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"Stop TTIP"- Demonstranten in Brüssel "übergeben" symbolisch mehr als eine Million Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen an die EU-Kommission.

© dpa

Bilanz: Zwei Jahre Europäische Bürgerinitiative: Der große Bluff

Die Europäische Bürgerinitiative sollte mehr direkte Demokratie nach Europa bringen. Doch zwei Jahre nach ihrer Einführung zeigt sich: sie ist ein schwaches Instrument. Überarbeitung dringend nötig.

Am Anfang war der Jubel groß. Als eine der „bedeutendsten Neuerungen des Vertrags von Lissabon“ wurde sie gepriesen. Sie werde den Bürger näher an Europa heranbringen oder Europa näher zum Bürger. Endlich könne europäische Politik von unten direkt beeinflusst werden. Knapp zwei Jahre ist die europäische Bürgerinitiative (EBI) jetzt alt und viele haben sich an ihr versucht: Tierschützer, Abtreibungsgegner, Erasmus-Fans, Atomgegner. Doch die Begeisterung ist der Ernüchterung gewichen. Ein „schwaches Instrument“ sei sie, eigentlich den Aufwand nicht wert, schimpfen Aktivisten. Einig sind sich Kritiker aus Gesellschaft, Politik und Wissenschaft vor allem in einem: Die EBI müsse dringend überarbeitet werden, wenn sie nicht einfach nur zur Imagepolitur der EU-Institutionen dienen, sondern die direkte Demokratie wirklich weiterbringen soll.

Die Grundidee klingt gut und einfach. Jeder Bürger kann seit 2012 eine Initiative bei der EU-Kommission registrieren lassen, in der er fordert, dass diese in einem bestimmten Bereich gesetzgeberisch aktiv wird – schließlich ist die Kommission das einzige Organ auf EU-Ebene, das Gesetze vorschlagen kann. Doch schnell wird es kompliziert. Die erste Hürde ist schon die Registrierung. Die Kommission überprüft zunächst, ob sie für den Politikbereich überhaupt zuständig ist, oder ob das ganze Vorhaben ihrer Einschätzung nach sogar gegen EU-Recht verstößt.

Hier fallen sehr viele Anträge schon durchs Raster, wie zum Beispiel eine Initiative für den EU-weiten Ausstieg aus der Atomkraft. Die Förderung von Atomkraft als Energieform steht in den EU-Grundsatzverträgen, also darf die Kommission nach eigener Auslegung den Ausstieg nicht vorantreiben.

Nicht immer sind die Entscheidungen der Kommission über Zulassung oder Ablehnung einfach nachvollziehbar. „Das Verfahren ist viel zu kompliziert. Die Regeln um eine zulässige Initiative zu starten, sind unverständlich. Das führt zu Frustration“, kritisiert Viviane Reding, ehemalige Justiz-Kommissarin und luxemburgische Europaabgeordnete, das Verfahren. Mit der Bürgerinitiative seien Erwartungen geweckt worden. Bürger hätten sich zu hunderttausenden eingebracht. „Doch ihre Hoffnungen etwas zu bewegen, sind enttäuscht worden. Mit diesem Resultat kann man nicht zufrieden sein.“

Angeheizt wird die Debatte um die Reform der EBI durch eine inoffizielle Kampagne des Bündnisses „Stop TTIP“. Die Initiative wurde durch die EU-Kommission abgelehnt, mit der Begründung, Bürgerinitiativen dürften nicht negativ gegen eine Regelung formuliert sein – wie in diesem Fall gegen das Freihandelsabkommen TTIP – sondern nur positiv für eine neue. Zudem seien die Verhandlungen zu dem Abkommen mit den USA noch nicht abgeschlossen, es sei also gar nicht klar, wogegen sich die Initiative richte.

Die Initiatoren von „Stop TTIP“ haben nun Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht und trotz Absage mit ihrer Kampagne über eine Million Unterschriften gesammelt. „Wir müssen etwas dagegen unternehmen, dass das ohnehin schwache Instrument der EBI komplett ausgehebelt wird“, sagt Anne Dänner, Sprecherin der Organisation „Mehr Demokratie“, die auch Teil des Bündnisses ist. „Die EU-Kommission legt sich die Regel für eine zulässige Initiative momentan so zurecht, wie ihr das gefällt.“

Doch auch wenn eine Initiative offiziell zugelassen ist, wird es nicht unbedingt einfacher. Die Initiatoren müssen dann innerhalb eines Jahres insgesamt eine Million Unterschriften in sieben verschiedenen EU-Ländern sammeln, um die Aktion erfolgreich abzuschließen. Nur eine erfolgreiche Initiative wird von der EU-Kommission geprüft und beantwortet, die Verantwortlichen werden in die Kommission und ins Parlament eingeladen, um ihr Anliegen vorzutragen. Gesetzgeberisch aktiv werden muss die Kommission aber auch dann nicht.

