramme, um den Ausbau der Infrastruktur zu beschleunigen, zuletzt den milliardenschweren „strategischen Entwicklungsplan Negev“. Mittlerweile gibt es in der Wüste eine renommierte Universität sowie einen High-Tech-Standort mit Internet-Startups, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hofft auf ein „israelisches Silicon Valley“. Aber zum angestrebten Imagewandel gehört auch, Attraktionen zu schaffen. Anreize für Touristen und Umzugswillige. Die Wüste mit Leben zu füllen. Schimon Peres, Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger, prophezeit, die Steigerung der Lebensqualität im Negev werde letztlich dabei helfen, umstrittene Siedlungen im besetzten Westjordanland zu räumen. Das Anliegen der „Hai Bar Yotvata“ ist also auch ein politisches.

Der Wildesel ist wieder im Negev verbreitet.
Der Wildesel ist wieder im Negev verbreitet.

© F.: Bartov/mauritius

Manche Tiere aus der Bibel schieden für das Zuchtprogramm von vornherein aus. Der Affe etwa. Er wird zwar mehrfach erwähnt, aber nur als exotisches Importgut aus fremden Königreichen. Arten, die in der Region sowieso nie heimisch waren, kamen nicht infrage. Ebenso wenig Braunbär und Löwe. Sie wären ins künftige Wüstenleben schwer integrierbar, sagt Wildhüter Amar. Deutlich besser geeignet: friedfertige, anmutige Vegetarier.

Zum Beispiel die Dorkasgazelle. Mit ihrer Schulterhöhe von maximal 65 Zentimetern gehört sie zu den zierlichsten unter den Gazellenartigen. Die Biologen starteten ihre Zucht auf einem eigenen, von den übrigen Tierarten abgegrenzten Gelände. Und freuten sich über rasche Fortschritte, die Herde wuchs innerhalb weniger Jahre auf mehr als 80 Tiere an. Dann jedoch gab es im Herbst 2012 schwere Unwetter, in den westlich angrenzenden Bergen regnete es tagelang so stark, dass zunächst ein Bach, später ein reißender Fluss den Hang abwärts floss. Das Wasser riss Zäune um, sodass Hyänen ins Areal eindringen konnten. Jetzt besteht die Herde der Dorkasgazellen nur noch aus 14 Tieren. „Wir müssen wieder von vorn anfangen“, sagt David Amar. „Und genau das machen wir jetzt.“

Die Idee für das biblische Zuchtprogramm kam keinem Romantiker und keinem Tourismusmanager. Sondern einem General. Im Zweiten Weltkrieg hatte Avraham Yoffe als junger Mann in der britischen Armee gekämpft, 1948 dann im israelischen Unabhängigkeitskrieg. 1967 gewann er – inzwischen zum Kommandeur aufgestiegen – im Sechstagekrieg eine wichtige Schlacht an der Sinaifront. Spätestens ab da war Avraham Yoffe Volksheld. Mit seiner Pensionierung gründete er die „Nature Reserves Authority“, die in den Folgejahren die Errichtung hunderter Naturschutzgebiete durchsetzte. Und den Plan mit den Bibeltieren.

Yoffe suchte sich private Sponsoren und kaufte das brachliegende Gelände. Es schien geeignet, weil hier ungewöhnlich viele der meterhohen Akazien standen, die den Tieren mit ihren schirmartigen Kronen Schatten spenden und Futter bieten würden. Die Akazie ist ebenfalls in der Bibel erwähnt: Ihr Holz soll für den Bau der Bundeslade benutzt worden sein.

Nachdem die Zäune errichtet waren, kamen die ersten Arten: Wildesel, Antilopen, Gazellen. Manche stammen aus Zoos, andere, wie die Strauße, wurden im Sudan eingekauft und von der israelischen Luftwaffe eingeflogen. Für die vier Exemplare des Mesopotamischen Damhirschs, der etwas größer als sein europäischer Verwandter und weltweit vom Aussterben bedroht ist, brauchte Avraham Yoffe Geduld. Ab Mitte der 70er Jahre verhandelte er mit dem Iran, lud einen Vertreter des Schahs mehrfach nach Israel ein, um hier Steinböcke zu jagen. So wurden Yoffe schließlich vier Damhirsche versprochen. Der Deal wäre fast gescheitert, weil Ende 1978 die Islamische Revolution losbrach. Yoffe schickte einen Zoologen nach Teheran, der inkognito die Tiere abholte, während die Demonstranten in den Straßen bereits allen Israelis den Tod wünschten.

