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Eltern klagen: In Berlin gibt es zu wenig Plätze für die künftigen Grundschüler.

© Caroline Seidel/dpa

Bildungschaos: Berlins Schulwesen bleibt eine Dauerbaustelle

Schlechtes Niveau, zu wenig Plätze für Erstklässler, Lehrerfrust. In Berlin blickt man mit Sorgen auf das neue Schuljahr. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Noch knapp eine Woche Ferien - und trotzdem gibt es schon Schulstress. Berliner Kinder können draußen tollen, die Lehrer noch die dringend benötigte Auszeit genießen, doch viele Eltern sind mit den Gedanken schon längst beim neuen Schuljahr. Vor der Einschulung der Erstklässler nämlich kommt der Ärger bei der Schulsuche. Doppelt so hoch wie im Vorjahr ist die Zahl der Klagen oder Rechtsschutzersuchen. Das muss alarmieren. Es ist ein erster Hinweis, dass dies ein Schuljahr des Missvergnügens werden könnte – für die Eltern, für die Schulleitungen und vor allem für die rot-rot-grüne Senatskoalition und die Bildungssenatorin Sandra Scheeres.

Dabei sollte doch alles viel besser werden. Die schlechten Zeiten, als auch die Schulen sanierungsreif gespart wurden, sind abgehakt und der Blick nach vorne gerichtet in eine Bildungslandschaft, in der die besten Lehrer in gut ausgestatteten Gebäuden die Lern- und Wissbegierde von Kindern fördern. So wollen es die Eltern, so verspricht es die Berliner Politik.

Im Berliner Schulwesen herrscht Mängelverwaltung

Nur leider hat dies mit der Wirklichkeit des Berliner Schulwesens immer noch kaum etwas gemein. Da herrschen weiterhin Mängelverwaltung, Lehrerfrust und schlechte Lernbedingungen. Nur gut für die Schulverwaltung, dass der Report zur Leistungsfähigkeit der Bundesländer im Bildungsbereich jetzt mitten in den Sommerferien vorgestellt wurde – und damit wohl viele Eltern nicht erreicht. Da belegt Berlin erneut den letzten Platz – weit, weit entfernt von den Leistungen, die etwa Schüler in Sachsen oder Thüringen erbringen. Die Reaktion der Bildungsverwaltung, dass eine Großstadt wie Berlin mit ihren massierten sozialen Problemen und einem hohen Anteil von nicht deutschen Kindern nun mal unvergleichbar sei mit Flächenländern, wird seit Jahren nahezu wortgleich vorgetragen: Man kann es nicht mehr hören. Fehlt nur noch der Hinweis, dass die Berliner Abiturnoten sich im Durchschnitt auf 2,4 verbessert haben. Dabei weiß jeder verantwortlich fühlende Lehrer, dass in Berlins Schulen vor allem die Leistungsanforderungen gesenkt wurden, damit immer mehr Jugendliche das Abitur schaffen. Wobei man anmerken muss, dass abgesenkte Notenkriterien teilweise bundesweit gelten.

Begleitet von Verheißungen, was sich alles verbessern werde, starten in Berlin Jahr auf Jahr tausende Kinder ihre Schulkarriere. Es sind Wechsel auf eine bessere Zukunft, die sich im tagtäglichen Schulkrampf verflüchtigen. Es kann einem angst und bange werden, dass es nun in sechs von zwölf Berliner Bezirken Schulen gab, in denen nicht alle Kinder Platz fanden, die im Einzugsgebiet wohnten. Auch dies provozierte Klagen.

Die Wunschschule wird da häufig zum Glücksspiel. In Kiezen mit vielen jungen Familien wie in Friedrichshain müssen Eltern jedenfalls zittern, ob ihr Kind noch einen Platz erhält, wenn sie an der Grenze des definierten Einzugsbereichs wohnen. Nicht einmal mehr Geschwisterkinder können sicher sein, auf dieselbe Schule zu kommen. Wundert es da noch, dass Eltern zum Trick der Scheinadresse greifen oder zunehmend Familien, die es sich leisten können, sich für konfessionelle und private Schulen entscheiden? Es kann jedenfalls jeder nachvollziehen, was es bedeutet, wenn Sechsjährige zu weiter entfernten Schulen gebracht werden müssen, fern des gewohnten Kiezes und der Spielfreunde aus der Kita, und ohne die Chance, diesen Schulweg allein bewältigen zu können.

Es geht um Glaubwürdigkeit

Angesichts der Notwendigkeit, wegen des Berliner Bevölkerungswachstums bis 2025 insgesamt 75 000 zusätzliche Schulplätze zu schaffen, kann jede Familie mit Kleinkindern nur Angstgefühle packen. Wie soll das gehen, wenn die Schulverwaltung offenbar schon jetzt überfordert ist? Das große Versprechen, in den kommenden zehn Jahren 5,5 Milliarden Euro in die Sanierung und den Neubau von Schulen zu investieren, verliert da enorm an Glaubwürdigkeit – vor allem, wenn man an die Effizienz des Berliner Verwaltungsapparats und das Konfliktpotenzial zwischen Bezirksbehörden und Senatsverwaltungen denkt.

Kleine Kinder, kleine Klassen, entspanntes Lernen? Schön wäre es. Statt pädagogischer Träume sieht die Realität aber selbst an sozial-schwierigen Schulen Klassen mit 28 Schülern vor. Dazu kommt ein Lehrermangel, den die Verwaltung mit sicher gut motivierten, aber teilweise auch überforderten Quereinsteigern bewältigen will.

Bildung bleibt in Berlin wohl für lange Zeit noch eine Baustelle, auf der es an vielem mangelt. Nicht alle Probleme waren absehbar; so rechnete vor Jahren niemand mit tausenden Kindern aus Flüchtlingsfamilien. Aber es bleibt der Eindruck einer tiefgreifend erschöpften Verwaltung, der längst nicht mehr zugetraut werden kann, Schule zu dem zu machen, was Eltern verlangen dürfen: Ein Ort zu sein, an dem die nächste Generation, das Kapital einer Wissensgesellschaft wie der Bundesrepublik, auf beste Weise gebildet wird. Kurz vor Beginn des neuen Schuljahrs kann das nicht froh stimmen.

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