Genügend Unterschriften zu sammeln ist seit 2012 gerade mal drei Initiativen gelungen: „Right2Water“, eine Forderung nach einem europäischen Grundrecht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung, „Einer von uns“, die einen besseren Schutz von Embryonen forderten und „Stop Vivisection“, eine Aktion gegen Tierversuche. Auffällig ist, dass hinter allen drei Initiativen große Verbände stehen. Die Wasserinitiative war ein Projekt von Gewerkschaften wie Verdi, hinter „Einer von uns“ stand die katholische Kirche und hinter „Stop Vivisection“ ein Verbund von Tierschutzorganisationen. Sie verfügen über ausreichend ehrenamtliche Mitarbeiter, die helfen, die Unterschriften zu sammeln. „Ohne eine solche Organisation im Rücken, sind die Hürden für normale Bürger kaum zu schaffen“, sagt Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Konsequenzen sollen verschärft werden

Die Organisatoren ziehen eine gemischte Bilanz ihrer Initiativen. „Die Hürden sind enorm hoch“, sagt Clivia Conrad, Sprecherin bei Verdi für die Kampagne „Right2Water“. „Und in ihrer Antwort hat die EU-Kommission vor allem sich selbst bestätigt, dass ihre Gesetze bereits ausreichend sind.“ Trotzdem sei durch die große Medienaufmerksamkeit an anderer Stelle viel passiert. Aus einer zeitgleich verabschiedeten Richtlinie zur Vergabe von Konzessionen an Privatunternehmen, sei die Wasserversorgung ausgenommen worden. Der Umweltausschuss des EU-Parlaments habe zudem beschlossen, einen eigenen Bericht zu verabschieden und die Kommission zum Handeln im Sinne der Initiative aufzufordern. Denn dem eigentlichen Wunsch, das Recht auf freien Zugang zu Wasser und hygienischer Versorgung in die EU-Verordnung aufzunehmen, wolle die Kommission bisher nicht nachkommen.

Einige Kritiker fordern, die Konsequenzen der Initiativen für die Kommission müssten zwingender gestaltet werden. Am weitesten geht der Ansatz der Organisation „Mehr Demokratie“. Frei nach dem Schweizer Modell will sie Initiativen zum Teil der EU-Gesetzgebung machen. Anderen geht das zu weit. Das Forschungsinstitut SWP stellt in einer Studie fest, dass auch eine erfolgreiche Initiative mit einer Million Unterschriften nie die Mehrheitsmeinung der 500 Millionen Europäer darstelle, sondern immer nur die Meinung einer „relevanten Minderheit“. Und auch Ex-Kommissarin Reding sagt: „Nicht jeder Initiative muss entsprochen werden. Bei ethischen Fragen gilt besondere Vorsicht.“

Bliebe noch die Möglichkeit, die Hürden abzusenken, weniger als sieben Länder und eine Million Unterschriften vorzuschreiben. Hier warnt die Wissenschaft vor einem Repräsentationsproblem. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gesehen, müsse man schon heute bei einer nationalen Petition deutlich mehr Stimmen sammeln.

Moderate Veränderungen, wie zum Beispiel die Pflicht, die Antwort der Kommission durch das EU-Parlament prüfen zu lassen, so dass eine öffentliche Debatte zu dem Thema entsteht, sind deshalb wohl die erfolgversprechendsten. „Bisher sagt die Kommission nur, was ihre Ansicht ist und das kann nicht mehr hinterfragt werden“, sagt Anne Dänner von „Mehr Demokratie“. Die Organisatoren der „Right2Water“-Kampagne haben ganz praktische Vorschläge. „Die Menschen müssen momentan sehr viele Daten von sich preisgeben, wenn sie eine Initiative unterstützen wollen“, sagt Clivia Conrad. Diese seien rechtlich eigentlich nicht nötig. „In manchen Ländern müssen die Leute sogar ihre Passnummer eintragen. Das hält viele von einer Unterschrift ab.“

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