Der Wolf wird im Käfig aufgepäppelt.
Der Wolf wird im Käfig aufgepäppelt.

© Sebastian Leber

Um Oryxantilopen aus Saudi-Arabien zu bekommen, bat Yoffe US-Diplomaten, das saudische Königshaus zu kontaktieren. Bei den Oryx handelt es sich mit Abstand um die anmutigsten Tiere, die heute auf dem Gelände der „Hai Bar Yotvata“ gezüchtet werden. Das liegt vor allem an den markanten schwarz-weißen Gesichtsverzierungen. „Sehen sie nicht aus wie gemalt?“, fragt der Wildhüter, als er an der Herde vorbeifährt. Die zwei langen Hörner der Tiere ragen so kerzengerade und symmetrisch in die Luft, dass man von der Seite betrachtet oft nur ein einzelnes Horn erkennt. Bibelforscher vermuten, die Legende des Einhorns sei entstanden, weil Menschen vor 6000 Jahren die Oryxantilope von Weitem im Profil beobachtet haben.

In der Hair Bar verlief ihre Zucht sehr vielversprechend. 15 Exemplare, alle mit GPS-Transpondern versehen, wurden ausgesetzt. Es hätte eine Erfolgsgeschichte werden können. Das Problem war, sagt David Amar, dass die meisten Oryxantilopen dann ostwärts zogen und über die Grenze ins Nachbarland Jordanien wechselten. Dort wurden sie von jordanischen Soldaten erschossen. Wegen der Transponder am Hals. Spionageverdacht.

Das ist tragisch, aber kein Einzelfall. Im Reigen der antisemitischen Verschwörungstheorien, denen man im arabischen Raum begegnet, zählt diese zu den besonders bizarren: die Annahme, Israel setze trainierte Tiere zu Spionage- oder Sabotagezwecken in Nachbarländern ein. In Saudi-Arabien inhaftierten Soldaten einen Gänsegeier, der oberhalb der rechten Kralle einen GPS-Sender sowie ein rotes Band mit dem Schriftzug „Tel Aviv University“ trug. Ägypten nahm Störche und Tauben gefangen. Als 2010 vor der Küste des ägyptischen Badeorts Scharm asch-Schaich mehrere Touristen von einem Hai attackiert wurden – eine deutsche Urlauberin kam damals ums Leben – mutmaßte der dortige Provinz-Gouverneur öffentlich, Israels Auslandsgeheimdienst Mossad habe eine hochgezüchtete Killermaschine im Roten Meer ausgesetzt und per Fernsteuerung auf Badende gehetzt, um den Tourismus Ägyptens zu schädigen. Drei Jahre zuvor hatte bereits die iranische Regierung vermeldet, 14 trainierte Streifenhörnchen unschädlich gemacht zu haben. Die libanesische Hisbollah fantasierte von „zionistischen Spionage-Adlern“, die Hamas will einen bewaffneten israelischen Terror-Delphin vor Gaza aufgegriffen haben. Auch die Türkei, Syrien und der Sudan haben Israel schon beschuldigt.

David Amar, der Wildhüter, sagt, von Abschüssen durch Soldaten anderer Länder werde man sich nicht unterkriegen lassen. Und tatsächlich gibt es inzwischen einen kleinen, stabilen Bestand an freilebenden Oryxantilopen im Negev. Noch erfolgreicher verlief die Auswilderung des Asiatischen Wildesels. In der Bibel wird er an etlichen Stellen genannt, oft als Symbol für Freiheitsdrang oder als Kontrast zum Menschen (Hiob 11:12: „Kann ein Hohlkopf verständig werden, kann ein junger Wildesel als Mensch zur Welt kommen?“). Dank der Hai-Bar-Forscher trifft man den Esel heute überall im Negev an. Andere Tierarten werden an Länder wie Ghana und den Senegal verkauft und dort erfolgreich ausgewildert. Auch die Straußenpopulation wächst stetig weiter, wenn auch nur innerhalb der Reservatsgrenzen. Die Betreiber haben eine pragmatische Lösung gefunden, damit sich die Bevölkerung trotzdem am Anblick der Vögel erfreuen kann: Im eigenen Auto darf jeder durch das geschützte Gelände fahren.

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