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Wissbegierig. Damit Kinder aus sozial schwachen Familien auch Museen besuchen können, sollen sie Bildungsgutscheine erhalten. Wer sie ausgibt, ist umstritten.

© picture alliance / dpa

Bildungsgutscheine: In Arbeit

Die Jobcenter sollen bald Bildungsgutscheine für Kinder aus bedürftigen Familien ausgeben. In Marzahn-Hellersdorf könnten für das Jobcenter bis zu 12.500 Klienten hinzukommen. Die Details sind aber nach wie vor völlig unklar.

Berlin - „Wir kriegen das hin“, sagt Reinhard Müller, Geschäftsführer des Jobcenters in Marzahn-Hellersdorf in Berlin. Allein, was genau er da hinkriegen soll, das weiß er auch nicht: „Derzeit ist alles möglich.“ Geht es nach Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, sind es Jobcenter und Argen, also Arbeitsgemeinschaften von Arbeitsagenturen und kommunalen Trägern, die ab Januar für die Austeilung von Bildungsgutscheinen an Kinder aus bedürftigen Familien verantwortlich sein sollen. Geht es nach der Bundesagentur für Arbeit (BA), sind sie es nicht, zumindest nicht in der bisher angedachten Form.

„Wenn wir die Gutscheinvergabe übernehmen, wollen wir das auch gut und richtig machen“, betont Anja Huth, Sprecherin der Nürnberger Zentrale der BA. „So, wie es bisher laufen soll, ist es nicht durchführbar“, ist sich Huth sicher. „Das bedeutet einen administrativen Mehraufwand, den man nicht eben so aus dem bestehenden Personalkörper schnitzen kann.“ Im Zweifelsfall leide darunter das Kerngeschäft der Arbeitsvermittlung.

Als das Thema im vergangenen Monat auf die Tagesordnung kam, hat auch Reinhard Müller gestöhnt. „Wir haben uns die von uns unterstützten Bedarfsgemeinschaften angeschaut und sind darüber auf etwa 12 500 potenzielle Klienten gekommen“, sagt er. Klienten im Alter von einem bis 15 Jahren, mit denen das Jobcenter bisher nicht zu tun hatte, höchstens als Mitglieder der „Bedarfsgemeinschaft“, die sie mit ihren Eltern bilden. Klienten, die aber ab Januar zusätzlich zu der Betreuung der Arbeitssuchenden gemäß einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Bildungsgutscheinen oder alternativ Bargeld zu Bildungszwecken versorgt werden sollen. Zusätzliches Personal für die Center? Bisher Fehlanzeige.

Dabei befinden sich die Argen und Jobcenter bereits in Habachtstellung. „Um den gesetzlichen Auftrag nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung möglichst zeitnah umsetzen zu können, bitte ich Sie, sich bereits im IV. Quartal 2010 in Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendämtern Kenntnisse über die lokalen Angebote zu verschaffen“, schrieb BA-Vorstand Heinrich Alt bereits im September an die Argen-Geschäftsführer. Reinhard Müllers erste Amtshandlung war damals, die Bezirksverwaltung zu fragen, „was sie überhaupt an Bildungsangeboten hat“. Denn „was es hier an Musikschulen und Sportvereinen gibt, da hatten wir als Jobcenter bisher keinen Einblick“. Genau zu diesen Angeboten sollen die Bildungsgutscheine Kindern aus sozial schwachen Familien aber Zugang verschaffen.

Es ist unter anderem dieser Sondierungsaufwand, in dem viele den Irrsinn der angestrebten Regelung zu erkennen glauben. „Wir haben immer gesagt, dass die Verteilung über die Jobcenter ein komplett falscher Weg ist“, sagt Anja Wollny, Sprecherin der Berliner Sozialverwaltung. Für Freizeit, Kultur und Nachhilfe seien die Argen der denkbar falsche Ansprechpartner. Eine Haltung, die auch aus der bundespolitischen Opposition gestützt wird: „Solange die Mitarbeiter der Jobcenter unter Einsparungsdruck stehen, solange ist das die falsche Stelle, um Kulturangebote für Kinder und Jugendliche zu vermitteln“, betont Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion und Vorsitzende des Sozialausschusses im Bundestag. Kollegin Annette Kramme von der SPD warnt derweil unbeirrt vor einem bürokratischen Monstrum: „Bei Beträgen unter 55 Euro ist Verwaltungshandeln nahezu nutzlos“, so Kramme. Deshalb favorisiere die SPD weiterhin das Modell einer Barauszahlung des Bildungsbeitrags an die Eltern, solange, bis Infrastrukturlösungen für eine Förderung geschaffen seien, die ohne die Stigmatisierung durch Anträge und Gutscheine auskomme.

Dass es zu einer grundsätzlichen Revision der Vergabepraxis kommen wird, glaubt indes niemand. Gleichzeitig herrscht große Unsicherheit und niemand kann für die laut Bundesverfassungsgerichtsurteil im Januar fälligen Neuregelungen wirksam Vorkehrungen treffen. So sickerte bereits am Donnerstag aus dem Arbeitsministerium durch, dass Länder und Kommunen eventuell doch selbst über die Vergabepraxis der zusätzlichen Bildungsmittel entscheiden sollten. Der Deutsche Städtetag, der die Jobcenter-Regelung ebenfalls kritisiert hatte, teilte mit, man habe „Signale“, dass das Ministerium unbürokratische Lösungen gemeinsam mit den Städten und Kommunen anstrebe. Dazu könnte dann auch die von einigen Kommunen favorisierte Regelung zählen, wonach zumindest in einigen Belangen wie Nachhilfe und Musikunterricht die Verteilerrolle statt von den Jobcentern von den Jugendämtern übernommen würde. Allein: Genaues weiß bisher niemand.

Für alle Beteiligten heißt es daher: erst mal warten – auf den Beschluss des Bundeskabinetts am kommenden Mittwoch, vor allem aber auf die Debatte im Bundesrat am 17. Dezember, bei der unter anderem Berlins Sozialsenatorin Carola Bluhm die Regelung – Zeitdruck hin oder her – einer „genauen Prüfung“ unterziehen will. Unter Umständen könnten sich spätestens dann alle Vorkehrungen, die Jobcenter-Chefs wie Reinhard Müller bereits getroffen haben, als obsolet erweisen. Auf der anderen Seite könnten alle, die jetzt noch abwarten, zu rasend schnellem Handeln gezwungen sein.

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